Plädoyer für das Vergessen

Auf dem Medienkunstfestival ‘Ars Electronica’ im österreichischen Linz lobte ein Harvard-Professor in seiner Keynote die Tugend des Vergessens.

Viktor Mayer-Schönberger warnte anwesende Fachleute aus Justiz und IT davor, die technischen Möglichkeiten der Datenerfassung in dem Maße zu verwenden, wie es möglich ist.

Die Gesellschaft drohe verrückt zu werden, wenn sie ihre Datensammelwut nicht in den Griff bekommt, sagte er laut einem Bericht von ORF Futurezone. Der Professor erinnerte an das Sprichwort, dass Erinnern schwer sei, doch Vergessen leicht – das sei als Wahrheit über die Jahrhunderte hinweg gültig geblieben. Erst Google, Yahoo, Amazon und ähnliche Services hätten an der Tatsache etwas geändert.

Jedes Flugbuchungssystem habe ein besseres Gedächtnis als der Mensch, sagte der Professor. Während wir selber die Details nach und nach vergäßen, würden sich die Maschinen immer erinnern. Er warb für “Erinnern mit Bedacht” und verwies auf das Mittelalter, als der fleißigste Schreibmönch gerade mal 20 kopierte Bücher in seiner Lebenszeit zustande gebracht hatte. Heute sei es nicht nur möglich, alles zu speichern, sondern auch gezielt abzurufen. Das gefährde den Geisteszustand einer ganzen Gesellschaft, sagte der Technik-Skeptiker.

Als mahnendes Beispiel nannte er aber auch jüngere Beispiele für eine unheilige “Komplizenschaft” zwischen Staat und Unternehmen: Vor dem Zweiten Weltkrieg hätten die Niederlande in einem zentralen Melderegister ab den 30er Jahren auch die Religionszugehörigkeit von Bürgern erfasst, was es den Nazis erleichtert habe, die Menschen jüdischen Glaubens zu finden und letztlich zu ermorden. Der Harvard-Professor plädierte angesichts heutiger, umfassender und unkontrollierter Speicherungen der Bürgerdaten seitens des Staates dafür, dass es ein “Ablaufdatum für Daten” geben müsse. Und dies müsse für den Bürger einfach nachzukontrollieren sein.