Witzig, witzig!

Ein reicher und geiziger Kaufmann klagt beim Rabbi über sein freudloses Leben. Der Rabbi führt ihn zum Fenster und fragt, was er sehe. “Menschen”, sagt der Kaufmann, “Straßen, Bäume und Häuser.”

Ein reicher und geiziger Kaufmann klagt beim Rabbi über sein freudloses Leben. Der Rabbi führt ihn zum Fenster und fragt, was er sehe. “Menschen”, sagt der Kaufmann, “Straßen, Bäume und Häuser.”
Darauf führt ihn der Rabbi vor einen Spiegel. “Und was siehst du jetzt?” – “Mich”, antwortet der Kaufmann.

“Ja”, sagt der Rabbi, “es ist das gleiche Glas. Aber sobald nur ein bisschen Silber dazukommt, sieht der Mensch nur noch sich selbst.”

Das war knapp, gell? Und natürlich ein Trick. Denn dabei handelt es sich ja eigentlich nicht um das, was man gemeinhin unter einem Judenwitz versteht.

Es ist ein jiddischer Witz. Und über jene und alle anderen klugen Witze sagt Sigmund Freud, sie seien so etwas wie “die letzte Waffe der Wehrlosen”.

Und weil dem genauso ist, kann man umgekehrt natürlich nicht wirklich Witze auf Kosten von Wehrlosen reißen. Judenwitze – die einschlägigen – oder Behindertenwitze beispielsweise, die gehen einfach nicht.

Wer sowas versucht, der stellt sich aus der zivilisierten menschlichen Gesellschaft. Wobei es egal ist, ob er diesen Schritt in weißgeschnürten Springerstiefeln oder italienischen Markenschuhen unternimmt.

Letztere dürften wohl in der Berliner Agentur überwiegen, die für die hiesige Filmindustrie die Kampagne “Raubkopierer sind Verbrecher” konzipiert hat: Diesen Monat sind Angestellte des Branchenverbandes mit einer käfigartigen mobilen “Gefängniszelle” in Deutschland unterwegs. Man kann “probesitzen”, “fünf Minuten im Leben eines Raubkopierers nachempfinden” und Kinokarten gewinnen. “Knast on Tour” nennen die Schöngeister vom Verband der Filmverleiher das.

“Zum Goldenen Hirschen” nennt sich die “Ideen-Agentur”, die auf sowas kommt. “Eine geniale Selbstinszenierung” sei der Name ihrer Firma, erläutern die Kreativen auf ihrer Web-Site.

Arg hochgegriffen ist diese Bewertung, möchte man meinen. Denn eigentlich ist er ja eher naheliegend, sind doch Lokalitäten, die “Zum Hirschen”, “Bären” oder “Löwen” heißen, hierzulande seit jeher Orte, an denen allerlei kreative Gedanken entstehen in Sachen “lascher” Strafvollzug, wie man es daselbst für gewöhnlich gerne nennt.

Da gibt es etwa den Spot, in dem zwei alteingesessene, inhaftierte Kriminelle die Tauglichkeit von frisch eingelieferten, jungen Raubkopierern für den unter Zwang vollzogenen Analverkehr besprechen. Die Herren drücken sich bei ihrer Erörterung natürlich lebensnaher aus.

Das ist so eine Idee aus dem schicken Hirschen. Von jenen aus dem Hirschen enthemmter Biedermänner unterscheidet sie sich aber eigentlich nur dadurch, dass bei letzterem nicht Raubkopierer, sondern vorzugsweise Kinderschänder die Hauptrolle spielen. Außerdem bekommen Dimpfl für ihre Gewaltphantasien kein Geld. Die Deppen machen umsonst, wofür Kreative sich branchenüblich gut honorieren lassen. Und ihr Bier müssen sie auch noch selbst zahlen.

Und noch eine “witzige” Idee aus der Anti-Raubkopierer-Kampagne: Von der Site ‘hartabergerecht.de’ aus kann man “Coole Sprüche als E-Card verschicken”. Darunter: “Spezial-Behandlung statt Special Features!”

Auch diese zeugt von einem sehr kreativen Umgang mit dem Rechtsstaat, wie er in “Zum Goldenen Hirschen” jedweder Art gepflegt wird. Denn der Rechtsstaat, der in bundesdeutschen Gesetzen kodifiziert ist, kennt eine solche “Spezial-Behandlung” nur als strafbaren Übergriff und nicht als Maßnahme des Strafvollzugs.

Bekannt geworden ist dieser Begriff in jüngster Zeit ja vor allem durch die US-Soldatin Lyndie England und ihre Vorgesetzten. Und auch die Sergeantin empfand Bilder von Wehrlosen, die sexuell gedemütigt werden, als witzig: “Wir dachten, es sähe lustig aus. So haben wir halt Fotos gemacht.”

Wie kommt man bloß auf solche Witze? Offenkundig gibt es zwei Umstände, die Leute so enthemmen können: Krieg und Geld. Womit wir wieder beim jiddischen Witz vom Anfang wären.

Hinreichend ist keine der beiden Bedingungen. Wohl aber bedarf es etwas Selbstachtung, um sich ihnen zu entziehen. Auch im Fall des Geldes sollte das machbar sein.

Und noch eine Bedingung muss auf jeden Fall hinzu kommen: das notwendige Maß an Ignoranz. Die Filmindustrie hat über Jahre hinweg technische Entwicklungen wie Breitband-Zugänge zum Internet, die Grid-Technologie und die Datenkompression ignoriert.

Jetzt, da sie Probleme damit bekommt, weiß sie sich nur durch Gewaltphantasien in Kampagnenform zu helfen. Während andere Branchen das Customer Relationship Management weiterentwickeln, sind der Filmindustrie offenkundig nur die Handschellen als Instrument der Kundenbindung bekannt.

Aber ganz so existenziell, scheinen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Wirtschaftszweigs ja nicht zu sein. Sonst könnte er schließlich keine teuren Agenturen beauftragen.

Für die Konzeption von Kampagnen wie jene gegen Raubkopierer gäb’s schließlich auch preiswertere Lösungen. Eine Palette billiges Dosenbier für eine Kameradschaft Kahlgeschorener hätt’s auch getan.

Die Herren in den Springerstiefeln haben nämlich hinsichtlich des Rechtsstaats auch sehr viele kreative Ideen. Und ob die daraus entstehenden Witze bei Leuten ankommen, die gerne auf dem Niveau deutscher Filmverleiher lachen, hätte man so ebenfalls gleich austesten können.