Die Scheußlichkeiten der Cyberworld

Man muss sich das in etwa so vorstellen: Du bist allein. Hinter dir das dunkle Labyrinth. Und vor dir dieses Tor. Du weißt genau: Dahinter lauert das absolute Hypermonster. Aber du hast ja die Pumpgun dabei. Das Tor öffnet sich…

Was dann folgt, ist ein blutiges Massaker. – Gut, es ist nicht in Ordnung, jemanden nur so zum Spaß einfach niederzumetzeln, selbst wenn es sich dabei bloß um ein Pixel-Ungeheuer handelt.

Aber die Alten, die sich heute über die Computerspiele der Youngsters ereifern, sollen sich nicht so haben. Denn als die klein waren, saßen sie auch bei der Oma auf dem Schoß und haben mit leuchtenden Augen zugehört, als die ihnen Schneewittchen vorlas. Das ist die, deren böse Stiefmutter sich am Ende in glühenden Schuhen zu Tode tanzen musste.

Dagegen nimmt sich doch der Kugelhagel, in dem das Monster sein digitales Leben aushaucht, fast schon wie ein Gnadenschuss aus. Der Schauder spielt halt seit jeher in der kindlichen Phantasiewelt eine wichtige Rolle.

Meist stecken die Kleinen das auch ganz gut weg. Zumindest ist kein Fall bekannt, dass die mittelalterliche Rechtsauffassung von Schneewittchen eine Rotznase so verdorben hätte, dass sie später als Erwachsener beispielsweise nicht hätte Anwalt in einem zivilisierten Rechtsstaat werden können.

Vielleicht fahren die Halbwüchsigen ja aber bloß deshalb derart auf Computerspiele ab, weil die so herrlich nutzlos sind. Weswegen es denn auch keine Eltern gibt, die sie dabei zu höheren Leistungen antreiben würden. – Computerspiele sind Spaß pur.

Sowas findet man heutzutage ja nur noch selten. Im Gegensatz zu früher. Damals ist man beispielsweise Radl gefahren, einfach weil’s Freude gemacht hat.

Das allerdings ist bestimmt nicht das Motiv der Hochleistungs-Radler, die einen heute fast überall umzufahren drohen. Jener seltsamen Gestalten im knallengen Overall mit Polsterung am Hinterteil und Schutzbrille knapp unterhalb des Helms. Dass die keinen Spaß beim Radeln haben, ist unschwer an ihrem Gesichtsausdruck erkennbar. Der ist mindestens so verkrampft wie der eines blutüberströmten Hypermonsters, bevor ihm im Kugelhagel der Blick bricht.

Oder kochen. Kochen ist schön. Man probiert Neues aus, testet dabei ausgiebig den Rotwein für die Soße. Und wenn es geklappt hat, dann freut man sich, dass man etwas Gutes zustande gebracht hat, und isst es auf. Das ist nicht entfremdete Arbeit, wie man es in den 70ern formuliert hätte, also eine reine Freude.

Was aber macht der flache Zeitgeist daraus, wie er etwa in Deutschland von einem Dutzend privater Fernsehstationen täglich mittels elektromagnetischer Wellen verbreitet wird? – “Kochduell” hieß bis vor kurzem eine äußerst quotenträchtige Sendung auf VOX.

Selbst aus der Nahrungszubereitung schaffen es einige Leistungsfanatiker einen Wettkampf zu machen. Kultivierten Menschen wiederum kann sowas leicht auf den Magen schlagen.

Am konsequentesten drückt sich der Zeitgeist im Slogan – wie könnte es anders sein – der Deutschen Bank aus: “Leistung aus Leidenschaft”. – Wie verarmt muss jemand emotional sein, in dessen Gefühlshaushalt der abstrakte Quotient von Arbeit durch Zeit, also die Leistung, eine zentrale Stellung einnimmt!

Dass dieses Geldhaus in Sachen Kundenfreundlichkeit eher ein Underperformer ist, macht es auch nicht besser. Im Gegenteil: Gerade jene halten für gewöhnlich die Leistung besonders hoch, die nichts zuwege bringen.

Oder lernen. Lernen ist die schönste – na ja, vielleicht nicht ganz, aber doch die zweitschönste – Sache der Welt. Ein Hochgefühl ist es, etwas begriffen zu haben. Und man lernt natürlich am besten von anderen Menschen. Das macht Spaß!

In den anderen aber sollen die Lernenden heutzutage in erster Linie lästige Konkurrenten sehen. Sie sollen, wenn möglich, nicht an normalen und ordentlichen Hochschulen, sondern an – qua Definition – relativistischen Elite-Unis studieren.

Das will die stets etwas verquast daherredende Bundesbildungsministerin, die aus vielleicht nicht immer sehr effizienten, aber meist doch ganz prächtigen Elfenbein- schnöde Leuchttürme machen möchte. Da braucht man sich doch nicht zu wundern, wenn Youngsters sich aus dieser freudlosen Welt zurückziehen und statt dessen am PC lustvoll Monster meucheln.

Was einem dann aber doch bitter aufstößt, das sind diese World Cyber Games, die am Wochenende zuende gegangen sind, die inoffiziellen Weltmeisterschaften der E-Sportler. Jene mähen digitale Scheusale nicht bloß so zum Spaß nieder, sondern um besser zu sein als andere Monster-Meuchler.

Die sportwissenschaftliche Fakultät der Uni Stuttgart führt zu diesem Thema gerade eine Untersuchung durch. Diese E-Sportler interessierten sich überhaupt nicht für die Hypermonster, sagen die Wissenschaftler. Die hingen keinen Gewaltphantasien an. Was sie motiviere sei vielmehr der Wille, Leistung zu zeigen.

Auf der Site der World Cyber Games kann man’s denn auch sehen: Mit 1/1/3 (Gold, Silber, Bronze) rangiert die deutsche Mannschaft auf Platz 5 im Medaillenspiegel.

Abartig ist das doch. Und für so einen Quatsch müssen prächtige Phantasie-Scheusale im virtuellen Kugelhagel verbluten.