Och, Olaf

Nur ein einziges Wort hat er dazu gebraucht, und seit Jahresbeginn diskutiert die Öffentlichkeit darüber. Tabulos, wie man es ja gerne nennt, wenn zivilisatorische Hemmungen fallen.

Nur ein einziges Wort hat er dazu gebraucht, und seit Jahresbeginn diskutiert die Öffentlichkeit darüber. Tabulos, wie man es ja gerne nennt, wenn zivilisatorische Hemmungen fallen. 
Und das Tollste dabei: Man weiß nicht einmal so genau, ob er es wirklich benutzt hat, der Politiker dieses Wort. Denn zitiert worden ist er in besagtem Zusammenhang nur mit Allgemeinplätzen wie: “Deutschland muss stärker in Bildung und Kinder investieren.” Und: “Bei diesen Fragen kann es keine endgültigen Wahrheiten geben.”

Im <k>Stern</k> beispielsweise stand nicht viel mehr Authentisches, als jener über Olaf Scholz’ Vorstellungen von Forscher-Eliten berichtete. – Ein Wort off-the-record hat genügt, und aus einem uncharismatischen Technokraten wurde ein großer Tabu-Brecher. (Modernisierer und Reformer nennt man solche Leute heute.)

Das politische Mittelmaß, das ja schon lange über Eliten daherplappert, mag das als ungerecht empfinden, wird aber sicherlich die Spitzenleistung in Sachen Öffentlichkeitswirksamkeit anerkennen.

Scholz bringt aber auch die besten Voraussetzungen mit, ist er doch der Generalsekretär einer Partei, die als der organisierte Versuch begonnen hat, die sozialen Bildungsschranken zu überwinden. Arbeiterbildungsvereine und der politische Gegenentwurf von Gleichheit und Solidarität standen an ihrem Anfang – im vorletzten Jahrhundert, als “revolutionär” noch kein Marketing-Begriff war. Bei so einem Hintergrund, da kann man halt auch, ohne sich arg anzustrengen, zum Tabu-Brecher werden.

Inzwischen ist die Partei von General Scholz allerdings vorwiegend damit befasst, ihre tradierten Werte neu zu definieren, wobei dann aber doch gravierende Bildungslücken zutage treten. (Als Rosa Luxemburg noch an der Parteihochschule lehrte, hätte der Olaf sicherlich nachsitzen müssen.)

Allerdings es stimmt schon: In Deutschland gibt es gravierende Bildungsdefizite. Beispielsweise können Politiker Forschungsergebnisse nicht korrekt interpretieren.

Noch mehr Aufsehen als des Generals akademische Kaderschmiedearbeiten hatte ja vor zwei Jahren die PISA-Studie erregt. Die nämlich hatte herausgefunden, dass ein Gutteil der hiesigen Schüler nicht richtig lesen kann und dass das – wie sonst nirgendwo – mit der sozialen Herkunft der Betroffenen zusammenhängt.

Oder: der Umgang mit Statistiken. Das sollte man doch eigentlich während seines Studiums im Proseminar lernen. Eine Statistik etwa besagt, dass 10 Prozent der Schüler die Lehranstalten ohne Abschluss verlassen.

Trotzdem – trotz PISA und trotz jeder Menge Youngsters ohne Abschluss-Zeugnis – fabulieren Politiker mit Vorliebe über Elite-Universitäten, anstatt sich ernsthaft Gedanken über Grund-, Haupt- und weiterführende Schulen zu machen, die die Youngsters schließlich durchlaufen müssen, bevor sie – wo auch immer – dann einmal studieren. Manche Volksvertreter schauen sich ihre bildungspolitischen Modelle halt von “Deutschland sucht den Superstar” ab, der großen Teenie-Darwinismus-Show auf RTL.

Vor allem aber, was für Wissenslücken manche Politiker hinsichtlich der Motive von wirklich guten Forschern haben! Sind jene bestrebt, herauszufinden, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, unterstellen ihnen diese, es gehe ihnen um Karriere, Geld, Macht und Statussymbole – die einschlägigen Attribute der Elite halt.

Selten zuvor ist die eigene Borniertheit so plump zum Universalprinzip erhoben worden. Auch von einem blutleeren Karrieristen, wenn er denn schon seinen Ehrgeiz nur mittels eines öffentlichen Amtes befriedigen kann, sollte man mehr Einfühlungsvermögen hinsichtlich der Beweggründe von Geistesgrößen erwarten können.

“Wir wünschen uns wieder Nobelpreisträger”, sagte Olaf Scholz treuherzig der <k>Süddeutschen Zeitung</k>. Das ist ein guter Vorsatz. Aber dazu genügt es nicht, auf die Motivationslage von Machtmenschen zu rekurrieren.

Gut, auch Forschern geht’s um Macht. Aber dabei handelt es sich um intellektuelle Macht, die die man sich über ein zuvor unverstandenes Stück Welt erwirbt. Oder wie Linus Torvalds – kein Forscher, aber ein brillanter Techniker – es weniger martialisch formuliert: Es geht um Fun. Fun und Macht ist in dem Fall dasselbe.

“Just for Fun” hat Torvalds seine Autobiographie überschrieben. Eingangs erläutert er darin – während einer Autofahrt – im Gespräch mit seinem Koautor David Diamond – dass die Programmierung von Linux Fun ist, und zwar eine Art, “die du mit Geld nur sehr schwer kaufen kannst” (Linus Torvalds, David Diamond: Just for Fun, München, Wien, 2001, S. 5).

Nähere Ausführungen zu diesen Überlegungen allerdings unterbindet dann Torvalds Gattin Tove mit einem Hinweis bezüglich einer der gemeinsamen Töchter: “Patricia muss aufs Klo” (ibid.).

Schade! Wäre doch von Torvalds sicherlich viel mehr über Innovation zu erfahren gewesen als aus den von Olaf Scholz verfassten Weimarer Leitlinien darüber.

Deshalb darf man übrigens auch die Arbeit von Torvalds, von Nobelpreisträgern und von weniger renommierten, aber ernsthaften beziehungsweise vergnügungssüchtigen Leuten nie als Spitzenleistung bezeichnen. Nichts würdigt die Arbeit eines Menschen schließlich stärker herab als ein derartiger Hyper-Relativismus: Spitze misst jene ja an der Umgebung, und sei die noch so flach. Und Leistung – wer im Unterschied zu Modernisierern und Reformern in Physik aufgepasst hat, weiß das – ist der bloße Quotient aus Arbeit durch Zeit.

So darf man über das, was Menschen wichtig ist, nicht reden. Aber Olaf Scholz, den darf man getrost als Spitzenpolitiker bezeichnen.