Gespräch mit dem Bundesadler

Es tut gut, bei einem Cabernet Sauvignon (Médoc, 2001) auf eine arbeitsreiche Woche zurückzublicken.

Und das in der ziemlichen Gewissheit, dass derer wohl noch viele folgen werden: Die Digitalisierung hat zwar etliche sinnvolle und weniger sinnvolle Tätigkeiten überflüssig gemacht. Aber wenn man bei der Journaille ist, gibt’s für einen immer was zu tun.

Computer nämlich haben’s nicht so mit der Sprache. Gut, mittlerweile sind Systeme für Rechtsanwälte, Manager und Ärzte erhältlich. Aber das betrifft eben nur Berufsgruppen, deren Angehörige ihren äußerst beschränkten Wortschatz als Fachsprache pflegen. Mehr kriegen Rechner nicht auf die Reihe.

So surft man denn, beseelt vom rubinfarbenen Roten und dem Gefühl, relativ hoher Arbeitsplatzsicherheit, noch ein bisschen durch den Cyberspace, um herauszufinden, was andere erzählen, die – wie man selbst – meist auch nichts Vernünftiges gelernt haben, aber nicht Zeilenschreiber, sondern Politiker geworden sind. Schließlich landet man bei Politik-digital.de, einer Site, auf der Politiker und Politikerinnen chatten.

Ute Vogt (SPD) etwa, einst vielversprechende Innenstaatssekretärin und demnächst wieder aussichtslose Spitzenkandidatin, lächelt einen da jungmädchenhaft an – wie immer schon seit vielen langen Jahren. Mit ihrer Absicht – “will 2006 Ministerpräsidentin in ihrer Heimat Baden-Württemberg werden” – wird sie den Chattern vorgestellt.

Sie sagt: “Vor jeder Wahl müssen alle das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger neu erringen.” Ein wirklich hübscher Satz! Und vor allem: Er stimmt immer.

Eigentlich überhaupt nie stimmt hingegen jener Satz, den Cornelia Pieper, die forschungspolitische Sprecherin der FDP, bei ihrem Chat hat eintippen lassen: “Wir sind eine Partei für das ganze Volk.” Aber er ist nicht minder gefällig formuliert.

Von universeller Gültigkeit und geradezu klassischer Schönheit wiederum ist, was Hildegard Müller (CDU), heute Staatsministerin im Bundeskanzleramt, da in eingängige Worte gekleidet hat: “Auf Dauer wird nur die Partei eine Chance haben, die die Veränderungen positiv angeht und gestaltet.”

Und fast schon ein bisschen weise gibt sich die Fraktionsvorsitzende der Grünen Katrin Göring-Eckardt: “Den Wunsch, dass es auf schwierigste Probleme einfache Antworten gibt, kann ich verstehen. Das ist aber nicht realistisch.”

So antworten die auf meist durchaus ernst gemeinte Fragen, warum man eigentlich sie und ihre jeweilige Partei wählen solle, obwohl einem doch gar gefällt, was sie so machen. Selbst wenn’s – technisch ganz uptodate – über TCP/IP daherkommt, sonderlich informativ ist es nicht.

Aber da gibt es ja noch diese dpa-Meldung, die diese Woche alle Zeitungen in ihr Lay-out haben einlaufen lassen. “Erfolgsstory im Internet – Zehn Jahre www.bundestag.de” hat sie das Handelsblatt überschrieben. Das ist sicherlich auch eine interessante Adresse, denkt man sich.

Rechts unten auf der Startseite grinst ein Comic-Adler: “Ich bin Ihr virtueller Berater.” Klasse, eine MdB-Simulation! In ein Webformular kann man Fragen eingeben, die das System hinter dem Adler-Frontend beantwortet.

Und weil man, wenn’s auf’s Wochenende zugeht, zu Albernheiten neigt, tippt man denn auch: “Finden Sie nicht, dass Politiker komisch reden?” – “Der Begriff Komik kommt aus dem Griechischen und kann mit Lächerlichkeit umschrieben werden”, antwortet der Vogel.

Verunsichert sucht der Blick des Fragers die Rotweinflasche. Aber nein, daran kann’s nicht liegen. Der Pegel des Cabernets umspielt fast noch deren schlanken Hals.

Das Erstaunen ob soviel Freimütigkeit ist also berechtigt: “Das war jetzt aber eine gewagte Antwort.” – “Wie soll ich das verstehen? Würden Sie das bitte genauer erklären?” gibt der Virtuelle zurück.

Einer aus dem Bundestag, der bei einem x-beliebigen Bürger nachfragt! Da verliert man doch fast jedwede Scheu: “Na ja, wollen Sie etwa damit sagen, dass Politiker manchmal ein bisschen lächerlich sind?” “Das ist sehr fürsorglich, dass Sie sich über meine Bedürfnisse Gedanken machen, aber ich bin hier, um Ihnen zu helfen.”

Ein Profi! Seine Existenzberechtigung bestehe darin, für den Bürger da zu sein. Eine absolut souveräne Antwort! Jetzt gibt’s kein Halten mehr: “Mensch, Adler! Sind Sie etwa der Ansicht, dass Politiker konkrete Fragen konkret beantworten sollten?” Und wirklich, er ist’s: “Ja – ich bin ein Adler – Symbol des Bundestages!”

Den wählen wir beim nächsten Mal, schießt es einem da durch den Kopf. Und dann wird das Viech partitioniert – ein Teil für die CDU/CSU, ein Teil für die SPD. Und das ganze wird Mittels einer großen Koalition anschließend wieder zusammengeclustert. Damit lassen sich zumindest die Bezüge für ehrgeizige Jungstaatssekretäre und -sekretärinnen einsparen. Und so einer wie dieser Bundesadler, der emuliert leicht noch nebenbei FDP und Grüne auf einem USB-Stick.

Aber fragen sollte man ihn vorher vielleicht doch erst einmal: “Würden Sie sich zutrauen, zwei Staatssekretärs-Jobs zu erledigen?” – “Ist doch ein schöner Beruf”, lautet die Antwort des virtuellen Polit-Tausendsassas, nach der sich der Schreiber dann doch noch ein zweites Glas von dem guten 2001er einschenkt. Weil: Morgen glaubt ihm die Geschichte eh keiner mehr.