Betrifft: Betreffzeile

Der Herbst, das ist die Zeit, in der die Tage wieder kürzer und trüber werden. Da hält der Mensch gerne Einkehr und blickt zurück, was das Jahr bislang mit sich gebracht hat.

Und wenn es sich um einen eher ängstlichen Menschen handelt, der stets ein bisschen zusammenzuckt, wenn ihm ein Microsoft-Programm anbietet, etwas “automatisch für Sie” zu erledigen, dann kommt er da auch gar nicht umhin. Dann ist der Posteingangsordner so voll, dass Outlook unter der Last ganz müde geworden ist und sehr, sehr lange zum Starten braucht.

Das Jahr ist ja auch schon viele Tage alt. Genügend Zeit für noch viel mehr Mails, sich in dem Ordner einzufinden. Dann muss man wirklich mal archivieren.

Und deshalb passiert meist im September das Jahr noch einmal Revue. Mails zu archivieren, ist eine schöne und beschauliche Beschäftigung, gerade das Rechte für einen melancholischen Herbsttag.

Schließlich können Betreffzeilen wunderbare Geschichten erzählen und einem Lebensweisheiten näher bringen. Im Posteingangsfach finden sich beispielsweise sehr lyrisch überschriebene Pressemitteilungen. “Drum prüfe, wer sich ewig bindet”, lautet etwa der Betreff einer Mail.

Da stellt man sich doch vor, wie die heutige PR-Beraterin früher Germanistik studiert hat, um später einmal große Romane voller Sehnsucht und tragischer Schicksale zu schreiben. Wahrscheinlich aber hat’s dazu dann nicht gereicht. Und deshalb muss sie jetzt ihr tristes Dasein mit dem Verfassen von Pressetexten über Büroprogramme fristen, die völlig unromantische Krämerseelen nicht gleich voll bezahlen, sondern erst einmal testen wollen. Prüfen halt.

“Software zum Anfassen” hat ihre nicht minder phantasiebegabte Kollegin gedichtet. – Ein Traum, den man selbst vor vielen Jahren auch geträumt hat, als man erstmals bei einer IT-Redaktion angefangen hat und sich unter Software-Layern und -Bussen nichts Rechtes vorzustellen wusste. – In der Mail wird die Roadshow eines ERP-Anbieters angekündigt.

Eine andere versucht’s mit ein bisschen Frivolität: “Lust auf Kama Sutra?” – In diesem Fall würden auch gelenkige Menschen nein sagen. Denn mit Kama Sutra ist ein Internet-Wurm gemeint, gegen den ein Softwarehaus sein Schutzprogramm feilbietet.

Welch güldenen Federn ist da doch die Literatur verlustig gegangen! Und wie trostlos muss deren Leben zwischen Produkt-Flyern und Datenblättern verlaufen. Anstatt dass es angefüllt wäre mit Gedichten und fein formulierter Prosa. Es ist traurig und schön.

Gut, es geht auch mit weniger Herzblut: 47 Mails mit der stets gleichlautenden, uninspirierten Betreffzeile “HP Presse-Informationen” sind heuer aufgelaufen. Die sind natürlich nicht so anregend.

Dann gibt es da aber noch die Absender, die sich aus ganz anderen Gründen als die schöngeistigen PR-Agenturen um die hohe Kunst der Betreffzeile verdient machen, allerdings nicht minder ambitioniert. “Sie haben 5000 Euro gewonnen”, vermeldet ein gewisser “Dringend”. Und “Ihre Telekom Rechnung” schreibt: “Telekom Nachzahlung!” 2300 Euro sollen’s sein.

Social Engineering nennt sich deren Genre. Mit einem einzigen Klick auf das Attachment könnte man sich davon überzeugen, dass die hehre Kunst und vor allem die Betreffzeilenlyrik immer mit Geld zu tun haben. Sehr lehrreich wäre das, aber eben auch sehr teuer.

Überhaupt scheint es ja, nur zwei zwingende Motive im Leben des Menschen zu geben. Und auf die rekurriert denn auch die moderne Subject-Art. Mit dem zweiten arbeitet die Mail von “Laura”: “Oben Ohne Fotos von Deiner Nachbarin ;-)”.

Und weil es mit der praktischen Umsetzung jenes zweiten Motivs auch etwas hapern kann, kommt das erste bei einer weiteren Absendergruppe umso mehr zum Tragen: “uegayVijagra” schreibt “Kirill Arrey” in die Betreffzeile. “wiiifVdAGRA” buchstabiert es “Ihsan Drennen”. Erhellend ist so ein Schnelldurchlauf durch die Mails des Jahres!

Kalle hat auch eine geschickt – an einem Sonntag-Nachmittag um 15:09 Uhr. Der heißt wirklich so und ist Redakteur bei einer großen Rundfunkanstalt. “Vielleicht eine Glosse für morgen” steht in der Betreffzeile, dahinter ein Fragezeichen.

So drückt sich Kalle immer aus, wenn er versucht, höflich zu sein. Er meint damit, dass er unter allen Umständen diese Glosse für die Sendung Montagfrüh braucht. Daraus ersieht man, dass festangestellte Journalisten meist sehr unorganisiert sind.

“Kommt nun die Glosse oder nicht” hat Kalle dann noch, am gleichen Sonntag um 18:47 Uhr, gemailt – mit fünf Frage- und zwei Ausrufezeichen. Ja, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und dass sie es sind, die anschaffen, dessen sind sich Redakteure stets bewusst.

Was sie trotzdem so sympathisch macht, ist, dass sie über oft große Honorartöpfe verfügen können. “Glosse war prima” heißt es in der Betreffzeile der Mail vom darauffolgenden Montag. Doch, der ist schon in Ordnung, der Kalle. Und die Kontonummer des Glossenschreibers kennt seine Sekretärin ja auch.

Ein gewaltiger Preiskampf tobt heuer in der Mobilfunkbranche. “Halbieren Sie Ihre Handy Rechnung” fordert die Betreffzeile einer Mail auf. Und von “… für 0,- Euro*” ist häufig die Rede. Das “*” steht für das, was es dann wirklich kostet.

Das ist schon verlockend. Eine Mail, betreffend “Informationen über Ihre PIN-Nummer” erhält man, wenn man nicht widersteht. Und wenn man anmahnt, dass es mit dem Telefonieren nicht funktioniert, dann kann es sein, dass es heißt: “Mail delivery failed returning message to sender”. Doch, Mails zu archivieren, kann sehr lehrreich sein.

Und dann ist auch noch die von vor zwei Tagen – Betreff: “Rezept – Entrecote”. Jenes wird am Wochenende in Zweisamkeit bei einer Flasche Merlot in die Praxis umgesetzt. Das ist denn auch die schönste Erkenntnis aus der septemberlichen Mailarchivierung: Auch der Herbst hat noch schöne Tage.