Mikrosicherheitstest

Er lässt eine bedrohlich anmutende Szenerie von einem Augenblick auf den nächsten in einem völlig anderen Licht erscheinen.

Er lässt eine bedrohlich anmutende Szenerie von einem Augenblick auf den nächsten in einem völlig anderen Licht erscheinen. Der bärtige Terrorismusverdächtige mit den dicken Brillengläsern, der augenscheinlich nicht nur den Grad der Fehlsichtigkeit mit Metin Kaplan teilt. Er entpuppt sich als das, was er wirklich ist: zu keinerlei praktischer Arbeit fähig und deshalb als Schreiberling sein Auskommen suchend. Und er sieht aus, wie solche Leute halt nun manchmal aussehen.
Was den Schmalbrüstigen, im Umgang mit Waffen und Sprengstoff völlig Ungeübten bei der Gepäckkontrolle am Flughafen in jüngster Zeit regelmäßig für cirka eine Minute in den Ruch eines Gewaltmenschen bringt, ist ein 10 Zentimeter langes Metallrohr in seinem Rucksack, das sich stets sehr deutlich auf dem Röntgenschirm abzeichnet.

Erst nachdem er mit dem eingangs erwähnten Satz über das wahre Wesen dieses obskuren Gegenstandes aufgeklärt hat, werden die Security-Leute sich bewusst, welch’ wenig eindrucksvolle Gestalt sie da vor sich haben: So unimposant kann das Böse nun auch wieder nicht aussehen.

“It’s a microphone”, ist eine Zauberformel. Sie stoppt abrupt die Adrenalin-Ausschüttung und wird selbst von französischen Sicherheitskräften sofort verstanden. Obwohl der Satz englisch ist. Und Franzosen allein schon aus Gründen der Staatsraison Englisch grundsätzlich nicht verstehen. Erleichterung wirkt eben völkerverständigend.

Auch italienische Machos verzaubert das Sprüchlein, lernen sie in solchen Situationen doch wieder die schönen Seiten ihres Jobs zu schätzen: hinter der Sonnenbrille hervor zuzuschauen, wie die Signorinas durch den Metalldetektorrahmen staksen. Mit zwielichtigen Gestalten konfrontiert zu sein, gehört hingegen eindeutig zu den unschönen.

Aber nur wer das Unschöne kennt, weiß, das Schöne zu würdigen. Und das gilt auch, wenn ersteres in Gestalt ominöser Typen, letzteres in der reizvoller Signorinas daherkommt. Auch italienische Grenzschützer sind sichtbar – also ganz uncool – froh, wenn der unheimliche Gegenstand vom Röntgenschirm entzaubert ist.

Ja, selbst deutsche Grenzer reagieren erleichtert. Und wünschen einem dann – fast schon unvorschriftsmäßig freundlich – ein gute Reise. Eigentlich ist ein Mikrophon nur ein nützliches Werkzeug. Bei einer Flugreise aber mutiert es zum Indikator für die weltpolitische Befindlichkeitslage und dem damit zusammenhängenden Grad der Angespanntheit seitens der Sicherheitskräfte.

Dass jede – sogar die nichtexistente Gefahr – sofort erkannt wird, gibt einem andererseits aber auch wieder ein Gefühl von Sicherheit. Unsere Grenzschutzbeamten halt! Gründlich und pflichtbewusst, alle ein bisschen so wie Kapitän Holger Ehlers von der ZDF-Küstenwache.

Auch die IT-Industrie kennt in letzter Zeit wieder das Gefühl von Sicherheit. In wirtschaftlicher Hinsicht. Für 10 Milliarden Dollar baut das US-Department of Homeland Security das Grenzsicherungssystem US-VISIT auf. Es ist der größte zivile Regierungsauftrag, der jemals an die Branche vergeben wurde.

Deshalb muss man, wenn man in zwei Monaten wieder in die USA reist, sich erst einmal die Zeigefinger scannen und ein Digitalfoto abnehmen lassen. Und bereits heute übermitteln die Fluggesellschaften reichlich Passagierdaten an die Homeland Security.

Im nächsten Jahr schließlich braucht man zur Einreise einen maschinenlesbaren Pass mit biometrischen Angaben. Ein gigantisches globales Konjunkturprogramm für die IT-Industrie.

Es greift nämlich auch in anderen Ländern. Die pflichtbewussten deutschen Grenzschutzbeamten werden es ebenfalls bald mit High-Tech-Ausweisen zu tun haben. Das Bundesinnenministerium erprobt den automatisierten Abgleich von IT-gestützter Gesichtserkennung mit in Pässen gespeicherten biometrischen Daten.

Otto Schily erweist sich da wieder mal als echter Early Adopter. Das bisherige Testergebnis: Wenn man das System so justiert, dass jeder Hundertste mit falschem Pass durchkommt, dann wird jeder 25. mit echtem zurückgewiesen. Also Technik-Enthusiasten können sich dafür sicherlich schon begeistern… Leute, die aus nicht-avantgardistischen Gründen reisen, wahrscheinlich weniger.

Die USA erreichen derartige Zurückweisungsquoten sogar ohne High-Tech. – Die wird ja erst noch eingeführt. – Microsoft hat heuer seine Worldwide Partner Conference in Toronto veranstaltet. Ins Nachbarland Kanada kann man halt einfach ohne Probleme einreisen.

Was einen aber doch sehr erstaunt: der ansonsten so zuverlässige Polit-Sensor in Form des Mikros versagt in den USA völlig. Keiner der offenkundig schlechtbezahlten und entsprechend apathisch vorm Röntgenschirm Sitzenden fragt einen danach.

Da überlegt man sich schon, ob vielleicht ein paar engagierte Grenzer, die durch gesellschaftliche Wertschätzung und das zugehörige Salär motiviert wären, nicht vielleicht mehr Sicherheit brächten als die ganze High-Tech.

Aber das hieße wohl, den unfreiwilligen Mikrophon-Test überzuinterpretieren. Wahrscheinlich gibt ein bärtiger Kurzsichtiger, der sich die Hose festhält, weil er den Gürtel vor dem Metalldetektor hat abnehmen müssen, einfach ein zu lächerliches Bild ab, um gefährlich wirken zu können.