Vista-Zwang trotz Alternativen

Für das Christkind kam es zu spät, aber nach Jahren des Wartens hat Microsoft Windows Vista veröffentlicht. Aber ist ein Upgrade wirklich notwendig? Und gibt es überhaupt praktikable Alternativen zu Windows?

Es stellt sich also die Frage: “Muss es wirklich ‘Vista’ sein?” Eigentlich nicht, finden die meisten. Dennoch werden viele Unternehmen den von Microsoft vorgegebenen Produktzyklus mitmachen müssen, auch wenn es inzwischen – diesseits und jenseits von Microsoft – Alternativen zu Vista gibt.

Zu Zeiten der Veröffentlichungen der Versionen von ‘Windows 95’, über ‘NT’ bis hin zu ‘Windows 2000’ und vielleicht sogar ‘XP’, existierte neben Apple Macintosh für Unternehmen wenig technologisch ausgereifte und wirtschaftliche Auswahl. Das lässt sich zum Jahreswechsel 2006/2007 nicht mehr mit Fug und Recht behaupten. Zumindest, wenn man die diverse Linux-Desktops und die dazugehörige offene Büro-Software betrachtet. Wer beispielsweise Excel nicht bis zum Letzten ausreizt, kommt mit OpenOffice.org im Arbeitsalltag gut klar.

Auch im Web tut sich einiges. ‘Google Docs’ ist neben ‘Office Live’ von Microsoft nur ein Beispiel für ein Web-basiertes Textverarbeitungsprogramm, auch wenn die Lösungen noch nicht für die Businesss Class ausgereift sind. Das Wachstum breitbandiger Internet-Anschlüsse und Technologien für so genannte Ritch Internet Applications (RIA) wie AJAX werden künftig dem IP-basierten Arbeitsplatz weiteren Vorschub leisten. Sicherheitsbedenken und beschränkter Funktionsumfang machen solche Modelle jedoch nur für die Kleinsten der Kleinen wirklich interessant.

Muss es also tatsächlich Vista sein? Es gibt eine weitere Alternative zur neuen Version und die hat ihre Funktionstüchtigkeit bereits millionenfach unter Beweis gestellt. Sie kommt ebenfalls von Microsoft und heißt Windows XP oder 2000 und Office in der Version 2003 und älter. Gartner sieht im Jahr 2006 immerhin noch 15 Prozent der PCs mit Windows 2000. Knapp 80 Prozent der Clients haben XP laufen. Bei Notebooks liegt der XP-Anteil bei über 90 Prozent. Die Desktops der verbleibenden 5 Prozent teilen sich Mac und Linux untereinander auf.

Braucht man die neuen Funktionen?

Windows thront also nach wie vor auf rund 95 Prozent der Unternehmensdesktops und an dieser Zahl werden auch die kommenden Monate und Jahre so schnell nichts ändern. “Ist XP ok? Arbeitet Office 2003 zufriedenstellend? Keine Frage, auch PowerPoint genügt unseren Ansprüchen”, so der Analyst Brian Gammage, Vice President bei Gartner Research.

“Wir kaufen Vista ja nicht, weil es neu ist, sondern um Windows weiterhin sicher zu haben”, fügt der Analyst an. Das lasse sich auch nach ausgelaufenem Mainstream-Support mit zusätzlichen kostenpflichtigen Verträgen erreichen. Ratsam und ökonomisch sei das aber nur in ganz wenigen Ausnahmefällen.

Auslaufende Support-Zyklen sind aber nur ein Mittel, die Anwender zu einem Upgrade zu zwingen. Microsoft hat mit Vista, Office 2007 und Exchange 2007 mehr denn je die einzelnen Produkte zu einer integrierten Plattform verwoben. Die Kooperation mit SAP bei dem Projekt Duet ist ein weiteres Beispiel für die Stärkung der aktuellen Version der Office-Plattform über Integration mit anderen Produkten.

In vielerlei Hinsicht erwarten den Anwender neue Funktionen in der neuen Plattform. Microsoft hat sich alle Mühe gegeben nicht nur die Technologie aufzufrischen, sondern hat auch der Oberfläche einen neuen Anstrich verpasst. Office wartet mit einer völlig neuen und dynamischen Nutzeroberfläche auf. Nicht mehr die klassische Schaltfläche, sondern Ribbons zeigen dem Anwender die Werkzeuge auf; das ist innovativ und sorgt nach einer gewissen Einarbeitungszeit sicherlich auch für produktivere Mitarbeiter.

Doch genau da liegt auch der Haken. Anwender haben eine relativ hohe Lernkurve, um sich mit den neuen Menüleisten zurecht zu finden. “Inzwischen ist OpenOffice älteren Office-Versionen ähnlicher als das neue Office 2007”, kommentiert Jan Wildeboer, Solution Architect beim Microsoft-Konkurrenten Red Hat.

Die Anwendung entscheidet

“Wir bieten auf dem Desktop zwar nicht das allerbeste, aber wir sind gut genug”, erklärt Wildeboer. Technologisch brauchten Linux-Distributionen und OpenOffice bei grundlegenden Funktionen mit dem proprietären Counterpart den Vergleich nicht mehr zu scheuen. Etwas anders sieht es aus, wenn höhere Anforderungen gestellt werden, zum Beispiel an Excel. “Für unsere Arbeit ist OpenOffice keine Alternative”, konstatiert beispielsweise Patrick Keller, Analyst beim Marktforschungsinstitut BARC.

Für die meisten Unternehmen entscheiden ohnehin die Anwendungen, die deren Geschäftsprozesse am besten abbilden, über die zugrundeliegende Plattform, und weniger das Betriebssystem selbst. “Ob sie den neuen Zug nehmen können, hängt entscheidend davon ab, wie viel Gepäck Sie mit sich führen”, veranschaulicht Gartner-Analyst Gammage. Da gelte es zu prüfen, welche Anwendungen benötigt werden, und ob sie etwa auch von anderen Plattformen unterstützt werden. Nicht gerade selten heißt das Ergebnis einer solchen Analyse eines Unternehmens: Windows. Und spätestens dann sollten sich Organisationen an den Gedanken gewöhnen, in anderthalb Jahren mit der Migration auf Vista zu beginnen.

Die Dominanz von Windows werde daher laut Gartner bis 2011 nicht bröckeln. Die Mehrzahl der Unternehmen werden noch voraussichtlich bis 2017 nur schwer eine Alternative finden können. Ursache sind wiederum die Anwendungen. Derzeit, schätzt Garnter, sind zwischen 60 und 70 Prozent der Programme reine Windows-Applikationen. Jedoch der Anteil von reinrassigen Windows-Binaries liegt bei Neuerscheinungen nur noch bei 20 Prozent, mit fallender Tendenz.

Auch Technologien wie Ajax oder Browser-basierte Anwendungen, wie etwa Google Docs, können kurzfristig wenig ändern. Denn meist haben Unternehmen ältere Applikationen, von denen sie nicht ohne weiteres lösen können, und die unterstützen meist eben nur Windows. Und dieses Erbe – oder eben ‘Gepäck’ – ist es, das viele Unternehmen nach wie vor auf der Windows-Spur halten wird. Die nächsten Jahre wird es also noch Vista sein müssen.