Soll ich, oder soll ich nicht? Die Linux-Angst geht um

Eine Woche nach dem jüngsten Vorstoß von SCO im Linux-Streit macht sich immer größere Verunsicherung über rechtliche Unwägbarkeiten beim Einsatz von Open-Source-Software breit

Eine Woche nach dem jüngsten Vorstoß von SCO im Linux-Streit macht sich immer größere Verunsicherung über rechtliche Unwägbarkeiten beim Einsatz von Open-Source-Software breit. Die IT-Verantwortlichen vor allem in großen Unternehmen fragen sich, ob sie aktiv werden sollten und wie man in anderen Firmen mit der Frage wohl umgeht.
Eine Antwort – zumindest für den Einsatz auf Webservern – versucht die aktuelle Studie von Netcraft zu geben. Danach verbreitet sich Linux entgegen den Erwartungen ungebremst weiter. Neben dem internationalen US-Finanzdienstleister Charles Schwab sind innerhalb der vergangnen beiden Monate beispielsweise auch die Deutsche Bank und T-Online mit ihren Websites auf Linux-Server umgezogen. Während Schwab und T-Online von Sun Solaris kamen, wurden bei der Deutschen Bank verschiedene Windows-Plattformen abgelöst.

Natürlich sagt die Verwendung von Linux auf Webservern nichts über den Einsatz in unternehmenskritischen Bereichen aus. Immerhin hat Charles Schwab hohe Ansprüche an die Verschlüsselung von Finanzdaten – das Linux-System muss hier also auch intensive SSL-Arbeit leisten. Jedenfalls scheinen die Konzerne sich nicht verstecken zu wollen. Unter den regelmäßig untersuchten 24.000 Websites kamen zu Netcraft weitere 100 hinzu, die nun auf Linux-Servern liegen. “Der von SCO erwünschte Effekt, Unternehmen von Linux abzuhalten, ist bisher nicht eingetreten, heißt es bei Netcraft.

Unterdessen zeigt die Strategie des “Fear, Uncertainty and Doubt”, der IT-spezifischen Verunsicherung der Anwender, zumindest bei den Analysten der Gartner Group ihre gewünschte Wirkung. Sie raten ihren Kunden inzwischen, die Entwicklung von unternehmenskritischen Linux-Applikationen vorerst aufzuschieben, bis die Ansprüche von SCO geklärt seien. Man solle doch prüfen, ob nicht Unix- oder Windows-Plattformen gleichwertige Dienste tun könnten.

Wer sich ohnehin in Unix- oder Windows-Umgebungen bewege, der solle sich vorerst nicht nach Alternativen umschauen, rät Gartner. Die derzeitige Situation könne Unix einen Revitalisierungsschub bescheren und Microsoft nutzen, heißt es weiter. Sun könne dadurch seine Solaris-Plattform mit neuem Leben füllen. Offenbar gelten all diese Szenarien bei Gartner inzwischen als wahrscheinlicher als bisher.

Trotzdem raten die Analysten noch nicht dazu, schon jetzt Unix-Lizenzen von SCO zu kaufen, um sich vor Ansprüchen wegen Urheberrechtsverletzungen zu schützen. Lizenzpreise hat SCO dafür noch nicht genannt. Gartner nennt jetzt die Größenordnung von 500 bis 700 Dollar je Server. Sobald größere Anwenderunternehmen sich einer solchen Forderung beugen würden, um Rechtsstreitigkeiten von vornherein zu vermeiden, fürchtet Gartner einen Domino-Effekt quer durch die gesamte Anwenderlandschaft.

IBM hat darauf inzwischen mit einem ungewöhnlichen Schritt reagiert und seine Vertriebsmannschaft per Memo instruiert. Sie sollen den Kunden klarmachen, dass die SCO-Forderung auf “ungerechtfertigten Drohungen” beruhe, die “jeglicher Grundlage entbehren”. Normalerweise würde der Vertrieb nicht so deutlich aufgefordert werden, die Haltung des Konzerns zu verbreiten. Beobachter werten das als Zeichen, dass das Lizenzangebot von SCO doch erheblich an den Nerven des Managements in Armonk zerrt. IBM-Vertriebsmitarbeiter berichten inzwischen von Kunden, die bereits über den Erwerb von SCO-Lizenzen nachdenken.

Ins Fadenkreuz der SCO-Anwälte könnten aber nicht nur tausende von Unternehmen geraten, sondern auch die US-Regierung. Die IT-Verantwortlichen im Weißen Haus sind bekannt für ihre Vorliebe für Open-Source-Produkte. Die präsidiale Website, gehostet von Akamai, liegt auf einem Linux-Server mit Apache-Webserver. “Wenn das Weiße Haus Linux einsetzt, dann gehört auch die Regierung zu unseren potenziellen Kandidaten”, stellte ein SCO-Sprecher schon mal vorsorglich klar.