Die große IT-Familie

Sommer. Ferien. Die Zeit, in der Familien gern ihren Lebensmittelpunkt nach Süden verlegen. Ans Meer. Und so hält es auch die große IT-Familie.

Und so hält es auch die große IT-Familie. Wunderbare Pressekonferenzen an der Côte d’Azur gab‘s in diesen Tagen wieder. Die Ernährer wollen es so – die Unternehmen. Sie wollen ihren Journalisten etwas Gutes tun. Damit die gut über sie schreiben. Und das machen die meisten ja auch gerne. Ein wohlgeratener Nachwuchs! Lauter kleine Sonnenscheins!

Sie gedeihen prächtig in einer Branche, in der liebe Menschen (“Was immer wir machen, machen wir für die Kunden” – Headline eines Managerporträts) tolle Produkte (“ATIs neuer 3D-Knaller”) für glückliche Käufer herstellen (“Zu den Highlights der größeren Bedienerfreundlichkeit gehören …”). Oder, um es auf einen geradezu klassischen Satz aus einer renommierten PC-Zeitschrift zu bringen: “Die Mannschaft entwickelt anwenderfreundliche und praxistaugliche Hightech-Lösungen.”

Die Sonne der Côte d’Azur muss den Schreibern ins Herz geschienen haben, als sie solch wohlgesetzte Liebeslyrik zu Papier brachten. Es ist aber auch eine glückliche Familie – die große IT-Familie.
Da sitzen noch mehrere Generationen am Tisch – abends nach der Pressekonferenz im gepflegten Straßenrestaurant an der Strandpromenade. Die Jungen: der journalistische Nachwuchs, um die 30 meist. Die Ernährer-Generation: dynamische Managertypen allesamt, stellvertretender Marketingleiter Central Region oder Vice President Peripherals, Männer und Frauen in den besten Jahren mit schon einer imposanten Karriere hinter und einer vielleicht noch imposanteren vor sich. Und die Alten: Journalisten, hoch in den 40ern, die sich bei solchen Gelegenheiten wieder treffen und von früher erzählen.

Ja, ja, lang ist’s her. Als man noch geglaubt hatte, man hätte eine besonders kluge Frage gestellt, weil ein amerikanischer Manager die Antwort mit “excellent question” begann. Alles braucht halt seine Zeit. Bis man drauf kommt, dass der Amerikaner das nur sagt, damit er mehr Zeit zum Nachdenken hat – wie er einen jetzt aber mal so richtig veräppeln kann.

Die Alten haben ja schon viel erlebt. Jeder war schon einmal Chefreporter, Stellvertretender Chefredakteur, Chef vom Dienst, Chefredakteur … Manche sogar mehrmals.

Und auch das braucht seine Zeit. Bis man drauf kommt, dass einen der Verleger nur dazu gemacht hat, um einen besser veräppeln zu können. Einen Operetten-Titel zu verleihen, kommt jenen schließlich wesentlich günstiger, als ein angemessenes Gehalt zu zahlen.

Ob es stimmt, dass Eitelkeit Menschen intellektuell hilflos macht, blind für die eigenen Interessen? Und dass die Funktionsweise großer Bereiche der Gesellschaft darauf beruht? – excellent question …

Die hochbetagten Journalisten halten sich bei derartigen Gelegenheiten vor allem an den Rotwein, den das einladende Unternehmen stets reichlich auffahren lässt. Einen 1999er Beaujolais diesmal – ein sehr guter Jahrgang.

Die jungen hingegen sind laut. Das sind Kinder nun mal, wenn sie spielen. Kleine Jungs, so um die 5, geben dabei ja mit Vorliebe den Gewaltmenschen. Sie spielen Spiderman, Top Gun oder Dark Rider. Dann kämpfen sie, massakrieren die Feinde und siegen. Knallhart und unerbittlich. Sowas geht nicht leise.

Und kleine Jungs um die 30 spielen “Tschurrrnalist”. Dann recherchieren sie, machen Headlines und kommentieren. Knallhart und unerbittlich. Auch sowas geht nicht leise. Vor allem nicht Abends im gepflegten Restaurant, wenn sie davon erzählen.

Eigentlich müsste unter den kleinen Gewaltmenschen ja der Familienfrieden leiden. Aber zum Glück gibt es da die manchmal doch sehr mütterlichen Pressesprecherinnen. Frauen können ja zu kleinen Jungs scheinbar aufblicken, während sie sich zu ihnen hinunterbeugen. Sie können den kleinen Jungs glaubhaft versichern, sie seien ganz tolle Burschen, und sie gleichzeitig sanft aber bestimmt in die Richtung lenken, die sie wollen. (Dass sie das mit Männern hoch in den 40ern auch können, ist ein großes Problem, aber ein anderes Thema.)

Die mütterlichen Pressesprecherinnen jedenfalls nehmen die kleinen Tschurrrnalisten bei der Hand, damit sie nicht zu den Pressekonferenzen anderer Unternehmen gehen. Und sie sorgen dafür, dass sie wieder ganz lieb sind, wenn sie ihren Artikel von der Veranstaltung schreiben. Um die journalistischen Fossilien hingegen kümmert sich niemand. Die sind auch gar zu absonderlich. Die bekommen hier quasi nur ihren Gnaden-Beaujolais.

Bloß die paar Techniker, die Randfiguren von großen IT-Events, die freuen sich meist, dass sie jemanden gefunden haben, mit dem sie sich über die Dinge unterhalten können, mit denen sie täglich befasst sind. Und die Fossilien freuen sich darüber, dass sie das mit der ‘Cache-Kohärenz’ bei dieser Architektur jetzt doch noch begriffen haben, und über das wunderschöne White Paper, in dem das ganze noch einmal auf 117 Seiten kurz zusammengefasst ist.

Deshalb sind auch die Alten abends im gepflegten Restaurant sehr zufrieden und im Reinen mit sich und der Welt. Versonnen träumen sie dann ihren Lieblingstraum: an einem Ort wie diesem die Geschichte der IT zu schreiben.

Man schreibt 100 Seiten. Und dann holt man Rotwein. Dann schreibt man wieder 100 Seiten …

Apropos Rotwein. Der 99er Beaujolais ist wirklich ausgezeichnet. Damit könnten die einen wirklich bestechen. Wenn man bestechlich wäre. Aber gute Journalisten kann man nicht bestechen. Es sei denn durch Information.