Zerebrale Computereien

So wie die vom Wochenende: Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne wolle das menschliche Gehirn im Rechner simulieren.

So wie die vom Wochenende: Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne wolle das menschliche Gehirn im Rechner simulieren. Und IBM, die erfolgreichste Supercomputing-PR-Agentur der Welt – mit eigener Produktionsabteilung – steuert die dafür nötige 23-TeraFlOPS-Maschine bei. Das hat doch was!

Hinzu kommt, dass man mittlerweile nahezu jede geistige Aktivität lokalisieren kann. Erst jüngst haben israelische Wissenschaftler nachgewiesen, dass Satire und Ironie im rechten ventromedialen präfrontalen Cortex verstanden wird. Wem das jetzt auf Anhieb nichts sagt: in der Gehirnregion, die über dem rechten Augapfel liegt.

Da wär’s doch mal recht interessant, sich selbst in den Computer zu packen und sich ein paar Stunden lang beim Denken zuzuschauen. Am Dienstag beispielsweise wär’ das sicherlich recht lustig gewesen. Am Tag, an dem die Power.org-Konferenz in Barcelona begann, das erste europaweite Treffen von Entwicklern, die mit IBM-Chips arbeiten.

Morgens, um 3:45 Uhr, wären außer jener des dumpf vor sich hin arbeitenden vegetativen Nervensystems noch keinerlei Aktivitäten im Zerebral-Rechner zu bemerken gewesen. Trotz lauten Weckerklingelns weigert sich das System zu booten.

Um 4:02 meldet CNN: Apple werde künftig seine Macs mit Intel- statt mit Power-Prozessoren bestücken. Da wird die Aufregung groß sein in Barcelona. Und es wird sehr, sehr viel zu berichten geben.

Das Lustzentrum, jener Teil des Gehirns, in dem sich – unter vielem anderen – auch die Freude an der Arbeit manifestiert, es droht offline zu gehen. Eintrag im Logfile: “Es ist nicht nur fürchterlich früh am Tag. Jener droht zudem noch, äußerst arbeitsreich zu werden.”

Um 6:20 Uhr versucht das noch immer nicht richtig hochgetaktete Wahrnehmungszentrum, einen Artikel aus der Lokalzeitung aufzunehmen. Das Blatt liegt in der Abflughalle des Stuttgarter Flughafens aus.

“Angela Merkels Kandidatur macht die Republik weiblicher”, hat die Kolumnistin einen Vierspalter überschrieben. “Ja, sie ist’s, und sie soll es sein. Unsere Angela von Orleans. Zum Sieg wird sie uns führen. Darauf baut… eine Mehrheit unter den Wählern.” Hilflos sucht der Blick den Bereich über dem rechten Auge. Da müssten sich doch jetzt eigentlich die Neuronen kugeln und die Synapsen kringeln.

Aber es ist dunkel. Das System meldet keinerlei Aktivität.

Also weiter im Text: “Frauen wunderbar führungsbegabt”, lautet eine Zwischenüberschrift. “Da hilft auf keinen Fall das taufrische himmelblaue Jungmädchenlächeln. Da muss Angela Merkel allem anderen voran schon eine richtige Bismarckin sein”, lässt die Autorin mit dem Doppelnamen ihren Artikel kulminieren.

Sie meint es ernst, meldet das Ironiezentrum über dem rechten Auge, und dass es deswegen da jetzt auch nichts tun könne. Leicht beleidigt merkt es noch an, dass ihm die Zuständigkeit für die größten Brüller ja wieder mal entzogen worden sei. Die Aufgabenverteilung im Gehirn sehe nun mal vor, dass jene in Wahlkampfzeiten vom Realitätssinn verarbeitet werden müssten.

1245 Gramm wiegt im Schnitt das Gehirn einer Frau, 1375 Gramm das eines Mannes. Hirnforscher sind sich sicher, dass aus den Gewichts- keinerlei Intelligenz-Unterschiede resultieren.

Und das scheint auch zu stimmen. Jedenfalls drängeln beim Boarding für den Lufthansa-Flug LH 4494 um 6:40 Uhr unterschiedslos Angehörige beiderlei Geschlechts. Es ist erstaunlich, dass es Wesen, die so üppig mit Hirnmasse ausgestattet sind, nicht einsichtig ist, dass man mit einem Flugzeug trotzdem nicht früher ankommt als andere Passagiere, auch wenn man früher einsteigt.

Sich durch- und die Ellenbogen einzusetzen, ist bei vielen offenbar ein bedingter Reflex. Und sowas bedarf keiner an den menschlichen Verstand gerichteten  Begründung. Das geht überhaupt nicht über das Großhirn.

Um 10:15 Uhr geht vom vegetativen Nervensystem die Meldung ein, dass bislang – im Laufe des noch jungen Tages – der Körper mindestens anderthalb Liter Kaffee aufgenommen hat. Der gesamte Organismus sei jetzt völlig wach.

Der Input von den Temperatursensoren in der Haut lässt auf einen sonnigen Frühsommertag am Mittelmeer schließen. Im Gedächtnis ist abgespeichert, dass, über ein schönes Thema wie Prozessoren zu plaudern, bislang eigentlich immer recht kurzweilig war.

Und das Großhirn macht sich bewusst, dass zudem bis zu den ersten Terminen noch vier Stunden Zeit sind, die für einen ausgiebigen Spaziergang entlang von Les Rambles ausreichen, der Hauptpromenade Barcelonas. Es regt daraufhin an, nach der ganzen Anstrengung erst einmal reichlich Endorphin auszuschütten.

Abends, um 19:20 Uhr, spricht bei einem Empfang am Rande der Konferenz einer der unzähligen IBM-Vice-Präsidenten über die tollen Einsatzmöglichkeiten für die Produkte seines Unternehmens. Das Gehirn hat sich deswegen schon wieder etwas abgedimmt.

Da kommt er zur Cortex-Simulation im Supercomputer. Das Gehirn schaltet auf wach.

“Fascinating” sei derartiges, sagt der Vice-President. Der Abgleich mit den im Kurzzeitgedächtnis gespeicherten Daten bestätigt, dass das stimmt und auch nicht übertrieben ist. Und eine Query im Langzeitgedächtnis ergibt, dass eine wahre und zudem angemessen formulierte Aussage im Vortrag eines Vice-Präsidenten nun wirklich etwas ganz Besonderes ist.

Doch, es war ein interessanter und anregender Tag in Barcelona. Zufriedenheit breitet sich im System aus. Ein Status, der durch die Aufnahme des auf dem Empfang gereichten Cabernet Sauvignon noch verstärkt wird.