Visionen, Emotionen und Vaporware

Ob Vista, Longhorn, Desktop-Linux, Software als Service oder Patente: Es lebe der Konjunktiv!

In Boom-Ländern wie China, wo derzeit viele neue Unternehmen gegründet werden und alle Vorzeichen eigentlich für die quelloffene Alternative sprechen, hat Linux ein anderes Problem: lächerlich billige Windows-Raubkopien. Bleibt also noch der öffentliche Sektor. Weil vielen Kommunen jetzt finanziell ein eisiger Wind entgegen bläst, scheint der Vogel aus der Antarktis das Mittel der Wahl – München, Paris, Wien und andere machen es vor. Aber die Mühlen in deutschen Amtsstuben mahlen bekanntlich so gründlich wie langsam und die Zeitpläne für den Umstieg sind zu großzügig, als dass sich davon ein rasantes Wachstum für den Linux-Desktop-Markt ableiten ließe.

Software als Service

Warum wichtige Software für teures Geld kaufen und sich damit von den Launen eines Herstellers abhängig machen? Ist das noch modern – in einer Zeit, in der sich das Internet in vielen Bereichen zur Plattform mausert? Diese Fragen stellen sich immer mehr Unternehmen.

Als Vorreiter unter den Anbietern Web-basierter Mietsoftware gilt Salesforce.com. Die Zeit des alten Geschäftsmodells für den Verkauf von Software – ‘Load, Update and Upgrade’ – ist abgelaufen, glaubt Salesforce-CEO Marc Benioff. Die Software-Industrie befinde sich im größten Wandel seit der Erfindung des PCs. Der Wandel hat verschiedene Namen: On Demand, Software as a Service, oder Web 2.0. Stets gehe es jedoch darum, dass Web-basierte Services die Kaufsoftware ersetzen – sowohl für Unternehmen als auch für Privatkunden.

Dass diese Argumentation schlüssig ist, zeigt auch das Verhalten Microsofts. Redmond hat 2005 einen entscheidenden Schritt in Richtung Software als Service gemacht. Die Web-basierten Dienste Office Live und Windows Live sollen Tausende Kunden erreichen. Neu ist zudem, dass die Grundversionen dieser Dienste durch Werbung finanziert werden. Am herkömmlichen Verkauf von Windows (seiner Haupteinnahmequelle) und Office (dem zweigrößten Geldbringer) hält Microsoft so lange es geht natürlich fest. Cash-Cows schlachtet man nicht, um mit der Mode zu gehen.

Software-Patente

Kaum ein Thema hat 2005 die Gemüter so bewegt wie Software-Patente, die es nach Ansicht ihrer Gegner eigentlich gar nicht geben dürfte. Umso mehr und umso emotionaler wurde darum gestritten. Bis die Direktive der EU-Kommission und des EU-Rates “für die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen” vom Europäischen Parlament endgültig abgelehnt wurde, hatten Gegner und Befürworter der Direktive einen heftigen Schlagabtausch geführt, der aber letztlich zu keinem brauchbaren Ergebnis führte.

Jedoch könnte sich der scheinbare Erfolg der Gegner von Software-Patenten, der sich im Scheitern der Direktive manifestierte, als Pyrrhussieg herausstellen. Denn mit einer Direktive hätte das Patentrecht europaweit vereinheitlicht werden können. Zum anderen erteilen die Patentämter Europas weiterhin fleißig Schutzbriefe auf Software, obwohl dies nach geltendem Recht nicht möglich sein sollte.

Entwicklungen sind teuer und Investitionen wollen geschützt werden, so die Logik der Patentbefürworter. Sie argumentieren zwar gerne auch damit, dass Patente gerade dem ‘einsamen Erfinder’ helfen, sein geistiges Eigentum zu schützen, doch die bisherige Praxis zeigt ein anderes Bild. Patente für Software sind fast nie so eindeutig wie es in anderen Technologiezweigen der Fall ist. Immer noch ist strittig, ob einzelne Funktionen oder ein vollständig in Software realisiertes technisches Verfahren patentwürdig sein soll. Andere Vorschläge gehen so weit, dass Software nur zusammen mit Hardware patentierbar sein soll. Entschieden ist (zumindest auf EU-Ebene) noch nichts.

Unter diesen Voraussetzungen können sich Patentstreitigkeiten nur diejenigen leisten, die die meisten und die besseren Anwälte bezahlen können – also entweder Großkonzerne oder so genannte ‘Patent-Trolle’. Letztere sind nichts anderes Firmen, die gezielt Patente einkaufen und Nutzungsgebühren erstreiten. Kleinere oder mittelständische Betriebe, die sich weder umfangreiche Patentrecherchen noch langwierige Gerichtsverfahren gegen Großkonzerne leisten können, fürchten deshalb die Macht der Schutzbriefe in Händen von großen Konkurrenten wie der Teufel das Weihwasser.

Die Auswüchse der Patentstreitigkeiten in Sachen Software haben in den USA inzwischen derart absurde Formen angenommen, dass man dort laut über eine Reform des dortigen Patentrechts nachdenkt. Europa wird seinen amerikanischen Freunden die Bedenkzeit gerne gewähren und wahrscheinlich sich erst dann wieder mit dem Thema beschäftigen, wenn das Nachdenken zu Resultaten geführt hat. Bis dahin könnte man die Emotionen getrost etwas abkühlen lassen.