Overclocker

Nachrichten gibt’s! Bei denen kommt man schon ins Grübeln.

Diese Woche wieder. Da vermeldete der belgische News-Ticker Dark Vision Hardware, japanische Overclocker hätten den Takt eines Pentium-Chips auf 5,002 Gigahertz hochgedreht.

Eine erschütternde Nachricht! Wie öde muss doch das Leben eines Menschen verlaufen, wenn er darauf verfällt, mit so einem Quatsch Stunden und Tage davon totzuschlagen. Andererseits: Es passt in die Zeit. Hochtakten ist heute Selbstzweck.

Wobei ja der Takt – im Grunde genommen – nichts über die Rechenleistung eines Prozessors aussagt. Die Frequenzzahl gibt schließlich nur an, wie oft in der Sekunde so ein Silizium-Stück ein Zwischenergebnis abliefert.

Und es gibt Chips, die haben jedes Mal schon richtig komplizierte Berechnungen durchgeführt, bevor sie das tun. CISC-Prozessoren (Complex Instruction Set Computing) nennt man die für gewöhnlich. Die sind meist souverän niedrig getaktet. Andere wiederum rechnen mit einem reduzierten Instruction Set (RISC). Die gackern öfter – nach jedem Trippelschritt.

Das kennt man auch aus anderen Bereichen. In jedem Büro arbeiten Leute, die ihren Job ruhig und zuverlässig erledigen. Und dann sind da noch solche, die vollends damit ausgelastet sind, ständig Hektik zu verbreiten und ihre Leistungsorientierung hochzuhalten.

Im Prinzip verhält sich die Nützlichkeit eines Prozessors zu seiner Taktfrequenz so wie arbeiten zu stresseln. Gut, manchmal kann man zwar noch ein bisschen zulegen. Aber wenn man das dauernd tut, dann geht es daneben.

Wenn man etwa einen Prozessor übertaktet, dann passiert es leicht, dass ein Zwischenergebnis abgefragt wird, bevor es da ist. Die Folge: Der Chip rechnet dann zwar schneller, aber falsch.

Noch empfindlicher als dotierte Silizium-Stückchen reagieren die weitaus komplizierteren Systeme aus Fleisch und Blut, Verstand und Gefühl. Prozessoren kommen ja durchaus mit verschiedenen Frequenzen zurecht. Menschen hingegen brauchen immer einen ganz spezifischen Takt: den ihren. Und eigentlich ist einem ja schon die schiere Vorstellung zuwider, dass Leute sich anmaßen, anderen den Arbeitsrhythmus vorzugeben. Gerade so wie ein abseitiger Computerbastler, der den Front Side Bus manipuliert.

Aber die sozialen Overclocker sind mittlerweile omnipräsent. Sie streichen den Arbeitsmännern und -frauen Urlaubstage und Pinkelpausen, verlängern die Arbeits- und verkürzen die Schulzeit.

Was einem – wenn man mit der Computerei befasst ist – an diesen Leuten auffällt, ist, dass sie – wie RISC-Chips – offenkundig einen reduzierten Befehlssatz verwenden. Mit “Basta!” (vulgärlateinisch für: Schluss!) beispielsweise beschied dereinst Gerhard Schröder den DGB.

Und auch die Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat’s mit dem kurzen und knappen Imperativ. Ihre Homepage verlinkt zu Interviews, die sie gegeben hat. Und deren Headlines sind auffallend oft in der Befehlsform gehalten. “Schluss mit Lümmelei und Disziplinlosigkeit” überschreibt etwa die Stuttgarter Zeitung einen Artikel zu ihrem “Vermächtnis als Kultusministerin” von Baden-Württemberg. Jenes besteht im Wesentlichen darin, besagte disziplinlose Lümmel mal so ordentlich hochgetaktet und das achtjährige Gymnasium eingeführt zu haben.

“Klappe halten!” wiederum lässt Münte seinen Genossen Ludwig Stiegler dekretieren, nachdem die Kritik an des Sozialministers Plänen für die Rente mit 67 gar zu lästig geworden ist. Wobei Münte ja in einem Punkt recht hat: Auch Legacy-Systeme können noch hochproduktiv sein.

Allerdings wenn etwas so aus dem Gleichgewicht geraten ist wie die deutsche Wirtschaft, dann läuft das, was die Berliner Overclocker so drehen, nur darauf hinaus, dass die Leute dank Müntefering künftig länger arbeitslos sind. Und dank Schavan fangen sie früher damit an.

Ach ja. “Balance” ist ein anderes Wort für Gleichgewicht. Und in der IT kennt man das “well balanced system”. Das sind meist wunderbare Großrechner, bei denen niemand auf die Idee käme, ihren Prozessor höher zu takten.

Overclocker! Eine ganz eigene Spezies ist das. Und diejenigen, die sich nur an Silizium-Stückchen zu schaffen machen, sind noch die Harmloseren davon.