Blades kommen (noch) ohne Standards aus

Blades sind Hype – doch das vielgelobte Konzept für die Server-Konsolidierung lässt momentan noch einige Fragen offen.

Blades sind ein schöner Traum, den sich immer mehr Firmen realisieren. Sie wollen dichtere Architekturen, die durch gemeinsame Verwaltung und kleinere Maße (Form Factor) Geld sparen sollen. Aber ohne eine standardisierte Verwaltung, die heterogene Bedürfnisse befriedigt, ist den Kunden wenig geholfen. Der Branche und ihren Umsatzzahlen tut dies bislang keinen Abbruch, weil die Argumente für die schmalen Server bestechen.

Dabei beantwortet IDC die Frage “Was ist ein Blade?” so: Es ist ein umfassendes System, das Prozessoren und Speicher auf einem einzigen Einschubmodul mit einschließt. Blades werden in ein Chassis eingebaut, das mit einer Backplane versehen ist, die Netzwerkfunktionen und Strom liefert. Im Resultat ist dies dann eine Blade-Server-Plattform. Mehrere Chassis heißen demnach Blade-Farmen, wie von Serverfarmen bekannt.

Die High Heels des Rechenzentrums

Doch eine Blade-Installation in einer optimierten Architektur, also eine Blade-Plattform, rentiert sich laut den Marktforschern von IDC erst, wenn ein ganzes Blade-Rack oder Chassis mindestens zur Hälfte gefüllt ist. Diese Rechnung gilt demnach, wenn ein halbvolles Chassis ungefähr 6 bis 8 herkömmliche Server ersetzt. Beim heute angenommenen, durchschnittlichen Gebrauch rechnen die Analysten mit einem Server auf 10 bis 15 Nutzer. Also könnte auch schon ein Mittelständler mit 500 Arbeitsplätzen seine etwa 30 bis 40 Server durch zwei bis drei Blade-Plattformen ersetzen. 

Und es besteht eine reelle Chance, dass sie dies auch brauchen. Denn verteiltes Computing hieß bislang, alles nach der Formel “Ein Server – eine Anwendung” aufzubauen. Das ließ die Zahl der Server in den vergangenen Jahren bei wachsenden Unternehmen explodieren. Blades schaffen hier Abhilfe. Die Kunden müssen dabei nur einmal die Kosten für die Infrastruktur, die Inbetriebnahme, Schulungskosten und die zusätzlichen Lüftungssysteme klären – dann können sie Blades dazustecken oder abbauen und lagern – ganz nach Bedarf. Soweit die Theorie, die erste Nutzer schon in Hochglanzmagazinen und Referenzberichten der Hersteller bestätigten.

Doch Blades sind inzwischen so weit verbreitet, dass sich die ersten Kunden mit Balde-Erfahrung bereits wieder von ihnen trennen. Die US-Firma NewEnergy hat als eine der ersten ihre Blade-Systeme als wenig ausgereift eingestuft und wieder über Bord geworfen. Der Versorgungsberater aus dem Süden der USA schaffte die 29 Intel-basierten Blades von Dell zugunsten von nur drei AMD-basierten ‘Galaxy’-Servern der Firma Sun Microsystems ab. Die Einsparung dafür soll laut dem IT-Fachmann Neal Tisdale von NewEnergy etwa 225.000 Dollar im Jahr betragen. Und dabei sei nicht nur an Hitzebekämpfungspreisen und Personalkosten gespart worden, sagt er. Die Firma konnte sogar ihr damit betriebenes Speichernetz um 3 Terabyte erweitern und verfügt jetzt in den Rechenzentren von Houston, Texas, und Atlanta, Georgia, nicht mehr über 18, sondern bald über insgesamt 21 Terabyte Kapazität. Ein Einzelfall?

Gewinner im Konsolidierungsk(r)ampf

Sehr wohl, wenn man den Zahlen der Analysten glauben darf: IDC hat für die Umsatzzahlen errechnet, dass sich im zweiten Quartal des Jahres 2005 im Vergleich mit dem ersten Quartal eine Steigerung von 67,1 Prozent ergeben hat. Für das Marktforschungsunternehmen Gartner steht gar fest, dass in fünf Jahren rund 16 Prozent aller weltweit ausgelieferten Server solche Blade-Server sein werden und die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate bis 2009 auf 30,6 Prozent klettern soll.

Laut IDC hat die meisten schmalen Server bisher IBM verkauft. Der Hersteller zählt selbst einen zweistelligen und wachsenden Umsatzanteil in der gesamten IBM-Serverabteilung für die Blades – und er hält derzeit 40,9 Prozent des weltweiten Marktes. Dann folgt HP mit 38,6 Prozent, hier sollen die unternehmensinternen Umsätze Jahr für Jahr um 50 Prozent gewachsen sein, sagt HP-Manager Steve Gillaspy. 

