BPO steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen

Europas zweitgrößter IT-Dienstleistungsmarkt lässt sich viel Zeit für Vertrauensbildung.

Das Auslagern von Geschäftsprozessen (Business Process Outsourcing oder BPO) wird heutzutage, nicht nur in Deutschland, als Wachstumstreiber der IT-Services-Industrie hochgejubelt. In den USA und Großbritannien sind die Märkte für BPO schon seit über 10 Jahren etabliert und genießen kontinuierliches Wachstum. Viele der dort agierenden BPO-Provider und IT-Dienstleister lenken nun ihr Augenmerk auf den deutschen Markt als zukünftigen Wachstumstreiber mit hohem Potenzial. Ovum hat eine detaillierte Analyse des deutschen BPO-Marktes vorgenommen, um Hype von Realität zu trennen. Die Ergebnisse sind ernüchternd.
Wir schätzen, dass der deutsche BPO-Markt im Jahre 2004 nur etwa 710 Millionen Euro ausmacht. Mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 7 und 11 Prozent über die kommenden vier Jahre erscheint BPO zwar als ein sehr attraktiver Bereich, da andere IT-Bereiche langsamer wachsen, allerdings darf man nicht vergessen, dass die Gesamtumsätze für BPO-Dienste immer noch sehr klein sind: Erst im Jahre 2008 wird die Milliardengrenze überschritten.

Der größte Teil der bestehende BPO-Verträge hierzulande umfasst meist einfache, administrative Prozesse mit niedriger Wertschöpfung in den Bereichen Gehaltsabrechnung und, speziell im Finanzsektor, Transaktionsprozesse, zum Beispiel für Schecks oder Wertpapiere. Besonders im Bereich Personaldienste ist es auch oft immer noch der Kunde, der die Gesamtverantwortung für einen Geschäftsprozess innehat.

BPO-Anbieter zielen auf höherwertige Dienste ab

Das heißt, es handelt sich in solchen Fällen nicht wirklich um BPO, sondern um einen simplen Bürodienst wie das Ausdrucken und verschicken von Gehaltsabrechnungen, die Bearbeitung von Mitarbeiteranfragen oder das Auffrischen von Personaldaten. Solche Aktivitäten werden von Anbietern heute als ‘BPO’ tituliert, weil es zukunftsweisend erscheint und die Möglichkeiten bietet, Kunden weitere, höherwertigere BPO-Leistungen anzupreisen.

Die Umsätze mit BPO-Transaktionsprozessen werden in den nächsten Jahren moderat wachsen, mit jährlichen Raten von 4 bis 6 Prozent. Die meisten Anbieter zielen aber auf höherwertige Dienste ab, mit höheren Wachstumsraten. Hierzu zählen:
* HR-Outsourcing – Rekrutierung, Mitarbeiterbewertung, Weiterbildung/Training, Personalstrategie
* Kundenmanagement – Übernahme der Verantwortung für die Abwicklung und Verbesserung der Interaktion mit Endkunden, über die Bereitstellung von Kontaktcentern hinaus
* Übernahme von mehr und mehr Back-Office-Prozessen, insbesondere in den Bereichen Beschaffung und Rechnungswesen/Controlling.

Das größte Potenzial für Verträge für horizontale BPO-Dienste liegt bei Firmen im Finanzsektor, in der Industrie, sowie Telekommunikation und Utilities. Im öffentlichen Sektor gibt es zwar hohes Potenzial, doch wird es hier noch mehrere Jahre dauern, bis Aktivitäten in signifikantem Maße ausgelagert werden.

Im Finanzsektor besteht weiterhin Potenzial für spezifische Dienste. Dazu gehört die Verwaltung von Krediten oder Versicherungspolicen. Obwohl viele deutsche Unternehmen noch nicht bereit sind, solche Prozesse an externe Dienstleister auszulagern, glauben wir, dass es in den kommenden Jahren einige kleinere Vertragsabschlüsse (mit Vertragswerten unter 50 Millionen Euro) geben wird, da Finanzdienstleister mehr und mehr unter Druck stehen, ihre Back-Office-Funktionen zu rationalisieren. BPO-Anbieter müssen allerdings ihre Fähigkeiten einer effizienten, sicheren und hochqualitativen Abwicklung nachweisen, am besten durch Referenzen.

Deutsche Unternehmen sind noch sehr BPO-kritisch

Zur Zeit ist BPO in Deutschland noch anbietergetrieben und es gibt nur wenige große Deals, zum Beispiel EDS/Infineon, IBM/Dresdner Bank, Accenture/Deutsche Bank, die aber alle noch in relativ frühem Stadium sind und daher noch keine langfristigen Erfolge vorweisen können.

Deutsche Unternehmen sind noch sehr konservativ, wenn es um die Auslagerung von Geschäftsprozessen geht, und dies wird sich auch in absehbarer Zeit nicht dramatisch ändern. Kulturelle Faktoren, wie die Angst vor Kontroll- oder Qualitätsverlust, stellen noch größere Hürden dar als die arbeitsmarktrechtlichen Limitationen. Deutschland, der zweitgrößte Markt für IT-Services in Europa, ist kein ‘Fast Adopter’ von BPO-Diensten, und BPO wird in absehbarer Zeit kein Massenmarktphänomen werden.

BPO-Anbieter, die sich in Deutschland positionieren wollen, um langfristig von den Wachstumschancen zu profitieren, müssen drei Kernkompetenzen vorweisen:
* Sie müssen Prozess-Know-how durch Referenzen und Erfolgsstories, möglichst von deutschen oder deutschlandnahen Kunden, nachweisen;
* Sie müsen detailliertes Know-how der Industriesektoren besitzen, die sie mit BPO-Diensten adressieren;
* Sie müssen langfristig in die Vertrauensbildung beim Kunden investieren und die Bereitstellung von BPO-Diensten als langfristige strategische Partnerschaft offerieren.