Icann am Katzentisch: UNO will neue ‘Internet-Regierung’

Die Welt will sich eine neue Internet-Regierung geben, die dann auch inhaltliche Fragen im Auge behält. US-Department und Icann müssen sich warm anziehen.

Für die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann) weht ein kalter Wind. Der Vertreter der selbst ernannten Internet-Regierung fand sich bei den Vorberatungen zum Mitte der Woche startenden Kongress “World Summit for the Information Society”, WSIS, außen vor, nachdem vor allem Schwellenländer wie Brasilien, China und Kuba die Anwesenheit der als US-freundlich geltenden Organisation kritisiert hatten. Zu erwarten ist nach den ersten Verhandlungen, dass eine neue UN-autorisierte Körperschaft die Geschicke des Internet in die Hand nimmt, und dass der Einfluss der USA beschnitten wird.
Für diese neue Internet-Regierung treten Presseberichten zufolge vor allem die Entwicklungsländer ein sowie die EU, die mit den starken Nationen Deutschland und Frankreich an der Spitze als Gegengewicht zu den USA betrachtet werden. Der geballten Kritik und dem Ausschluss von den Beratungen ausgesetzt, äußerte sich der speziell dafür aus Vietnam nach Genf eingeflogene Icann-Präsident Paul Twomey gegenüber dem International Herald Tribune: “Ich finde das gar nicht lustig. Bei der Icann kann jeder an Sitzungen teilnehmen, Entscheidungen beantragen und Ombudsleute beauftragen; aber hier bin ich ausgeschlossen von einem UN-Treffen, bei dem Diplomaten, deren Horizont in technischen Fragen begrenzt ist, darüber entscheiden wollen, wie 750 Millionen Menschen in das Internet kommen.”

Icann und die US-Regierung, so erfuhr die Zeitung von Teilnehmern, würden als eher  wirtschaftsfreundlich betrachtet, während die Interessen der Schwellenländer und auch inhaltliche Fragen in industrialisierten Ländern, wie die zu Kinderpornographie oder bedenklichen politischen Inhalten, zugunsten des Mammon auf der Strecke blieben. Kritisiert wurde auch, dass sich die US-Regierung, die die Icann einst als Vergabe- und Entscheidungsstelle bei Domain-Namen und für technische Fragen des Internets 1998 gegründet hatte, sich nicht wie versprochen aus der Organisation zurückgezogen hatte. Entsprechend gab es im Laufe der Jahre immer wieder Kritik an dem Organ und seinen Rektoren. Auch wenn, wie Twomey betonte, “über 100 Regierungsvertreter in der Icann repräsentiert sind” und Regionalbüros in allen Kontinenten geplant sind, soll nun offenbar eine neue ‘Regierung’ her.

Voraussichtlich 2005 soll sie als Ergebnis einer am Sonntag geplanten internationalen UN-Arbeitsgruppe fertig zusammengestellt sein und werde sich um folgende Themen kümmern: Internet-Regierungsfragen, die Nutzung von brach liegender Bandbreite für die Entwicklungshilfe, die Anbindung von mehr Menschen an Kommunikationsnetzwerke und die Entscheidung über geeignete Technik hierfür. Um diese Arbeitsgruppe am Dienstag dieser Woche zu starten und ihre Mitglieder und Aufgaben zu bestimmen, ist bislang neben den Internet-Gurus Esther Dyson und Nicholas Negroponte, sowie Firmenvertretern von beispielsweise Siemens, AOL und Microsoft, auch der als amerikakritisch geltende EU-Komissar Erkki Liikanen vorgesehen. Sie sollen vor allem die inhaltlichen Themenkomplexe und Kompetenzen der Gruppe bestimmen.

Im Vordergrund steht erst mal dennoch die kommerziell getriebene Nutzung des Internet. Auf den Punkt brachte dieses vitale wirtschaftliche Interesse aber kürzlich das Innenministerium der USA, als eine Sprecherin im Vorfeld der Besprechungen in Genf sagte: “Die Haltung der US-Regierung ist, dass das Internet von den Wirtschaftsunternehmen koordiniert und geführt wird – und das soll auch so bleiben.” Die Nähe hierzu leugnet Paul Twomey gar nicht einmal, wenn er in den Fluren des Genfer Konferenzzentrums sagt: “Ich sehe keinerlei Bedarf, die jetzigen Strukturen zu verändern.”

Diese Seite befürchtet ein zu starkes inhaltliches Mitbestimmungsrecht von Regierungen, vor allem von Ländern wie China oder Kuba. Die andere Seite ist mit den beiden genannten Ländern, den meisten afrikanischen Staaten, und als bestimmende Faktoren mit Brasilien und der EU, etwas bunter gestaltet. Diese Vertreter behaupten strikt, dass die Icann mit der US-Regierung engstens verbunden sei und nicht objektiv die Interessen der weltweiten Nutzer – ob privat oder geschäftlich – vertrete.

Die technischen Fragen und einige Vergaben, so sagt diese ‘Fraktion’, sollte weiterhin die Icann regeln, transparent gestaltet mit der US-Regierung im Vorsitz, und dabei die kommerziellen Fragen für die vielen Unternehmen, die mit dem Web Geld verdienen, im Auge behalten. Doch die inhaltlichen Sorgen sollen fortan auch in den Händen von NGOs, Regierungen und Verbänden liegen. So sei eine umfassendere Bearbeitung der Fragen abseits vom Geschäft gewährleistet. Denn genau das will unter anderem der Leiter der UNO-Sektion ‘Information and Communication Technology Task Force’, Talal Abu-Ghazaleh. Er sagt: “Wir sind Uncle Sam dankbar für die Schaffung des Internet, aber nun wird es Zeit für die Welt, ein stärkeres Gewicht bei der Regierung des Web zu entwickeln.”

Michael Geist, Juraprofessor an der Universität von Ottawa, sagt, dass sich die Zeiten seit der Mitte der neunziger Jahre gewandelt hätten, als den Regierungen eine Einmischung in Internet-Belange untersagt worden war. “Regierungen haben bewiesen, dass sie schon auf nationaler Ebene sehr interessiert und handlungsfreudig sind, nun wollen sie dasselbe auf internationaler Ebene.”

Die Position Deutschlands in dieser Machtfrage für das Internet und seine Nutzer, vertreten durch Gerhard Schröder, ist noch unklar, dürfte sich aber im Lager der ‘Neuerer’ befinden. Der Kanzler hatte sich wegen parlamentarischer Termine in Berlin entschuldigen lassen, wird aber voraussichtlich am Dienstag Stellung beziehen.