Bahn, Bug, Bon

Alle reden … nein, nicht vom Wetter, von der Bahn natürlich. So sind die Leute halt. Man spricht eigentlich recht selten von den schönen Dingen im Leben. Lieber über das, was einen ärgert.

Und worüber soll man sich auch im Zug mit jemanden unterhalten, der – wie man selbst – gerade per Durchsage erfahren hat, dass er wieder mal mindestens drei Stunden zu spät ankommen wird? Weil der Anschlusszug wegen der zu großen Verspätung nicht warten kann.

Über den Ästhetik-Begriff der Klassik vielleicht? Dann halt schon eher über “die Sch…bahn, die es wieder mal nicht auf die Reihe kriegt”.

Und deshalb genießt die Deutsche Bahn AG derzeit eine außerordentlich große “Awareness” – um es auf den Marketing-technischen Begriff zu bringen. (Wobei man an diesem Beispiel auch recht deutlich sieht, was Marketing-Technik eigentlich taugt.)

Aber mal grundsätzlich: Die Bahn ist schon ein bemerkenswertes Unternehmen. Das High-tech-Unternehmen schlechthin – immer und überall.
Sämtliche Aspekte der Hochtechnologie werden an der Bahn exemplarisch deutlich. Zuerst einmal, dass es sich dabei grundsätzlich um etwas Nützliches handelt.

Beispielsweise gibt’s da ja immer diese Dynamiker – vorzugsweise im mittleren IT-Management – die, die ständig darüber klagen, dass man auf deutschen Autobahnen nicht vorankommt – wegen Baustellen, Sonntagsfahrern, Geschwindigkeitsbeschränkungen … Leute, die ihre gut bezahlte Zeit hinter dem Steuer eines prinzipiell schnellen, aber wegen obigem dann halt doch nicht schnell fahrenden Dienstwagens verplempern.

Man sollte ihnen diesen wegnehmen und statt dessen eine Netzkarte geben. Dann könnten sie während der Bahnfahrt ein oder zwei jener wunderbaren White Papers lesen, die man sich heute aus dem Internet herunterladen kann. Sehr viel Unsinn, der auf Konferenzen und Meetings so erzählt wird, bliebe dadurch ungesagt.

Und dann natürlich der Zusammenhang von Technik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der wird glasklar, wenn man die Bahn vor Augen hat. Im Prinzip ist so eine Lokomotive ja nichts anderes als die jeweils Epoche machende Maschine auf Rädern.

Am Anfang war’s die Dampfmaschine. Und heute ist so ein ICE eigentlich ein rasender Hochleistungsrechner.

Das heißt, mit dem Rasen hat er’s zur Zeit gerade nicht so sehr. Eher mit dem Sich-verspäten und mit dem Repariert-werden. Deswegen redet jetzt ja niemand mehr vom Wetter.

Aber beim Workaround – um den ICE-Bug – setzt die Bahn ebenfalls auf IT: Auch über die aktuelle Verspätungslage – so ihre jüngste Ankündigung – wird man sich künftig im Internet informieren können. Das ist doch innovativ!

Technik und Geld: Das Bankwesen war zu Beginn der Neuzeit eine Erfindung der italienischen Kaufmanns- und Seefahrer-Städte. Daher klingen die ganzen finanztechnischen Begriffe heute noch so italienisch: Lombard, Diskont, Disagio …

Das Industie-Zeitalter wiederum brachte die Aktie mit sich. (Die Dot.com-Aktie hingegen ist ein Produkt der New Economy und markiert daher auch ein eher trauriges Kapitel.)

Und die Bahn revitalisiert derzeit gerade die Gutschein-Ökonomie. Pro 30 Minuten Verspätung bekommt man einen 10-Euro-Bon. (Aus juristischen Gründen – siehe unten – soll hier nicht darüber spekuliert werden, welcher Prozentsatz der Fahrkartenverkäufe mit Gutschriften beglichen wird.)

Technik und Kultur! Bedeutende Werke der Weltliteratur wären ohne die Bahn schlechterdings undenkbar. Etwa der “Mord im Orientexpress”. Oder das vor allem im Südwesten Deutschlands beliebte lyrische “Auf de schwäb’sche Eisenbahne …”

Aktuell macht sich die Bahn ja gerade um den Gebrauch der Tempora verdient. Sie hat bereits den DB-eigenen Imperfekt der Zukunft entwickelt. “In Kürze wird erwartet der ICE …”, hört man in jüngster Zeit sehr oft auf überfüllten Bahnsteigen und dann: “Ankunft war …”

Wenn sich ein System in der Krise befindet, wird es aggressiv. Hartmut Mehdorn – obwohl von seinem Äußeren her eher der Papa Hesselbach unter den deutschen Managern – er will jetzt per Gericht seinem Fan-Club Pro-Bahn die Aussage verbieten lassen, die Hälfte der Kunden zahle bei dem neuen Preissystem zu viel.

Recht hat er. Weil: Das würde ja implizieren, dass es die andere Hälfte mehr oder weniger blickt.

Das neue DB-Preissystem ist wie manches große, virtuos programmierte Softwaresystem. Es würde glänzend funktionieren. Wenn da nicht diese Anwender wären, die sich einfach nicht in die Gedankengänge der Entwickler hineinversetzen mögen.

Und die Bahn zeigt: Das Wichtigste an der Technik ist, dass man sie beherrscht. Beziehungsweise, was passiert, wenn man sie nicht beherrscht, das zeigt die Bahn auch.

330 Stundenkilometer macht der neue ICE. Das ist so wie ein übertakteter Prozessor. Bei dem passiert es nämlich leicht, dass ein Signal abgegriffen werden soll, bevor es da ist. Und dann stimmt nix mehr.

Und genauso ist’s bei der Bahn und ihren mit über 300 getakteten Fahrplänen. Deswegen war man früher, als die ICEs eine Höchstgeschwindigkeit von 280 hatten, schneller als heute mit 330.

Und der Bahn-Bug ist schlimmer als der von Chips. Weil: Wenn Intel jetzt seine 3-Gigahertz-schnellen Pentium 4 nicht bringt, dann wird die niemand wirklich vermissen. Vor allem, da die zuverlässigen mit 2,4 Gigahertz gerade zu Ausverkaufspreisen verramscht werden.

Bei Chips gibt’s Alternativen. Aber zum ICE von Köln nach Frankfurt?

Ebenfalls wegen der höheren Geschwindigkeit seitens der Konkurrenz über den Wolken, versucht die Bahn sich das ‘Look and Feel’ einer Fluglinie zuzulegen. Der Lokführer begrüßt einen inzwischen ja auch immer über Lautsprecher an Bord – wie der Kapitän von einem Jumbo – auf Englisch.

Aber sein Akzent gibt einem dann doch meistens ein sehr heimeliges Gefühl. Na ja, es kann ja nicht jedes Unternehmen beim Abkupfern so fit sein wie Ratiopharm oder Microsoft.

Und noch was zeigt die Bahn – etwa auf der Strecke Messe Köln – Flughafen Frankfurt. Wenn man beispielsweise die mit dem ICE zurücklegen will, dann wird man feststellen, dass das Abfahrtgleis laut Ausschilderung eigentlich gar nicht existiert.

Mit einigen Entry-level-tools – einer Hinweistafel, einem Pinsel und etwas Farbe – ließe sich die Konsistenz von Realität und Beschilderung leicht herstellen. Und auch das ist doch wie in der IT: Um Bugs zu produzieren, braucht man nicht einmal High-tech. Und um sie zu beheben, meist auch nicht.