Brief an die Wikis

Und dabei haben einige von Euch sich das so schön ausgedacht: Ein richtiges Lexikon sollte Wikipedia werden, eines, das auf Papier gedruckt ist, im Bücherregal mehrere Meter einnimmt, dort ordentlich was hermacht und viel Geld kostet.

Einen veritablen Chefredakteur hättet ihr dazu wahrscheinlich bekommen. Einen, der in Euren Artikeln herumredigiert und Euch regelmäßig zusammenstaucht, wie das im Verlagswesen so üblich ist. Aber nein, Ihr musstet das Buchprojekt ja platzen lassen.

Wie stellt Ihr Euch das eigentlich vor? Gerade diese Woche, wo’s wieder so viel nachzuschlagen gab.

Metzger, Oswald beispielsweise. Das jener hastig sprechende und nicht nur deshalb immer ein wenig aufdringlich wirkende Grünen-Politiker, der früher bei der SPD war und stets so daherredet, als sei er bei der FDP. Den hat seine gegenwärtige Partei nicht mehr für den Bundestag aufgestellt. Aber jetzt ist er dafür in den Baden-Württembergischen Landtag gewählt worden.

Selbst zu dem habt Ihr einen Artikel. Das muss man Euch lassen: Ihr lasst nichts aus. Und sei’s noch so abwegig.

Bemerkenswert an Oswald Metzger ist ja eigentlich nur, dass er sich selbst als ‘Marke’ bezeichnet. Sowas lässt doch tief blicken. Vom mittelhochdeutschen “marc” für Grenze kommt das Wort, schreibt Ihr. Das ist lehrreich und passt gut zu einem grenzwertigen Polit-Ego.

Von Markenartikel dann verlinkt Ihr zu Selbstmarketing – auch darüber existieren hochwissenschaftliche Theorien – und von dort zu Branding. Da heißt es: “Der Begriff bezeichnete ursprünglich die Kennzeichnung von Herdenvieh. Mit einem heißen Brandeisen…” Sowas möchte man sich angesichts der vielen Selbstvermarkter lieber gar nicht so bildlich vorstellen.

Es ist schon interessant, was man bei Euch so findet. Man klickt ein bisschen, kommt vom Hundertsten ins Tausendste und – das ist das Schlimme – vergisst darüber ganz, was zu leisten und Kohle ranzuschaffen.

Mittelgebirge – ein anderes Beispiel. Drei davon sollten einbürgerungswillige Ausländer schon kennen, finden die Ministerpräsidenten von Hessen und Baden-Württemberg. Was sind das für Leute, die sich sowas ausdenken? – Das steht ebenfalls bei Euch.

Andererseits hat einem die schieche Idee dieser Herren auch vor Augen geführt, dass man selbst nur als Eben-mal-noch-so- Deutscher (vier Mittelgebirge) durchgehen würde. Ihr kennt 47, darunter so exotische wie das Wiehengebirge – auch Bauernlineal genannt, wie man bei Euch erfährt. Wenn man sich das durchgelesen hat ist man fast schon ein bisschen stolz. Nein, nicht darauf, sondern auf das, was man gelernt hat.

Oder Mehrwertsteuer. Deren Erhöhung hat der sozialdemokratische Bundesfinanzminister Peer Steinbrück diese Woche als “hartes Krafttraining für den Standort Deutschland” bezeichnet. So kann man’s natürlich auch sehen.

Äußerst lehrreich ist wiederum, was man bei Euch dazu liest. Danach hat die SPD 1916, als so eine Abgabe erstmalig eingeführt wurde – damals hieß sie Warenumsatzstempel – sich dagegen gewandt, “da eine solche Steuer nicht am Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichtet und damit die ärmere Bevölkerung verhältnismäßig stärker belaste als direkte Steuern, die im Gegenzug vorgeschlagen wurden”. Doch, es ist kurzweilig und hochinteressant durch Wikipedia zu browsen.

Aber sagt mal: Merkt Ihr gar nichts? M! Bei vielbändigen Lexika steht dieser Buchstabe üblicher Weise rechts ganz oben im Regal. Was für herrliche Dehn- und Streckübungen wären das gewesen, hätte man dazu jedes Mal aufstehen und ein schweres Buch herunterholen müssen!

Aber jetzt ist Freitag. Und am Schreibtisch hat man die ganze Woche über im Wesentlichen nur den rechten Zeigefinger zum Klicken bewegt.
Und Rotwein getrunken hat man dabei auch wieder – einen besonders guten. Oder wie Ihr es formuliert: “Dieses Wissen kennzeichnet den Bordeaux-Kenner: Man spricht mit Bezug zum Merlot über Weine vom “Rechten Ufer” [der Dordogne] beziehungsweise Weine vom “Linken Ufer”.” Jenes heißt Medoc. Und von daher kommen die Cabernet-betonten Weine. Schön wie Ihr das mit dem Cuvée erklärt.

Allerdings hilft das jetzt auch nicht mehr. Wenn man sich die ganze Woche nicht bewegt, macht sich der gute Rote an den Hüften bemerkbar. Und deshalb heißt es morgen früh wieder: Raus zum Joggen!

Es ist übrigens sehr hübsch, wenn man sich dazu seien PDA in die Tasche der Trainingshose steckt. Mit Wikipedia drauf. Dann kann man unterwegs nachlesen, dass es im Siebenmühlental entgegen des Namens 11 Mühlen gibt. “Der römische Baumeister und Ingenieur Vitruv beschreibt in seiner “architectura” aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. erstmalig das Prinzip der Wassermühle”, heißt’s bei Euch.

Ihr Klugschwätzer! Wenn Ihr wie Eure Kollegen vom Brockhaus in der Lage gewesen wärt, Euer Lexikon zu drucken, dann hätte man an den vergangenen Samstagen allein schon für das M 5 Kilo dabei gehabt. Da wäre man heute rank und schlank und könnte sich vielleicht sogar morgen die Plaggerei ersparen.

Nein, kommt jetzt nicht mit Matthäus, Kapitel 5, Vers 4 daher: “Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.” Weil: morgen in aller Herrgottsfrühe beim Joggen wird’s nur trostlos sein. Und zwar wegen Euch.