IP-Telefonie: Vom ungeliebten Wunderkind zum Wirtschaftsfaktor?

Seit Jahren prophezeien Analysten der IP-Telefonie eine goldene Zukunft – die bislang nicht eingetreten ist. Eine inzwischen zuverlässige Technik und finanziell messbare Vorteile könnten das bald ändern.

Längst ist es kein Geheimnis mehr, dass die Übertragung von Sprache über Datenleitungen ein Zukunftsthema darstellt. Zahlreiche Versuche und Präsentationen belegen: Die technische Entwicklung ist abgeschlossen, die Funktionalität gegeben, der erfolgreichen Marktperformance steht eigentlich nichts mehr im Weg. Trotzdem zögern die Kunden – statt einer neuen Erfolgsgeschichte schreibt die IP-Telefonie derzeit bestenfalls einige Kapitel im IT-Geschehen. Das soll sich aber bald ändern, meint zumindest der Professional Service Director beim Netzwerkdienstleister Equant, Rudolf Kühn. “Die Kunden sehen, dass IP-Telefonie einen wirklichen Mehrwert bringen kann.”

Tatsächlich gehen laut einer Equant-Studie 70 Prozent der IT-Entscheider in den europäischen Unternehmen davon aus, dass IP-Services in den kommenden Jahren Priorität haben werden. Analysten des Marktforschungsunternehmens IDC prophezeiten, dass der Einsatz von IP-Diensten in europäischen Unternehmen in den nächsten Jahren um rund 60 Prozent zunehmen werde; die Experten von Techconsult rechnen mit einem durchschnittlichen Wachstum von 13,7 Prozent für den deutschen IP-Telefonie-Markt. Ebenso optimistisch ist man bei Siemens. In der Abteilung Strategie und Planung schätzt man, dass der Markt für IP-Telefonie in den kommenden Jahren welt- und auch europaweit jährlich um 40 Prozent wachsen wird. Allerdings, so die Einschränkung, sei diese Zahl deshalb so hoch, weil man derzeit von einer sehr niedrigen Basis ausgehe.

Deutscher Markt – schwieriger Markt

Gute Aussichten also für Anbieter, die sich nun speziell auf Serviceleistungen konzentrieren müssen. Und gerade Equant will hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Zwar habe man es auf dem deutschen Markt besonders schwer, räumt Kühn ein, da wegen des ausgebauten ISDN-Netzes der Telekom der Druck auf die Unternehmen, sich mit der neuen Technologie auseinander zu setzen, nicht so stark sei wie in anderen Ländern. Mit ausgefeilten Service-Level-Agreements bei denen Beratung, Consulting, Implementierung und Wartung inbegriffen sind, will man dennoch auch deutsche Unternehmen als Kunden gewinnen.

Kühn: “Wir garantieren eine durchgängig gute Sprachqualität, die Verfügbarkeit des Service und geringe Reparaturzeiten.” Außerdem soll sich die Variation in der Verzögerung in Grenzen halten. Der große Vorteil, den dieses Unternehmen dabei hat, ist die Tatsache, dass man nicht auf einen Partner angewiesen ist. Switches und Router liegen in der Hand des Unternehmens, nur die Leitungen haben andere Besitzer. Zur Überwachung der SLAs bekommen Equant-Kunden ein Tool namens Web Vision, mit dem die Qualitätsparameter in Echtzeit abgerufen werden können.

Einsparungen für Unternehmen

Der Umstieg auf IP-Telefonie soll Unternehmen vor allem deutliche Einsparungen bringen. Allein im Messaging-Bereich schätzt der Dienstleister, dass die Nutzung von IP-Services eine TCO-Ersparnis in Höhe von 20 bis 30 Prozent bringen kann. Der Netzwerkspezialist Cisco, einer der wichtigsten Partner von Equant, nützt an seinem Standort im kalifornischen San Jose heute nur mehr IP-Telefone. Auch die deutsche Niederlassung des spanischen Mobilfunkbetreibers Telefonica ist auf den VoIP-Zug gesprungen, deren Mitarbeiter müssen sich nun komplett auf die Cisco-Lösung einstellen.

“Man braucht eben für mehrere Standorte nur noch eine Telefonanlage”, bringt Equant-Manager Kühn einen der Vorteile der IP-Telefonie auf den Punkt. Und das ist vor allem bei Umzügen oder der Eröffnung neuer Filialen ein entscheidender Kostenfaktor. Mit einer Einschränkung, so Kühn: “Je größer der Standort, desto geringer sind die Einsparungen.” Kostenmindernd wirkt bei der IP-Telefonie auch die Tatsache, dass das jeweilige Unternehmen nur die Bandbreite bezahlt, nicht aber das Datenvolumen. Damit bleiben die Ausgaben überschaubar und lassen sich besser kalkulieren.

Die zweite Generation

Nicht jeder Anbieter hält freilich das Kostenargument für ausreichend, um der IP-Telefonie zum lang erwarteten Hype zu verhelfen. Bei Siemens sieht man den eigentlichen Hebel für einen Boom im sogenannten 2gIP (Second-Generation-IP), das über die bloße Optimierung der Infrastruktur hinaus geht. “Wir sehen, dass viele Geschäftsprozesse an den Kommunikations-Schnittstellen derzeit nicht optimal laufen,” erläutert Michael Meyer, Senior Vice President der Siemens-Sparte Communication Enterprise. “Aber wenn Sprachfunktionen über Datennetze laufen, kann ich sie aus einer beliebigen IT-Applikation heraus ansprechen. Die Kommunikationsfunktionalitäten können damit besser in die Geschäftsprozesse eingebunden werden.”

Heute sind oftmals mehrere Versuche notwendig, bis ein Bearbeiter einen Kollegen erreicht, von dem er eine wichtige Information benötigt. Mit Hilfe von ‘Second-Generation-IP’ wird in diesem Fall in einer Datenbank nicht nur eine Liste aller am jeweiligen Projekt beteiligten Mitarbeiter erstellt, sondern auch ihre aktuelle Erreichbarkeit angegeben. Meyer: “So kann der Bearbeiter jeden direkt ans Telefon bekommen oder über andere Medien wie etwa Instant Messaging in Echtzeit erreichen – und das beschleunigt Geschäftsprozesse ganz enorm.” Gerade kleine Unternehmen könnten von einer solchen Prozessoptimierung profitieren. Dass die IP-Telefonie jetzt erst vor dem eigentlichen Boom steht, ist für Meyer offensichtlich: “Die Wirtschaftlichkeit der Umrüstung zur Infrastrukturoptimierung (1gIP) ist gerade für größere Unternehmen mit mehreren Standorten bereits seit einigen Jahren wirtschaftlich sehr attraktiv. Mit der aufkommenden 2gIP-Technologie stehen nun Werkzeuge für eine nachhaltige Optimierung der Geschäftsprozesse bereit, die Unternehmen aller Größenklassen und Branchen enorme Vorteile im harten Wettbewerb sichern.”