La Terreur

Und dabei schrecken die lange Zeit Geschundenen vor keinem Mittel zurück, das die moderne Internet-Technik bietet: Blogs, Postings, JPEGs, Animationen und Flashes.

Und dabei schrecken die lange Zeit Geschundenen vor keinem Mittel zurück, das die moderne Internet-Technik bietet: Blogs, Postings, JPEGs, Animationen und Flashes.

Ausgelöst hat die Exzesse wie so oft ein sensibler Intellektueller, dessen feines Sprachgefühl darauf schließen lässt, dass er eigentlich wirklich zu keinerlei Gewalt fähig ist, außer zu verbaler halt. Eine Art virtueller Jean Paul Marat.

Geschickt knüpft er mit einem Pamphlet in seinem Weblog an die Alltagserfahrungen der Massen an – in dem Fall an die wöchentliche Sendung mit der Maus – um im Sachgeschichten-Duktus das unmündige Volk über seine Ausbeuter aufzuklären. Über die Jamba!-Chefs “den Marc, den Oliver und den Alexander” schreibt er: “Wo sie das viele Geld her haben? Na von euch, liebe Kinder!”

Sein offenkundiges Ziel – den halbwüchsigen potentiellen Mob zur Gewalt aufzustacheln. “Wenn ihr die mal auf der Straße trefft, dann könnt ihr… ihnen sagen, wie toll sie sind. Wie schlau sie sind. Und wie klug. – Ihr könnt sie aber auch anspucken.”

Nun knöpft sich aber erfahrungsgemäß aufgebrachtes Volk nicht gleich seine Ausbeuter vor, sondern tut sich erst einmal an deren Symbolen gütlich. 1789 war das die Bastille. Heute ist’s Sweety, das ubiquitäre Klingelton-Küken.

Weil aber die Erfindung des Dr. Joseph Ignace Guillotin noch nicht virtualisiert worden ist, geht’s im Cyberspace nun schon seit geraumer Zeit furchtbar sadistisch zu. “Lasst die gelbe Brut bluten”, heißt es da im Supernature Forum.

“Sweety muss sterben”, ist auf einer anderen Site eine Photogeschichte überschrieben, in der eine Plüsch-Schlange ein Stofftier-Küken erwürgt. Eine “Jamba-Sweety-Hass-Seite” hat jemand ins Netz gestellt und Bilder, auf denen jenes – vollständig das Kindchen-Schema implementierende – Vieh von zwei Dobermännern zerrissen oder von einer Axt in zwei Teile gespalten wird.

Ausgesprochen brutal sind vor allem die Flash-Animationen. Da kann man Sweety wahlweise mit einem Hammer, einem Flammenwerfer oder einer Kettensäge zu Tode bringen.

Und es ist nicht nur der enthemmte Pöbel, der sich da austobt. Auch die Schöngeister von der Süddeutschen Zeitung haben am vergangenen Wochenende die Symbolfigur der Klingelton-Welt zum Thema gemacht.

Die Bohemiens malen sich deren Zubereitung “auf Schwammerl-Belugalinsen und Speckfisolen” aus. Ballerspiele mit Sweety im Fadenkreuz gibt es und JPEGs, auf denen es von Dart-Pfeilen durchbohrt oder von einem Raubvogel aufgefressen wird.

So hat sich der furchtbare Amtmann der französischen Revolution, Maximilien Robespierre, wohl die Sache mit seinem “terreur” vorgestellt. Und wir, die wir zu einer Zeit studiert haben, als man sich allein schon durch eine Immatrikulationsbescheinigung verdächtig gemacht hat, irgendwie ein Sympathisant zu sein?

Wir sind mittlerweile gesetzt geworden und lieben es, mit der Bahn zu fahren: Während die Landschaft vorbeifliegt tippen wir Artikel über den Cache Coherent Non Uniform Memory Access, Hardware-Multithreading, über Manufacturing Execution Systems oder die IT als solche und darüber hinaus – was halt gerade bezahlt wird. Andere gehen anderen Arbeiten nach in dieser beschaulichen Atmosphäre des Reisens.

Und dann ertönt es wieder von irgendwoher im Wagon “The Entertainer”, die A-Moll-Symphonie von Mozart, oder das Viech quäkt: “I may be small, I may look sweet…”. Und jemand, der noch nicht begriffen hat, dass es der Zweck des Telefons ist, Distanzen kommunikativ zu überwinden, ohne brüllen zu müssen, lässt einen akustisch an seinen privaten oder geschäftlichen Angelegenheiten teilhaben.

Die sind es dann, die Momente, in denen wir Sympathie empfinden für den Terror – jenen Terror, dessen Ziel das glubschäugige, animierte Küken ist. Also doch!

Wobei: Man sollte das alles etwas gelassener sehen. So direkt und unmittelbar geht schließlich nichts im Leben. Das war auch nach der französischen Revolution so. Da kam dann erst einmal ein Kaiser, ein König und ein Bürgerkönig.

Dann gab’s wieder eine Republik und noch einen Kaiser. Und dann erst konnte sich die République Francaise etablieren. Der meist begangene Weg in der Geschichte ist halt der Umweg.

Und deshalb wird auch keinerlei virtuelle Gewalt gegen die quäkende Symbolfigur etwas nützen. Was aber bleibt ist die Hoffnung auf eine Zukunft, in der jene großartigen Prinzipien dann doch verwirklicht sind: Liberté, Egalité, Fraternité und Silence.