Der Bewerberflut kann man nur elektronisch Herr werden

Die hohe Arbeitslosenzahl hat die Identifizierung der richtigen Bewerber schwieriger gemacht. Der Ölkonzern ExxonMobil hat sein Auswahlverfahren automatisiert.

Der wirtschaftliche Abschwung hat Unternehmen dazu gezwungen, weniger Risiken bei der Einstellung neuer Arbeitnehmer einzugehen. Zudem haben die hohen Arbeitslosenzahlen den ‘Kampf um die Talente’ eher verschärft, denn der Selektionsprozess ist durch die Flut an Bewerbern noch aufwändiger geworden. Inzwischen hat das globale Phänomen der Budgetkürzungen den Bereich Human Resources (HR) erreicht, von dem jetzt erwartet wird, neue Mitarbeiter effizienter und zu geringeren Gesamtkosten für das Unternehmen einzustellen. Konzerne wie ExxonMobil setzen mittlerweile elektronische Hilfsmittel für diese Aufgabe ein.
Von seinem Benelux-Hauptsitz im holländischen Breda aus organisiert das Unternehmen die Einstellung neuer Mitarbeiter in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg. Aber ExxonMobil folgte bisher selten den traditionellen Kanälen des Anwerbens und Einstellens. Das Schalten von Anzeigen wird als eine der letzten Möglichkeiten für das Unternehmen angesehen, welches  normalerweise Events organisiert, um Studienabsolventen anzuziehen. Jetzt kommt ein so genanntes ‘Talent  Management  Tool’ der amerikanischen Firma BrassRing hinzu.

“Wir möchten unbedingt die besten Bewerber”, sagt Carolien Bijen, Personalleiterin bei ExxonMobil. Bijens Unternehmen sucht insbesondere Studienabgänger mit Ingenieur- und Wirtschaftsabschlüssen. Dazu wird in hohem Maße der innerbetriebliche Arbeitswechsel unterstützt. “Neue Arbeitnehmer können schnell aufsteigen und neue Zuständigkeitsbereiche zugewiesen bekommen”, sagt Bijen. “Aus diesem Grunde werden wir weiterhin junge Absolventen mit einem Master-Abschluss einstellen. Von dieser  Zielgruppe können wir einen umfassenden Bewerber-Pool aufbauen.”

<b>Verlorene Zeit hieß verlorene Bewerber</b>

Noch vor Kurzem erreichten die meisten neuen Job-Bewerbungen ExxonMobil mit der traditionellen Post. Die Personalverantwortlichen sahen die Bewerbungsunterlagen durch und trafen eine Vorauswahl qualifizierter Bewerber. Die Bewerber, die diesen Schritt passierten, erhielten einige Zeit später eine Einladung zum Bewerbungsgespräch. “Das Problem war, dass wir – bis wir geantwortet hatten – bereits zuviel Zeit verloren hatten”, erklärt Bijen. Bewerber, die keine sofortige Antwort erhielten, dachten, sie hätten keine Chance und sagten deshalb anderen Unternehmen ihre Mitarbeit zu.

Zudem war der sich anschließende Auswahlprozess von interessanten Kandidaten sehr arbeitsintensiv. Nach jedem Bewerbungsgespräch wurden von der Human-Resources-Abteilung Bewertungen geschrieben. Diese Berichte wurden mit einer Kopie des Anschreibens und des Lebenslaufs zum Fachvorgesetzten weitergeleitet, welcher die zweiten Einstellungsgespräche zu führen hatte. Nach dieser zweiten Runde wurden alle Dokumente zur HR-Abteilung zurückgeleitet. Kurz gesagt, das Auswahlverfahren hatte viele Ähnlichkeiten mit einer sich langsam drehenden Papiermühle.

ExxonMobil suchte einen schnelleren Weg, um den Prozess abzuwickeln und dem heftigen Strom an Blindbewerbungen nachkommen zu können. Gleichzeitig sollte es eine Lösung sein, mit der eine breitere Zielgruppe angesprochen werden könnte. Schließlich wollte man für potentielle Bewerber erreichbar sein, die ihr Studium im Ausland beendeten. Eine Internet-basierte Lösung war die logische Konsequenz aus diesen Kriterien.

