IT in der erweiterten EU: Eine Fusion der Ungleichen

Ab 2007 kommt die heiße Phase, sagen Experten – doch schon heute gilt es, sich als Hersteller und Anbieter zu empfehlen. Viel hängt davon ab, wie viel Geld die EU locker machen kann.

Vielleicht haben Sie folgende Jux-Mail Ende letzten Jahres auch in Ihrem Briefkasten vorgefunden: Das Bild zeigt einen Mediamarkt in Polen, der aussieht als wäre eine Büffelherde durch den Laden getrampelt. Monitore liegen völlig zerfetzt auf dem Boden, der Kassenbereich ist übersät mit Kabeln, die keiner mehr zuordnen kann, und die noch verbliebenen PCs werden nie mehr auch nur ein Bit aufnehmen können. Bildunterschrift: Erster Mediamarkt in Polen eröffnet. Auch wenn der Elektronikverkäufer erklärt hat, dass es sich nicht um eine Neueröffnung, sondern vielmehr um einen Tag mit besonderen Computerangeboten gehandelt habe, entlarvt die Mail, die sich vor ein paar Monaten im Internet verbreitete, eines deutlich: Die IT erobert den Osten.
Wenn im Mai dieses Jahres die EU-Osterweiterung wieder ein Stück Realität wird, dann ist das vorrangig eine politische Entscheidung. Aber auch für die IT-Industrie eröffnet sich ein computertechnisch weitgehend brach liegendes Feld, das beackert werden will. In Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn, Malta und Zypern, sowie Rumänien und Bulgarien leben mehr als 100 Millionen Menschen, die Hersteller und Service-Provider mit allem ausstatten können, was die Branche zu bieten hat.

Potenzial ist da. Immerhin haben die Menschen dort schon mehr als zehn Milliarden Dollar für ihre IT-Infrastruktur ausgegeben. Es klingt wie eine Aufforderung an die IT-Industrie. Der Wandel steht offensichtlich kurz bevor, auch wenn das ‘Westniveau’ erst in zehn oder zwanzig Jahren erreicht wird, wie die Experten erwarten. Die Marktforscher von IDC prognostizieren zwar, dass der eigentliche Startschuss für große Investitionen und erste Erfolge erst 2007 fallen wird, dann kann man aber mit einem jährlichen Wachstum von zehn Prozent rechnen.

Ohne die Hilfe der EU geht nichts

Bevor die Ciscos und IBMs dieser Welt aber wirklich Fuß fassen und Installationen im großen Stil vorweisen können, wird es teuer für die EU. Ohne die Finanzspritze aus Brüssel ist kaum neue Technik zu etablieren. Das gilt vielleicht nicht für alle Beitrittsnationen, Estland beispielsweise ist schon sehr fortschrittlich. Doch die Mehrzahl schafft es ohne Förderprogramme nicht. Neben den wichtigen Investitionsfeldern gesellschaftlicher und ökonomischer Art, schwelt der Flächenbrand IT.

Eine der EU-Initiativen nennt sich PHARE. Aus dem Fond können die Staaten Projekte finanzieren, die beim Wirtschaft- und Politikwandel helfen sollen. Daneben gibt es auch den ‘eEurope+ Action Plan’, der 2000 vorsah, die damals noch stolz ‘New Economy’ genannte elektronische Wirtschaft voran zu bringen – bei den jetzigen EU-Mitgliedern und noch beizutretenden Staaten. Er soll die Akzeptanz von Internet und Mail verbessern, die IT bezahlbar machen, um Investitionen zu erlauben, die Regierungen bei der Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinien unterstützen und den Graben der fehlenden Technologie-Erfahrung zwischen den Staaten verkleinern. Alles wird in den ersten Jahren also davon abhängen, wie viel Geld die neuen Staaten von der EU erhalten und wie das Bruttoinlandsprodukt wächst. Damit steht und fällt auch das Budget für die IT.

