Missverständnisse

Am Anfang war … Nein, es war wohl in den meisten Fällen eher ein gutturaler Laut denn ein klar artikuliertes Wort.

Dadurch kommt der Mensch zustande. “Eine Himmelsmacht” sei’s, erläutert die Operette (Johann Strauß, Der Zigeunerbaron). Über die Provenienz jener Macht soll hier nicht weiter spekuliert werden. Aber gewaltig ist sie schon. Bringt sie doch Akteure dazu, eins zu werden, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Mann und Frau – das sind quasi die natürlichen Binaries. Null und Eins – auf der Festplatte: Nord- und Südpol, im Memory: Ladung und keine Ladung – daraus kreieren Programmierer Softwarewelten und -generationen.

Die Natur nimmt für ihre Welt und ihre Generationen die beiden Varianten des Menschen. Das ist effektiver. Denn die sind sehr viel gegensätzlicher und damit leichter zu unterscheiden als Nord- und Südpol. Kein Signalrauschen kann das überdecken.

Die eine Version ist schön und gefühlsstark. Und sie kann tanzen.

Wenn der andere Part versucht zu tanzen, dann sieht das fast immer beknackt aus. Aber er ist von Natur aus dafür prädestiniert, im Fall der Verbindung von beiden Varianten zu sagen, wo’s lang geht. Und er ist klug. (Klug ist vor allem, nicht schriftlich niederzulegen, welcher Teil der Menschheit gemeint ist und welcher nicht.)

Nein, im Ernst: Im Licht der Informatik betrachtet, sind eigentlich die Frauen die weiter entwickelten Menschen. Frauen nämlich sind multitaskingfähig. Sie können gleichzeitig in Zeitschriften blättern, fernsehen und an ihrem Macker herumnörgeln.

Männer hingegen machen immer eins nach dem andern. Sie arbeiten Batch-Jobs ab. Wie die Rechner in den Anfangsjahren der IT.

Das kommt aus der Entwicklungsgeschichte. In den Urzeiten haben die Frauen in der Höhle das Feuer am Brennen gehalten, auf die Steinzeit-Rotznasen aufgepasst und die kulturelle Evolution vorangetrieben, sprich: miteinander geratscht. Und das alles gleichzeitig.

Der dabei entwickelten Multitasking-Fähigkeit verdankt die Menschheit das effizienteste Kommunikationsprotokoll überhaupt – die Sprache. Genauer: die Muttersprache.

Das männliche Gehirn hingegen hatte Realtime-Jobs zu verarbeiten: Feinde mussten erschlagen werden. Ein Deadlock, wie er ja bei Multitasking-Systemen gerne vorkommt, wäre da … na ja, wie’s der Name schon sagt.

Ein Firmware-Update hat das männliche Gehirn seitdem nie bekommen. Nur so ist der Atavismus zu erklären, dass die Verhaltensmuster auf den Chefetagen des 21. Jahrhunderts – die Fixierung aufs Feinde-Erschlagen – so frappierend jenen in den Urwäldern von vor ein paar tausend Jahren ähneln. Und auch dass zunehmend jener Teil der Menschheit, der intellektuell eigentlich multitaskingfähig wäre, ebenfalls jene archaischen Batch-Jobs verarbeitet, macht diese Welt nicht schöner.

Wenn Mann und Frau sich streiten – nur dann wird ihnen eigentlich so richtig bewusst, dass sie verschieden sind. “Man wird nicht!”, beschied denn auch schon Kurt Tucholsky – für ihn ungewohnt dezidiert – die sich selbst gestellte Frage, ob man denn jemals mit einer Frau etwas würde vernünftig besprechen können. (Kurt Tucholsky: Schloss Gripsholm, Ernst Rowohlt, Berlin 1931).

Wenn Mann und Frau sich nicht streiten, dann ist ihre Verschiedenartigkeit eine Quelle der Lust. Und das dahingehende Streben ist seit jeher das wichtigste Motiv der Menschheit überhaupt. Auch in der IT. Obwohl es da nun wirklich nix verloren hat.

Im Internet beispielsweise. Das Internet, die Antwort des Pentagon auf den Sputnik-Schock, ein weltumspannender Wissensverbund, die Infrastruktur einer virtuellen, globalisierten Ökonomie. – Ja, schon.

Richtig populär geworden aber ist es bei vielen eigentlich nur wegen der Bilder von jenem Teil der Menschheit, der Multitasking kann. (Dieser Vorzug interessiert da allerdings nicht so sehr.) Und weil viele Surfer nun nur eines im Kopf haben, können Viren ihr Unwesen treiben, die ihre verheerende Wirkung einem unüberwindbaren Click-Impuls verdanken, ausgelöst durch die Betreffzeile der Mail, mittels der sie sich verbreiten.

Dass viele das Chercher-la-femme mit Vorliebe da betreiben, wo sie garantiert nicht fündig werden, darauf deutet auch eine Website hin, die seit dieser Woche online ist. Zugegeben, das Suchen am falschen Ort hat auch Vorteile: Wenn man nicht findet, dann erspart man sich den Ärger, den man sich im ungekehrten Fall garantiert einhandelt.

Und die Mädels, deren Bilder bald auf dieser Site gepostet werden, die haben auch Vorzüge – die einschlägigen: 90-60-90. Und mehr noch: Sie nölen nicht. Und nie würden sie Widerworte geben, wenn man sagt, wo’s langgeht.

Trotzdem schaudert es einen bei ihrem Anblick. Da ist doch tatsächlich einer – Franz Cerami heißt er – auf die Idee gekommen, eine Misswahl für Lara Croft und Konsorten zu veranstalten. “Miss Digital World” nennt er diesen Zombie-Event.

Also wenn man mal soweit ist, dann liegt auch der Gedanke nicht mehr fern, dass die Welt eigentlich nur eine große Computer-Simulation ist. So wie in Matrix. Letzte Woche ist ja der dritte Teil ins Kino gekommen. Ist aber relativ langweilig. Im Vergleich zum wirklichen Leben jedenfalls. Weil: In dem gibt’s sehr viel bessere Special Effects.

Trotzdem denken sich IT-ler derartiges sehr gerne aus. Hans Moravec beispielsweise, der Direktor des Mobile Robot Laboratory der Carnegie Mellon University. Der hat ja in “Mind Children” (Cambridge, 1988) einen Weg zur Generierung menschlichen Lebens beschrieben, der nicht von gutturalen Lauten begleitet ist. Man werde künftig Geist und Gemüt eines Menschen in Software abbilden und auf einen Roboter portieren, schreibt er. Phantastische Eigenschaften – so Moravec – könnten die nachkommenden Generationen durch ein paar Add-ons und Plug-ins dann erwerben.

Mag ja alles sein. Aber: Der Weg ist das Ziel, hat der weise Lao-Tse gesagt. Und im menschlichen Leben gibt’s wunderschöne Wegstrecken. Die, die mit den natürlichen Binaries zu tun haben. Diese Wegstrecken kann man nicht mit Nullen und Einsen abbilden.