Mit deutlichem Abstand folgt Dell mit einem weltweiten Marktanteil von etwa 6 Prozent. Fujitsu und NEC halten sich mit weniger als 5 Prozent die Waage. Vom Innenleben her gesehen liegt die Marktaufteilung aller hergestellten Server nach IBM-Schätzung derzeit bei mehr als 90 Prozent Intel-basierten Blades. 5 Prozent besitzen demzufolge die Power-Architektur von IBM und die restlichen paar Prozent sind AMD-Architekturen. Die IBM-Schätzung stammt von November 2005.

Großunternehmen bevorzugt

IBM setzt dabei auf offene Entwicklungsspezifikationen, die zusammen mit Intel entwickelt wurden. Das soll die Konstruktion von Architekturen, die auf die Bedürfnisse der Nutzer abgestimmt sind, erleichtern. Aber damit sollen vor allem Partner angesprochen werden, die auf der BladeCenter-Architektur aufbauend arbeiten und die Architektur so weiter verbreiten wollen, indem sie eigene Lösungen darauf und dafür entwickeln.

Paul Höcherl, Systemarchitekt im Linux- und Blade-Bereich bei IBM, betont, dass das Thema bei Big Blue schon seit drei Jahren aktuell ist. Auch er hat die Erfahrung gemacht, dass die Kunden zuerst mit der Hitze kämpfen. Das versteht er aber durchaus als Pflicht für den Hersteller, besser aufzuklären. “Die Hitze ist nicht nur Blade-intern ein Thema, sondern auch für die gesamte Rechenzentrumsarchitektur – die Thematik der Konsolidierung erfordert beim Blade-Einsatz oft einen gründlichen Umbau im Rechenzentrum”, sagt er. Das ist dort besonders teuer, wo er die meisten Anwendungsmöglichkeiten sieht: im High Performance Computing und in großen Umgebungen.

“Die Effektivität von Blades ist dann am höchsten, wenn alle dieselbe Aufgabe lösen, beispielsweise bei Citrix Metaframe”, sagt er. Zwar sei es theoretisch möglich, verschiedene Aufgaben auf 40 Blades zu verteilen, doch das mache die Administration schwierig. Er kann sich Blades im Einsatz als Webfarm vorstellen, die zusammen eine Aufgabe stemmen. Die notwendige Lastverteilung funktioniert dort reibungsloser, meint er. Die teure und komplexe Virtualisierung habe so ebenfalls die höchste Wirksamkeit.

Deshalb kann er sich in kleinen und mittelständischen Firmen auch nicht besonders viele Einsatzmöglichkeiten vorstellen. Er teilt die Rentabilitätsrechnung der Marktforscher von IDC mit dem halbvollen Chassis. Die Mittelständler hätten nun mal selten ein volles Chassis, dessen Abwärme berechenbar und damit ein Stück weit kontrollierbar sei. Die Wärme könne wegen der oftmals leer stehenden Fächer stark und unkontrollierbar verwirbeln. Wenn dann noch Probleme wie eine provisorische Klimaanlage oder Kabelschleier dazukommen, kann die Freude am Blade schnell umschlagen. Kabelschleier nennt man die auf der Rückseite unaufgeräumten und locker herabhängenden Kabel, die eine effektive Belüftung behindern können.

Die Kühlung, die er empfiehlt, ist die Wasserkühlung an der Rückseite, die nur mit doppeltem Boden und designten Lüftungsklappen vollkommen sei. Ein Mittelstandsbudget ist damit schnell erschöpft.  “Blades sind für große Umgebungen gemacht, aber auch da werden sie herkömmliche Server nie ganz ersetzen”, sagt Höcherl. Und zwar, weil es seiner Ansicht nach immer Aufgaben im Datenzentrum geben wird, für welche die großen Hobel benötigt werden.

Wes’ Chassis ich hab, des’ Lied ich sing?

Die Hersteller haben unterschiedliche Ansätze für den Fall, dass die Welt im Datenzentrum heterogener werden sollte. HP praktiziert immerhin die Idee, dass die Blades zumindest herstellerintern abwärtskompatibel sind. Die Firma will das weiterhin gewährleisten, indem sie in eigener Regie das Blade-Innere designt und nur die Chips zukauft. Konkurrent IBM hat zwar verschiedene Stromanschlüsse für einzelne Versionen der Chassis’, aber wer nur bei IBM einkauft, soll auf der sicheren Seite sein.

