Der Pinguin im Sommerloch

Und was die da wieder alles reingepackt haben, die Journaille und die Politiker – ins Sommerloch! Das sind ja die beiden Berufsgruppen, die’s jetzt besonders schwer haben.

Politiker etwa, die sich zu Höherem berufen fühlen, aber niemanden gefunden haben, der wirklich rufen mag, die stehen im Sommerloch immer unter Strom, weil sie nur da den Beweis antreten können, dass es sie noch gibt, beziehungsweise dass es sie überhaupt gibt.
Heuer hat Oskar Lafontaine – den gibt’s noch – im Sommerloch und im Spiegel gesagt, dass er den Bundeskanzler für gescheitert hält. In normalen Zeiten hätte das ja keine 3-Zeilen-Meldung abgegeben. Hat doch weder News-Wert, dass Lafontaine das meint, noch dass dem so ist.

Daraufhin hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Kemper erklärt – den gibt’s anscheinend auch – man solle den alten Rechthaber aus der Partei ausschließen. Und weil jener sich darüber hinaus noch positiv über eine neue Linkspartei geäußert hat, sieht der SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter das genauso. Der weiß, dass so was geht, hat man ihn doch zu Juso-Zeiten selbst rausgeworfen, weil er sich positiv über die DKP geäußert hatte.

Wobei das Problem mit Lafontaine ja eigentlich so groß nicht sein kann. Dem könnte die Schröder-Partei schließlich auch einfach wegen sozialdemokratischer Tendenzen die Mitgliedschaft entziehen.

Aber das ist es, was Politiker in dieser nachrichtenarmen Zeit so umtreibt. In den Redaktionen wiederum herrscht Ausnahmezustand, weil die Leute, die für gewöhnlich das Blatt zuschreiben und das meist auch können, jetzt gerade irgendwo in einem preisgünstigen Pauschalurlaub sind. Deshalb müssen da die Chefredakteure ran, obwohl die ja ungern die Arbeit von gewöhnlichen Schreiberlingen tun und sich lieber ebenfalls als Politiker gerieren.

Herausgekommen ist dabei, dass Claus Strunz, der Chefredakteur von Bild am Sonntag, eine Volksabstimmung zur Rechtschreibreform gefordert hat. Und: „Bild kehrt zurück zur alten Rechtschreibung“ – so machte selbiges Blatt zu Wochenbeginn in eigener Sache auf. Ein dankbares Thema!

Und dankbar muss man auch der Bild für diese Headline sein. Weil: Von alleine kommt man da ja nun wirklich nicht drauf. An den von Bild für wichtig erachteten Meldungen (vom Montag) jedenfalls ist nicht erkennbar, ob sie jetzt alt oder neu geschrieben sind.

„Britney kauft ihr den Mann ab“, einer gewissen Shar Jackson. (Kevin Federline heißt der Mann.) Oder: „Klinsmann-Hammer: Kahn bangt um WM“. Und: „Hier kommt der erste Ossi-Ferrari“, der Apollo der MGM Sportwagen Manufaktur Altenburg. Eigentlich war der überschaubare Wortschatz von Deutschlands auflagenstärkstem Blatt doch schon immer eher resistent gegen diffizile philologische Überlegungen.

Was natürlich erst recht für das Wichtigste auf der Titel-Seite gilt, das „Girl von Seite 1“, eine von hinten fotografierte, junge, blondierte Frau mit kurzem und zudem hochgeschobenem Rock. BU: „Echte Po(p)-Art”. Wer mag da an Orthographie denken.

Ein Sommerthema halt (die Rechtschreibreform). Die Tage werden aber auch wieder kürzer und die Röcke länger. Deshalb: Interessanter noch als die Schreibung altbekannter Wörter ist die Bedeutung neu-kreierter Begriffe. Auch davon entstehen ja viele im Sommerloch.

So hat der bayerische Ministerpräsident dieser Tage erklärt, dass Monika Hohlmeier bleibt, solange er Kabinetts-Chef ist. Die Kultusministerin soll unwillige Parteifreunde mit Dossiers über ihre Verfehlungen, gesammelt in einem grünen Plastik-Ordner, unter Druck gesetzt haben.

Die Computerbranche müsste ihr dafür dankbar sein, wäre doch dadurch ein- für allemal klargelegt, dass ein Big Brother keine großen Datenbanken und Hochleistungsrechner braucht. Der Schnellhefter einer kleinen Tochter könnt’s auch tun.
 
Aber aus der Entourage des Ministerpräsidenten – bedeutende Politiker sagen schließlich nicht, sondern lassen sagen – da verlautet, die Aussage von Edmund Stoiber sei „wenig belastbar“. Ein interessanter Begriff, ungeachtet seiner Schreibung. „Halt so daherg’red’t“ ist sicherlich ein nur unzulängliches Synonym.

Der CSU-Vorsitzende soll ja sogar damit gedroht haben, den skandalträchtigen Münchner Stadt-Verband seiner Partei aufzulösen. Der bayerische SPD-Landesvorsitzende – auch den gibt’s, Ludwig Stiegler heißt er – müsste sich bei einem entsprechenden Vorhaben schon sehr beeilen, bevor das Unterfangen Mangels verbliebener Mitgliedermasse scheitert.

Trotzdem hat München ja immer noch eine SPD-geführte Stadtregierung. Und die hat die schönste Sommerloch-Meldung generiert, weil sie zeigt, dass man auch mit IT-Themen die nachrichtenarme Zeit überbrücken kann.

Der grüne Münchner Stadtrat Jens Mühlhaus – doch, auch den gibt’s – der hat den Münchner Oberbürgermeister Christian Ude – den gibt’s nun aber wirklich – aufgefordert, die Risiken des kommunalen Linux-Projekts noch einmal zu überprüfen.

Deshalb ist der Durchmarsch von Tux in den Münchner Amtsstuben vorerst einmal gestoppt worden. Allerdings nicht, weil die weiß-blauen Rot-Grünen darüber uneins wären. Der Stadtrat wollte vielmehr nur öffentlichkeitswirksam darauf drängen, dass die politisch gleichfarbige Berliner Koalition im Streit zwischen den Europäern in EU-Parlament und Ministerrat sich zugunsten einer Open-Source-freundlichen europäischen Patentgesetzgebung einsetzt.

Die Linux-kritische CSU hat daraufhin den Grünen-Antrag bezüglich der Risiken weitgehend abgeschrieben und selbst gestellt. Worauf Joachim Wuermeling, ein – gleichfalls existierender – Europapolitiker dieser Partei, der sich ansonsten für ein Patentwesen im Interesse der Software-Konzerne stark macht, erklärt hat, besagte Risiken gäbe es gar nicht.

Um auf all so was zu kommen, genügt ein bloßer Sommer nicht. Dafür braucht’s mehr: Biergartenwetter!

Und an der an entsprechenden Tagen zentralen Größe kann man auch erkennen, wie nötig die Rechtschreibreform doch war: Die „Mass“, die als solche sicherlich an der Entstehung der einen oder anderen Sommerloch-Geschichte maßgeblich beteiligt war, ist dadurch auch in der geschriebenen Sprache eindeutig von eher phantasie-hemmenden Begriffen wie „mäßigen“ und „maßvoll“ zu unterscheiden.