Offener Brief

Günni, Marie, Flori, ich darf doch du zu euch sagen?

Ihr duzt mich schließlich auch. “Du bist Deutschland”, erklärt ihr mir dauernd. Am Montagabend im Fernsehen. Und seitdem ständig auf eurer Web-Site. Der mit den vielen bunten Flash-Animationen.

Aufgeschrieben hat euch diesen komischen Satz die Initiative “Partner für Innovationen”. Was sehr nach High Tech klingt. Aber eigentlich geht’s euren Partnern ja um etwas anderes.

Sie wollen die Leute mal wieder ordentlich in die Senkel stellen. Diejenigen, die man früher gesellschaftlich Benachteiligte genannt hat. Heute sagt man das allerdings nicht mehr, weil es sich so nach Sozialneid anhört.

Deshalb spricht man lieber von bildungsfernen Schichten. Das ist moderner. Und es meint die gleichen. Jene Schichten also sollen nicht immer so larmoyant sein, lasst ihr durchblicken, sondern statt dessen die Ärmel hochkrempeln und den Gürtel enger schnallen.

Du, Günni, Herr Jauch, sagst das ja sehr schön in deinem Flash: “Jammern wird mit der Zeit langweilig. Und alles immer auf die Verhältnisse zu schieben oder auf die Gesellschaft oder auf den Staat, immer auf irgendwelchen finsteren anonymen Mächte, das ist nicht der Weg, um den Karren wieder flott zu kriegen.” Dabei schaust du die Leute so an, wie du in der Quelle-Reklame zu deinem Hund guckst.

Günni, das ist sehr mutig von dir. Die Leute könnten sich nämlich leicht veräppelt fühlen und dann nicht mehr “Wer wird Millionär?” schauen. Und das, obwohl viele dies doch so gerne mögen, sich mal eine Stunde lang der Illusion von Wohlstand und Überfluss hingeben.

Du kannst das vielleicht nicht so recht nachvollziehen. Für dich stellt sich diese Frage ja nicht mehr.

Also ihr wollt die bildungsfernen Schichten mal ein bisschen auf Trab bringen. Klar! Das merkt man ja schon daran, dass auch das Zentralorgan für Bildungsferne mitmischt. Das, dessen Name sich aus den ersten vier Buchstaben dieses Worts zusammensetzt.

Diese Zeitung hat Deutschland sprachlich neu gestaltet, wie man an euch feststellen kann. Erst “Wir sind Papst”. Dann macht ein einfallsloses Konkurrenzblatt vor einer Woche mit “Wir sind Kanzler” auf. Und dann noch ihr mit “Du bist Deutschland”! Aber wenn’s der Sache dient.

Marie, Frau Kommissarin Lindholm oder Frau Dr. Furtwängler, wie du dich manchmal auch nennst. Schön, dass du auch für das Gute kämpfst.

Gerade du wirst gebraucht. Schließlich hast du, wenn’s um Loser geht, die höchste Kompetenz, weil du doch im ‘Tatort’ mit diesem Martin Felser zusammenwohnst.

Der schaut dir immer mit ganz sehnsüchtigen Augen hinterher. Du aber hast ja was mit dem Staatssekretär. Klasse, wie du diese verkrachte Existenz von deinem Mitbewohner deswegen ständig eiskalt abblitzen lässt!

Recht so. Glaub mir, solche Typen brauchen das.

Von deinem taffen Wesen könnte sich dein Kollege Ehrlicher mal eine Scheibe abschneiden. Der macht nicht mit bei euch. Der ist nicht Deutschland.

Der wollte im Gegenteil für die Frustrierten – wie’s Dr. Stoiber so feinsinnig formuliert hat – in den Bundestag. Dort hätte er dann als MdB Peter Sodan wahrscheinlich sogar für gesetzliche Mindestlöhne gestimmt, weil er vielleicht der abwegigen Ansicht ist, das Leben als Bäckereifachverkäuferin mit 5,52 Euro Tariflohn sei ein noch härteres Schicksal als das deines ständig abgewiesenen Mitbewohners.

Du, Flori, Herr Dr. Langenscheidt, bist da natürlich anders. Du hast dich vor der Wahl für die FDP stark gemacht. Die Partei der Besserverdienenden. Was man wegen dieses schlimmen Sozialneids aber ebenfalls nicht mehr so sagen sollte.

Dabei hast du doch auch viel für die nicht so gut Verdienenden übrig. Ein paar warme Worte etwa wie diesen komischen Satz.
 
Ihr Schönen und Guten. Lieb von Euch, dass ihr mich habt wissen lassen, in welcher Welt ihr lebt. Nur eins: Treibt’s nicht zu bunt. Die Leute, die etwas mehr Mühe aufwenden müssen als ihr, um ihr Leben zu fristen, die mögen es nämlich gar nicht, wenn man sie verhohnepiepelt.

Und noch eine ganz persönliche Frage: Warum bin ich denn Deutschland? – Nein, das ist mir nicht arg. Ihr hättet euch zwar einen schöneren pars pro toto aussuchen können als ausgerechnet mich. Aber das geht schon in Ordnung.

Schlimmer wär’s ja, wenn ihr Deutschland wärt. Dann nämlich hätte sich mal wieder ein Dichterwort bewahrheitet.

Ihr kennt es nicht. Denn wie euer gebrochenes Verhältnis zu unserer Muttersprache zeigt, habt ihr seinerzeit im Deutschunterricht wohl nie so recht aufgepasst. Deshalb verrate ich es euch. Es stammt aus den Nachtgedanken von Heinrich Heine und lautet:

“Denk’ ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht.”

1843 hat er das geschrieben. Da wird er wohl schon so eine dunkle Vorahnung gehabt haben, dass ihr einmal daherkommt.