Die Anna Amalia Bibliothek geht online

Die Weimarer Büchersammlung steht vor dem Schritt ins digitale Zeitalter. Über das Internet sollen historische Werke der ganzen Welt zugänglich sein.

In Centera stecken Festplatten. Auf die Idee, Bandspeichermedien zu benutzen, als deren letzte Bastion das Archiv gilt, ist EMC laut Marketing Director Malte Rademacher nicht gekommen. “Festplatten haben viele Vorteile. Sie sind schnell und sie kosten heute kaum mehr als Bänder. Auf die Frage, ob Tapes nun also keinen Wirkungskreis mehr hätten, antwortet Rademacher: “Sie sind noch nicht tot, aber sie siechen dahin.”

Digitalisierung und Urheberrechte: Alles “ist so kompliziert”

Bis ein Werk digitalisiert und online gestellt ist, laufen eine Reihe von Prozessen ab, die HAAB-Direktor Knoche als “kompliziert” beschreibt. Denn trotz aller hochtechnischen Speichermedien und Systeme verlassen sich die Bibliothekare weiterhin auf den Mikrofilm. Der muss als Zwischenschritt auf dem Weg ins Internet eingerechnet werden. Auf der Centera liegen nämlich die gescannten Filme der Werke, die der Mikrofilm gemacht hat.

Rademacher von EMC sieht das naturgemäß anders. Aus seiner Sicht wäre die Aufnahme auf Mikrofilm nicht notwendig, zumal die Centera grob gesagt nur ein intelligentes Gehäuse ist, dem es egal ist, welchen technischen Status das jeweilige Speichermedium besitzt. Sollte sich die Technologie ändern, könne man “darauf reagieren”. Knoche dagegen schwört auf das Traditionsgut und lässt sich davon auch nicht abbringen.

An den Scan angefügt werden die bibliografischen Daten des Buches wie Autor, Titel und Erscheinungsjahr, und er bekommt eine Nummer, mit der das Original im Gemeinsamen Bibliotheksverbund (GBV) erfasst ist. Zusätzlich geben Mitarbeiter die Struktur des Buches bis hin zu Kapiteln oder Kupferstichen in das Dokumentenmanagement der Bibliothek ein. Daraus werden anschließend die Metadaten für die Online-Datenbank erstellt, um eine detaillierte Recherche zu ermöglichen.

Von dort soll es kein Entrinnen und vor allem keine Möglichkeit mehr geben, den Inhalt, der als Jpeg- oder Tiff-Datei abgelegt ist, zu verändern. Eine einmal digitalisierte Seite bleibt unveränderbar, weil sie mit einem ‘digitalen Fingerabdruck’ versehen wird, der die Authentizität des Inhalts sichern und das Wiederfinden in der Datenbank erlauben soll.

Als erstes – 2007 – ist die Bereitstellung von 14.000 Werken geplant. Dabei handelt es sich um die Faustsammlung, deren Kern die Faust-Dichtung Goethes bildet. Für sie hat man sich entschieden, weil sie zu den beliebtesten Werken der HAAB zählt. Der Zugriff auf die Digitalseite soll gratis sein. Erst wenn beispielsweise Druckvorlagen für Nachdrucke benötigt werden, fallen Kosten an. Die Qualität des Scans entspreche grundsätzlich den digitalen Druckvorlagen für Reprints.

Deutschland – Entwicklungsland

Andere Werke werden nach dem Wunsch der HAAB-Leitung folgen, darunter eine Ausgabe des frühen Satire-Magazins Simplicissimus. Allerdings wolle man die Werke aus dem 20. Jahrhundert aus urheberrechtlichen Gründen noch nicht online stellen. Auch Google habe bei seinem Bücherprojekt Google Print schon Werke ausklammern müssen.

“Bibliotheken sind noch strengere Wahrer der Rechte. Es kommt immer auf die Vereinbarung mit den Verlagen an”, so Knoche. Und er gibt der Suchmaschine noch einen mit: Bei Google wisse man nie, in welcher Zeitschrift genau man was gefunden habe, zu wenige Details erhalte man da. “Bei uns gilt der Grundsatz: digitalisieren und erschließen.” Letzteres ergibt sich laut Knoche, wenn exakt zu verfolgen ist, aus welchem Werk der gesuchte Begriff stammt.

Bereits 2001 forderte der Wissenschaftsrat, große Digitalisierungsprojekte finanziell zu unterstützen. Passiert ist nichts. Und auch sonst gebe es keine Steuerung auf Bundesebene, “niemanden, der sich mit Bibliothekswesen beschäftigt”, beschwert sich Knoche. Manche Projekte der HAAB laufen gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgesellschaft. “Immerhin”, meint der HAAB-Direktor. Andere Länder seien da mal wieder viel weiter vorne. Als Pionier gilt die Library of Congress in Washington, die große Bestandsmengen bereits digitalisiert und online gestellt hat. Als Technologiepartner tritt auch hier EMC auf.

Je mehr Bibliotheken aber die Möglichkeit bekommen, ihren Bestand noch mehr zu öffnen, desto mehr könnten aber auch Forscher aus aller Welt davon profitieren. Untereinander verständigen sich die Büchersäle über das CERL. Das Consortium of European Research Library diskutiert Standards, überlegt sich Möglichkeiten für das Dokumentenmanagement und stellt Kataloge bereit.

Das Sponsorenprojekt von EMC für die HAAB jedenfalls ist auf 5 Jahre angelegt, “mit Verlängerungsoption”, so Rademacher. “Und wir haben nicht vor, uns aus dem Projekt zurückzuziehen.” Ob das dann alles noch kostenlos ist, darf allerdings angezweifelt werden. Irgendwann muss man wohl die Gretchenfrage stellen.