Old Wabble’s Counterstrike

Wie würde man das jetzt in der IT nennen – festverdrahtete Logik oder doch lieber gleich einen Kurzschluss? Immer wenn’s Probleme mit den Youngsters gibt, dann kommen die Alten auf eines: Computerspiele, die, bei denen Ströme digitalen Bluts fließen.

So hat die bayerische Staatsregierung diese Woche Maßnahmen gegen Jugendgewalt vorgeschlagen. Und darunter ist – selbstverständlich – das Verbot solcher gewaltlastigen Spiele.

Gut, es ist für ältere Herrschaften wie unsereins schon schwer nachvollziehbar, was die Hoch- und Halbwüchsigen da umtreibt. Vor ein paar Tagen etwa hat ein junger britischer Gamer sich Namen und Motto seiner World-of-Warcraft-Gilde (Welt der Kriegskunst) auf den Hintern tätowieren lassen.

Auf Youtube ist zu sehen, wie er – eine seiner rückwärtigen Backen in Folie verpackt – den Tattoo-Laden verlässt. Seine hämischen Kumpels hatten 4000 WoW-Goldstücke gesammelt, um ihn dazu zu bewegen. Jetzt kann er sich – den Hintern in der Plastiktüte – einen “epischen Flugmount” für die Virtualität anschaffen. Sein Avatar ist ja nicht gezeichnet, und dem tut’s folglich auch nicht weh, wenn er sich auf so ein fliegendes Tier setzt.

Aber man fragt sich da halt schon: Waren wir vielleicht auch so? – Definitiv: nein! Und wir hatten sehr gute Gründe dafür! 1. Der billigste leistungsfähige Rechner war seinerzeit die Vax. Und die konnten wir uns nicht leisten. Außerdem 2.: Darauf lief der WoW-Client gar nicht.

Oder: Ein 15-Jähriger ist vor kurzem ins Koma gefallen, weil er ein paar Nächte lang durchgespielt hat. Nach einem Tag ist er dann wieder aufgewacht.

Haben wir vielleicht damals unsere Nachruhe für irgendwelchen Unsinn geopfert, anstatt auszuschlafen, um am nächsten Morgen fit für die Schule zu sein? – Na ja, schon.

Über 1000 Treffer listet Google für die Begriffskombination “Karl May” und “Bettdecke”. Unter einer solchen wurde jener nämlich vorzugsweise zu nachtschlafender Zeit gelesen. Und auf den verlinkten Seiten berichten zumeist Altchen, was sie so in ihrer längst zurückliegenden Jugend getrieben haben.

Nun könnte man einwenden, dass Karl-May-Bücher ja pädagogisch wertvoll sind. – Das stimmt. Aber darin geht’s eben auch furchtbar brutal zu.

Beispielsweise der Tod von Old Wabble. Das ist beileibe kein Guter. Er raubt Winnetou’s Silberbüchse und Old Shatterhand’s Henrystutzen und Bärentöter.

Und deshalb lässt der Schriftsteller ihn ein schreckliches Ende finden. Die Osagen – auch die keine Guten – spalten einen Baum auf, stecken Old Wabble in die Spalte und schlagen dann die Spaltkeile heraus: “Hätte man ihn mit der Brust hineingelegt, so wäre sie ihm eingedrückt worden und er folglich gestorben; so aber hatte man ihn in teuflisch raffinierter Weise nur mit dem Unterleib hineingeschoben” (Karl May, Old Shurehand, S. 489f.).

Später findet Old Shatterhand den Gefolterten: “Ich habe Löwen und Tiger brüllen hören; ich kenne die Trompetentöne des Elefanten, ich habe den entsetzlichen, gar nicht zu beschreibenden Todesschrei von Pferden gehört; aber nichts von dem allem ist mit dem fürchterlichen, langgezogenen, kein Ende nehmenden Schrei zu vergleichen, welcher jetzt, die Schmerzen einer ganzen Welt herausbrüllend, aus Old Wabble’s Mund kam…” (ibid., S. 489f.)

Solche Gewalt-Software läuft nicht auf einer popeligen Playstation, Nintendo’s Wii-Konsole oder Microsoft’s Xbox. Dafür braucht’s etwas Leistungsfähigeres. Oder wie’s Norbert Blüm formuliert hat: Die Wirkung von Karl Mays Geschichten “beruht darauf, dass sie unsere Phantasie anregen” (zitiert nach: Erich Heinemann, Dichtung als Wunscherfüllung, Bruchsal, 1992, S. 167). – Und jene ist allemal die stärkst VR-Maschine. Die stellt Grausamkeiten mehr als photorealistisch dar.

Nun haben aber fast alle Politiker, die prägend für die Bundesrepublik waren, Karl May gelesen. Manche nur “sehr gern” wie Helmut Kohl laut Mittelbayerischer Zeitung vom 22./23.2.1992, andere Regalmeter-weise oder “wohl alle Bände der gesammelten Ausgabe” wie Franz Josef Strauß und Hans-Dietrich Genscher. Jener hätte es sich “als kleiner Junge in Halle niemals erträumt, einmal selbst soviel zu reisen wie Karl May in seiner Phantasie” (ibid.).

Sein Nachfolger Joseph Fischer wiederum bekannte gegenüber Elke Heidenreich: “Das erste wichtige Buch für mich, das war ‘Der Schut'” (in der ZDF-Sendung “lesen” am 8.10.2003). Bezeichnend ist das: Der Schut Kara Nirwan geht im letzten Band von Karl Mays Orient-Hexalogie einer Profession nach, für die es sehr viel Gerissenheit braucht. Er ist Pferdehändler und außerdem der Chef einer Gruppe, die man heute als “Gang” bezeichnen würde. Auch die Parteifeinde des Ex-Außenministers sprachen ja von der “Fischer-Gang”.

Vielsagend ist ebenfalls, was Wolfgang Schäuble in einem Interview erklärt hat: “Ursprünglich wurde mein Bild des Islam von Karl May geprägt” (Welt-online vom 01.05.2007).

Also da bleibt schon was hängen von dem, was einen in der Jugend so umtreibt. Oder wie’s Oskar Lafontaine formuliert hat: “Wir alle sind Winnetou’s Erben” (zitiert nach Heinemann, S. 168).

Trotzdem sollte man den Youngstern das virtuelle Meucheln nicht verbieten. Denn auch dafür gibt’s wieder sehr gute Gründe: 1. Weil’s eh nix nützt. Und 2. liegt die Latte ja nicht allzu hoch. Die haben von daher trotz Computerspiele große Chancen, mindestens so gute Menschen zu werden wie jene der vorangegangenen, Karl-May-lesenden Generationen.