Die Ausgangssituation in den Ländern untereinander und im Vergleich zum Westen könnte unterschiedlicher nicht sein. Polen wird 2007 immer noch die Hälfte von dem für die IT ausgeben, was Spanien schon heute investiert, hat IDC errechnet. Und unser Nachbar ist noch ein verhältnismäßig fortschrittliches Land. Andere Staaten wie Lettland sind schlechter dran. Im Gegensatz dazu wieder Estland. Dort garantiert ein Gesetz den Internet-Zugang für jedermann.

So viel Innovation kann man von anderen Staaten nicht behaupten. Den Leithammel der IT, das Internet, gibt es oftmals nur in Unternehmen, die den Sprung in die Globalität schon geschafft haben. Andernorts ist keiner ‘drin’, weder eine Firma, noch kann von einer Abfahrt vom Datenhighway in private Haushalte die Rede sein.

Gemessen an den Anschlüssen sind die europäischen Neuzugänge noch weit von der Informationsgesellschaft entfernt. Während in der jetzigen EU fast die Hälfte der Bevölkerung im Internet surft, verfügen in den neuen Ländern durchschnittlich nur wenig mehr als 20 Prozent über einen Internet-Anschluss. Und das, obwohl mancher Konzern aus dem Westen schon länger Büros im ehemaligen Ostblock unterhält. IBM liegt seit den neunziger Jahren offenbar in Lauerstellung, unter anderem in Tschechien, Ungarn und Polen.

Von heute auf Übermorgen

Ist die Geldquelle aus Brüssel gesichert, ist auch die Jagd eröffnet. Software und Services machen nach Meinung der Marktforscher den größeren Anteil aus. Aber auch die Hardware muss stimmen, will sich ein ortsansässiges Unternehmen am internationalen Kuchen laben. Begriffe wie E-Commerce und E-Government flüstert man sich bereits zu.

Die neuen Mitglieder haben sich fest vorgenommen, das Internet sowohl in die Unternehmen und Behörden als auch verstärkt in die Privathaushalte zu bringen. Wieder Estland: Die kleine Nation war eines der ersten osteuropäischen Länder, das eine IT-Infrastruktur für den Bildungssektor auf den Weg gebracht hat. E-Government und E-Voting sollen ebenfalls in naher Zukunft umgesetzt werden. Schließlich ist die Finanzwelt in Polen, den baltischen Staaten und Tschechien mit E-Banking ganz vorne dabei. In den großen Städten existiert dafür bereits eine brauchbare Infrastruktur. In den ländlichen Gebieten gibt es das noch nicht.

Wer nicht viel investieren kann, der hat eventuell einen anderen Trumpf in der Hand: Arbeitskräfte. Sicherlich sind IT-ler in den Beitrittsstaaten nicht derart ausgebildet wie in unseren Gefilden. Und auch wenn jetzt hier die Pro-Outsourcing-Keule gegen die gebeutelte, auch deutsche, Wirtschaft geschwungen wird, ist genau die das einzige, mit dem manch ein Land werben kann. Nicht wenige Unternehmen haben das schon erkannt.

Siemens beispielsweise verlagert Teile ihrer Mobilfunkproduktion nach Ungarn. In Warschau arbeitet seit vergangenem Jahr ein Joint Venture, dass Datev mit einem polnischen Unternehmen geschlossen hat. Der deutsche IT-Dienstleister will sich auf diese Weise neue Märkte in Osteuropa erschließen. Russland schließlich, wenn auch nicht Beitrittsland, will seine Wirtschaftpolitik ankurbeln und verspricht den Wissenschaftlern, ihnen per Gesetz das Recht an Erfindungen zuzusprechen. Begründung: “Wir wollen den Wissenschaftlern sagen, dass sie die Früchte ihrer Arbeit besitzen, nicht der Staat.”

Bis der Hype die Nationen überrennt, darf nach alledem nicht gewartet werden. An allen Ecken und Enden gilt es zu investieren. Auch wenn zunächst das Geld im Sand zu verlaufen scheint. Alle, von der EU bis zum Internet- Provider sind sich sicher, dass es sich lohnen wird. Und bis dahin haben sich auch die Elektronikverkäufer auf den großem Ansturm bei Werbeaktionen eingestellt.