Das Jahr 2005 im Genitiv

Ach ja, es geht zuende. Man merkt das immer daran, dass die Leute dann so seltsam daherreden.

“Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter” nennt der Chef bei der Weihnachtsfeier seine versammelten Standortnachteile. Als solche jedenfalls betrachtet er sie ansonsten, wenn’s nicht um die dezemberlichen warmen Worte, sondern ums ganzjährige öffentlichkeitswirksame Jammern geht.

Auch der vormalige deutsche Sparkassen- und jetzige Bundespräsident Horst Köhler wird sicherlich schon an seiner Weihnachtsansprache arbeiten und dafür vielleicht Begriffe verwenden, die eigentlich so gar nicht zu seinem Wortschatz gehören, wie “Solidarität” und “soziale Verantwortung”. Heiligabend gehört sich das halt so.

Acht Tage noch, dann ist auch 2005 gelaufen. Deshalb  verwenden jetzt alle wieder den Genitiv. Obwohl der doch – ausweislich eines Bestsellers auf dem diesjährigen Büchermarkt: “Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod” von Bastian Sick – ob seiner Sperrigkeit hierzulande nicht mehr sehr en vogue ist.

“…des Jahres” heißt es derzeit allenthalben. Und die Existenz des meisten, was dessen angeblich ist, war einem bis dato nicht einmal bewusst.

Die Fahlerde beispielsweise ist der Boden…, eine Anlage der Firma Allweiler aus Radolfszell das Blockheizkraftwerk… und Siemens Business Services Österreich der SAP-Partner des Jahres. Gekürt von der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft, vom Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung und von der Niederlassung des größten deutschen Software-Konzerns in unserem Nachbarland.

Andere Award-Winner – aus dem Bereich der IT – sind da schon populärer. Die Redakteure des New Oxford American Dictionary haben “Podcast” zum Wort und jene des Time Magazin Bill Gates zur Person des Jahres 2005 gewählt.

Dass der mit proprietärer Software arbeitende Apple-Walkman namensgebend für so etwas Schönes wie MP3-Radio geworden ist, trifft einen hart. Aber die Auszeichnung für den Microsoft-Gründer geht diesmal ausnahmsweise – und ganz ohne Ironie – in Ordnung.

Nachdem 1982 schon “The Computer” auf der Titelseite war, ist es nur konsequent, heuer dort den Mann zu platzieren, der damit das meiste Geld gemacht hat. Zumal er ja nicht fürs Verdienen, sondern fürs Ausgeben – nämlich im Rahmen der Bill and Melinda Gates Foundation – geehrt worden ist. Mehr als er gibt nur einer: Gordon Moore, der Intel-Gründer.

In anderen Branchen ist man knausriger: Zur Bank des Jahres hat die International Financing Review die Deutsche Bank gekürt. Eine Wortschöpfung aus diesem Hause ist ja auch für einen anderen Wettbewerb vorgeschlagen worden, für denjenigen zum Unwort des Jahres: “Smartsourcing”.

So bezeichnet der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann den Plan, ein paar tausend Menschen um ihren Broterwerb zu bringen. Für so viel Chuzpe hätte es der Mehrfach-Nominierte eigentlich verdient, zum Mann des Jahres gewählt zu werden. Oder besser: zum Mannesmann.

Aber das ging nicht, weil’s heuer eine Frau ist: Angela Merkel ist von der Funkuhr als Frau des Jahres ausgesucht worden. Und ihre Amtbezeichnung lautet jetzt “Bundeskanzlerin” – laut Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort des Jahres.

Im (richtigen) Wahlkampf ist Angela Merkel denn auch von der Alt68erin Alice Schwarzer unterstützt worden, der wiederum vom Medium Magazin der Ehrentitel Journalist des Jahres verliehen worden ist. Ohne -in, was ein böser Fauxpas ist.

Eine “gemischte Erregung” verspüre sie angesichts der Aussicht, dass das höchste Regierungsamt weiblich besetzt werde, verriet die Hyper-Journalistin jüngst im Interview mit der Weltwoche. Sie hat damit einen bedeutenden Beitrag zur Gleichberechtigung geliefert. Beweist sie doch, dass nicht nur bei testosterongesteuerten – also männlichen – 68ern Hormone in der Lage sind, den Verstand auszuschalten.

“Suboptimal” nannte der Vorgänger Angela Merkels seinen fraglichen Fernsehauftritt. Er schaffte es damit – dieser Loser! – lediglich auf Platz 8 der von der Gesellschaft für deutsche Sprache herausgegebenen Wort-Liste für 2005.

Auf Platz 2 hingegen: “Wir sind Papst”. Was ein bisschen erstaunt, handelt es sich dabei doch um gleich drei Wörter, die zudem zu einem – zumindest formal richtigen – ganzen Satz zusammengefügt sind. Die Herren Professoren waren wohl etwas übermannt von der Erkenntnis, dass man bei Deutschlands auflagenstärkstem Blatt, das ansonsten nicht als Hort literarischen Feinsinns gilt, auch grammatikalisch so korrekt formulieren kann.

Aber sei’s drum. “Wir sind Päpstin” – das wäre doch mal eine Headline, die jedwede innen-Frage ultimativ beantworten könnte. Da braucht aber die Heilige Mutter (sic!) Kirche noch ein bisschen zu. Und: Ob’s dann besser wäre?

Ansonsten gibt’s heuer noch “Aldisierung”, das Wort des Jahres in der Schweiz. Dieses ist auch für die hiesige I+K-Branche hochaktuell.

“Schweigekanzler” lautet jenes Österreichs. Hierzulande kann das erst einmal nicht passieren.

Und dann sind da noch: der Brillenträger (Wigald Bonig), ausgelobt vom KGS (Kuratorium Gutes Sehen), der Allrader, verliehen im Rahmen des Allrad Championship Awards 2005, und der Pfeifenraucher des Jahres. Für letzteres stand leider nicht mehr der Vorjahresgewinner und Bierdeckel-Philosoph Friedrich Merz zur Verfügung. Weshalb die ‘Tabakzeitung’ mit Klaus Rauscher von der Vattenfall einen Strommanager genommen hat.

Auch nicht schlecht! In dem Business hat’s heuer ja vor allem solcher Menschen bedurft, die jene Gelassenheit aufbringen, zu der nur Pfeifenraucher fähig sind.

Und dann noch: der Superstar des Jahres, ein Preis, ausgelobt von der Bravo. Oliver Pocher hat ihn bekommen.

Für Menschen gesetzteren Alters: Das ist jener Halbwüchsige, der in den Talkshow-Wiederholungen Nachts im Fernsehen immer wortreich verstehen zu geben versucht, dass er auch schon geschlechtsreif sei. Tagsüber kommt der offenkundig recht gut an.

Aber so schlimm war’s denn auch wieder nicht, das Jahr 2005, wie’s sich im Genitiv anhört. Und 2006 wird bestimmt besser.

Ein Preisträger steht nämlich schon fest: Der Siebenpunkt-Marienkäfer ist das Insekt des nächsten Jahres. Dazu ist er vergangene Woche vom gleichnamigen Kuratorium gekürt worden.

Das ist schön! Der Siebenpunkt-Marienkäfer ernährt sich mit Vorliebe von Blattläusen. Dem Schrebergärtner ist er deswegen ein richtiger kleiner Sonnenschein.

Ihn auszuzeichnen, war eine sehr weise Entscheidung. Ach ja. Wären doch alle Wahlen dieses Jahres so glücklich ausgegangen!