2004: EU-Softwarepatentrichtlinie muss Feuerprobe bestehen

Ein heißes Thema ‘Softwarepatente’: Aus anfänglicher Unkenntnis und vielen geistigen Nebelkerzen formierten sich schließlich zwei Lager.

Wenn das kommende Jahr so losgeht wie das vergangene, können wir uns ja auf einiges gefasst machen. Im Januar bekriegten sich bereits die ersten Firmen, Cisco und Huawei, wegen angeblicher Verletzung von Softwarepatenten. Doch wer hätte ahnen  können, dass uns jeden Monat etwas Neues, Bahnbrechendes zu dem Thema ins Haus schneien würde und – noch dazu – das Thema immer näher heranrücken würde an die Lebensgrundlagen der IT-Profis.
Als im Februar das Papier vorgelegt worden war, auf dessen Basis im neuen Jahr Gesetze gegossen werden sollten, war die Fachwelt erst mal entsetzt: Nicht nur, dass die Vorschläge, wie es bei IT-Fachleuten hieß, “von Omi im Hinterstübchen gestrickt” worden waren und als unrealistisch galten. Nein, sie waren auch sofort ein Stein des Anstoßes und so manch ein Patentanwalt sah bereits einen neuen Handelskrieg zwischen EU und USA entbrennen. Zu stringent, hieß es damals, sei die Vorlage für US-Handelsinteressen.

Mit dem vorgelegten Gesetzespapier sollten Unternehmen nur noch für solche Software Patente einreichen und erhalten können, die auf technischem Gebiet tatsächlich und nachweisbar neu seien. Diese Herangehensweise widerspricht der Patentierungspolitik in den USA stark, da dort auch für Geschäftsmodelle Patente vergeben werden. So mancher Wettbewerb geht dort im Prozess-Kuddelmuddel unter, doch vereinzelte Unternehmen sind so schlau, die gewünschten Patente gleich zu kaufen und sparen sich hinterher viel Ärger. Schließlich ist die Firmengeschichte der meisten IT-Unternehmen heute verwickelt wie der Stammbaum eines Hundemischlings und es kann immer passieren, dass eine Firma Teile eines Codes verwendet, die einst zu Urzeiten mit anderem Code zusammen den Stolz und das einzige Produkt eines Start-ups ausmachten. Ein Beispiel bestimmte fortan landauf, landab die Diskussion. So hat beispielsweise der Medien-Händler Amazon.com allein für seine Geschäftsidee ein solches Schutzpapier erhalten.

Ist alles, was auf einem Rechner laufen kann und dort Ergebnisse zeitigt, dann automatisch patentierbar, oder gilt die Patentierung nur für den echten Code? Werden digitale Vorgänge ein Spielball der Anwälte, so dass so manch ein IT-Designer gleich in den Gerichtssaal umziehen kann, um den jahrelangen Prozessen gegen Großkonzerne als Abklatsch der US-Patentprozesse beizuwohnen? Wird alles oder wird nichts patentierbar werden? Solche Fragen trieben die Diskussion und spalteten im Sommer sogar eine bislang eingeschworene Gemeinde: Die in der Gesellschaft für Informatik organisierten IT-Leute. Der Vorstand schimpfte auf die “Innovationsblockierer”, die Basis wehrte sich gegen die “Wissensmonopolisten und Winkeladvokaten” und trat gleich reihenweise aus dem Interessenverband aus.

Die mittelständische Industrie, so wird es in der Diskussion deutlich, befürchtet aber mehr Unklarheiten als Klarheit durch das neue Gesetz, und dadurch mehr Konflikte. Der Schutz davor, also die Patentierung, sei nicht weniger teuer und aufwändig. Die Open-Source-Gemeinde steht sowieso Kopf, wenn sie allein das Wort hört. Im September lag schließlich eine deutlich modifizierte Version der Vorlage auf dem Tisch – die Kritiker hatten einen Achtungserfolg damit errungen, dass heikle Paragraphen weggefallen waren. Dieser Artikel lautete: “Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine computerimplementierte Erfindung als einem Gebiet der Technik zugehörig gilt.” Tatsächlich wäre auch Software somit auf eine Stufe mit allen anderen technischen Erfindungen gestellt und somit patentierbar gemacht worden.

Doch wer auch im nächsten Jahr letztendlich die Fäden in Sachen Softwarepatente ziehen dürfte, wurde letzten Monat deutlich: Da sagte Jörg-Menno Harms, der Deutschland-Chef von Hewlett-Packard und Bitkom-Vorstandsmitglied, er sei explizit für die Patentierung von Software. Auch in seiner Funktion als Vizepräsident des Branchenverbands Bitkom wolle er im Interesse der mittelständischen Unternehmen sprechen, die “Milliardenbeträge in Forschung und Entwicklung von Software stecken” und diese Investitionen nur mit Patenten ausreichend vor dem Zugriff der Konkurrenz schützen könnten. Dass aber genau diese mittelständische Wirtschaft, die Kleinunternehmer und Freelancer mit viel Engagement den Artikel 3 aus dem Vorschlag herausgekämpft haben, vergisst er geflissentlich. Im neuen Jahr wird aus der Richtlinie ein Gesetz gemacht. Und das gilt dann. Für alle.