<b>Hemmschwellen senken</b>

Um die Zeit des Auswahlprozesses effizienter zu gestalten, entschied sich ExxonMobil BrassRings ‘Enterprise’ weltweit einzusetzen. Die ersten Implementierungen wurden in den Benelux-Staaten, in den USA, Australien und Großbritannien realisiert. In den Benelux Staaten ist das ‘Online Application System’ seit April 2002 in Benutzung. Aus Sicht der Bewerber senkt das neue System die Hemmschwelle, sich zu bewerben, und spart Zeit.

Wenn die Webseite besucht wird, bekommt der Bewerber einen Überblick über alle verfügbaren Stellenangebote. Interessierte Kandidaten können sich einen Account anlegen und sich einloggen. “Die Intention ist, dass der Bewerber Fragebögen auf der Webseite ausfüllt”, erklärt Bijen. “So sind wir in der Lage, alle Informationen abzufragen, die wir benötigen: Persönliche Informationen, Abschlüsse, Arbeitsrefenzen, Länderpreferenzen und mehr.”

Auf der Webseite hat der Bewerber Zugang zu zahlreichen Funktionen. Der ‘Resume Manager’ ermöglicht es Bewerbern, verschiedene Lebensläufe zu speichern und den passenden zu nutzen, um sich auf unterschiedliche Stellen oder in verschiedenen Sprachen zu bewerben. Der ‘Agent Manager’ informiert Bewerber per E-Mail, wenn es eine freie Stelle für seinen oder ihren Traumjob gibt.

Der Personalreferent, der sich einloggt, bekommt die Neueingänge der Bewerber zu sehen und kann diejenigen aussuchen, die für ein Bewerbungsgespräch eingeladen werden sollen. Des weiteren können Bemerkungen hinzugefügt werden, die für alle ExxonMobil-User des Systems sichtbar sind. “Das System wurde angeschafft, weil wir schneller auf Bewerber reagieren wollen”, sagt Bijen. Man habe bereits jetzt die gewünschte Geschwindigkeit erreicht. Interessenten, die sich über das System bewerben, erhalten sofort eine Bestätigung mit einer Notiz, dass ihre Bewerbungsunterlagen eingegangen sind.

<b>Alles elektronisch</b>

Nach dem internen Bewertungsprozess wird der Bewerber per E-Mail über den Stand des Auswahlprozesses informiert. Nach Eingang der Bewerbung dauert das ungefähr eine Woche. Die Nachricht beinhaltet entweder eine Absage oder eine Einladung zum persönlichen Gespräch. Für jede Art von Antwort wird ein entsprechendes Template angelegt. “Jede weitere Korrespondenz wird zusammen mit dem Lebenslauf und dem Bericht über das Bewerbungsgespräch im ‘Talent Record’ im System gespeichert”, sagt Bijen. “Wenn wir einen Bewerber ablehnen, speichern wir intern die Gründe dafür. Von diesen Informationen können wir mit der Zeit sehr viel lernen. Zum Beispiel lernen wir, wie wir noch effektiver das Zielpublikum für eine spezifische Stellenausschreibung erreichen können.”

Die Implementierung des BrassRing-Produktes ‘Enterprise’ kam laut Bijen genau zur richtigen Zeit für den Ölmulti. Während die Unternehmen in den Benelux-Staaten in früheren Jahren ca. 800 Blindbewerbungen erhielten, lag die Zahl im Jahr 2002 bei ca. 1400. “Nachdem die Aufmerksamkeit gegenüber unserem Internet Application System steigt, wird diese Zahl sogar sehr wahrscheinlich weiter ansteigen”, sagt Carolien Bijen. “Zudem ist es für Studienabgänger aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation schwieriger geworden, einen passenden Job zu finden.”

Das Tool stelle vor allem eine Lösung für die steigende Zahl der Bewerbungen. Auch reduziert es deutlich die Arbeit, traditionelle Bewerbungsunterlagen, die per Papierpost gesendet werden, zu managen. Papier-Bewerbungen werden vom Hersteller selbst für den Konzern eingescannt und dem System innerhalb eines Tages zugeführt. Per E-Mail zugestellte Bewerbungen werden ebenfalls sofort dem System zugeführt.

Die Speicherung sämtlicher Mitarbeiterinformationen erfolgt im ERP-System des Konzerns, das von SAP kommt. Der integrierte Austausch von BrassRing-Daten zu SAP lässt die Möglichkeit offen, die Benutzung des Systems in einer späteren Stufe auf interne Bewerbungen auszuweiten. Auch ein automatischer Transfer von neuen Mitarbeiterdaten direkt zum HR-Modul von SAP ist möglich.