Für Daniel Fleischer, Analyst bei IDC, ist die Frage der Standards ein echtes Ärgernis. “Blades versprechen Konsolidierung und einfache Verwaltung  dank Virtualisierung – aber versuchen Sie mal ein HP-Blade in ein IBM-Chassis zu stecken”, sagt er. Das sei zwar heute noch keine greifbare Frage, da die Kunden entweder aus der Compaq- oder der IBM-, beziehungsweise anderen Welten kommen. “Aber in einigen Jahren”, prognostiziert er, “wird das ein echtes Thema sein. Nur ist dann der Zug schon abgefahren, weil die Architekturen sich bis dahin so unterschiedlich entwickelt haben, dass eine neue Technik die Zusammenführung buckeln muss.”

Und es gibt Gründe dafür, dass Standards im Chassis reine Zukunftsmusik sind. Die Bremser sind laut Fleischer nicht nur im Marketing der Hersteller zu finden. Auch die Produktentwicklung verharrt ihm zufolge streckenweise in ihrer eigenen Welt. “Das stört zunächst nicht – solange bis der Kunde wegen Fusionen oder sonstigen Veränderungen plötzlich extrem heterogen arbeiten muss”, gibt er zu bedenken.

Diese Frage wird den Kunden seiner Ansicht nach in der Zukunft noch auf die Füße fallen. Derzeit gebe es noch zuwenig Verbreitung von Blades in absoluten Zahlen, um dieses Problem sichtbar zu machen. Der Markt stehe noch vor der Mammutaufgabe, bei den Kunden ein Bewusstsein für die grundlegenden Fragen wie Hitzeabführung und ähnliches zu schaffen.

Klaus Rumsauer, Director Enterprise Server and Storage Business Unit bei HP,  sieht die Frage um die Standards aber bereits als geklärt. Er sagt: “Die Standardisierung läuft über Intel, da die meisten Blades mit Intel-Chips laufen – so wird Intel innerhalb der beiden Standardisierungsgruppen einen praktikablen Standard setzen, der dann der kleinste gemeinsame Nenner beider Welten sein wird.” Für ihn steht derzeit fest: “Diese Frage wird heute nicht so angegangen, dass ultimativ ein IBM-Blade in ein HP-Chassis passen muss – schließlich würde auch niemand einen BMW-Motor in einen Mercedes stecken.” Und in Zukunft müsse der Kunde seine Wünsche äußern, woraufhin sich die Industrie dann eben bewegen müsse.

Stoiker im Kuddelmuddel

Nicht verstehen kann dies alles offenbar die Firma Cisco. Sie trägt sich wohl mit dem Gedanken, Blades für die Speichernetze aus eigener Produktion zu bringen. Aber sie lässt auf Nachfrage aus der Firmenzentrale verlauten, dass sie erst im Laufe des Jahres etwas zum Blade-Thema beitragen will. Bisher, so sagen Branchenkenner, wartet der Konzern mit eigenen Ansätzen auf echte, praktikable Standards zwischen den Herstellern. Denn ohne sie wollen die Techniker aus San Francisco nicht mitmachen und überlassen den Vorsprung HP, IBM, Engenera und Fujitsu Siemens sowie NEC.

Inzwischen hat Cisco ein paar Produkte umgebaut. Das weit verbreitete ‘Gigabit Ethernet Switch Module’ ist jetzt an Blade-Architekturen angepasst oder für den Einsatz dort optimiert. Dafür sorgt eigene Software und eine spezielle Bauweise, die den Formfaktoren der Chassis-Achitektur entspricht, also den Anschlüssen und Steckplätzen. Das Unternehmen hält sich diplomatisch alle Wege offen und sitzt in beiden Industriegruppen: Cisco ist Teil der von IBM initiierten Standardisierungsbestrebung Blade.org. Aber auch das HP Solution Builder Program für Standardisierungsfragen hat Cisco willkommen geheißen. Intel, einer der weltgrößten Chipproduzenten für Blades und andere Server, fährt ebenfalls zweigleisig.

Aber auch für einen weiteren potentiellen Hersteller ist es wichtig, abzuwarten: Sun Microsystems redet jetzt betont über Technik, die lieferbar und ausgereift ist. Nicht, dass Sun keine Blades bauen oder in die eigenen Produktportfolios einpassen könnte. “Zum Thema Blades wird Sun erst in ein paar Monaten etwas sagen – wenn nämlich nicht nur Hitzeprobleme, sondern auch die Blade-Rack-interne Kommunikation und Verwaltung vernünftig gelöst sind” heißt es aus gut informierten Kreisen.


Lesen Sie im zweiten Teil über einige Erfahrungen, die RZ-Leiter und IT-Direktoren in Deutschland schon mit ihren Blade-Farmen gemacht haben.