Eine Gespenstergeschichte

Mit Headlines ist’s wie mit Schlagern: Je blöder sie sind, desto schwerer gehen sie einem aus dem Kopf. “Lafontaine jetzt mit totalem Links-Knall” stand diese Woche in der Bildzeitung.

Anlass für diese Sprachschöpfung – so es eines solchen bedurfte – war ein Interview, das der Co-Vorsitzende der Linkspartei der Welt gegeben hat. Die Welt, das ist jene Schwesterpublikation von Bild, deren Redakteure sich in ganzen Sätzen ausdrücken.

Lafontaine nun hatte – wie’s seine Art ist – im Interview gezielt ein paar Aufreger lanciert. Die Telekom solle wieder verstaatlicht werden, zum Beispiel.
Aber das war gar nicht der größte. Sondern: Ins Programm der Linkspartei kämen einige Sätze aus dem Kommunistischen Manifest (MEW 4, S. 1ff). – Von Karl Marx!

Aha, denkt man sich da doch, wieder einmal. In den Worten der Schreckensgestalt: “Ein Gespenst geht um” (ibid.).

Aber es wäre schon eine Herausforderung, einem solchen Gespenst zu begegnen. Man müsste es ja zuerst einmal auf den neusten Stand des Internet-Zeitalters und der New Economy bringen.

So ein Gespenst aus dem vorvergangenen Jahrhundert kann sich schließlich überhaupt nicht vorstellen, was es heutzutage alles gibt. Die Telekom etwa, die Lafontaine rückverstaatlichen will. Privatisiert ist die worden, um sich zum dynamischen Wettbewerbsunternehmen zu mausern.

Aus Antragsstellern sind Kunden geworden, die nicht mehr bei übellaunigen Fernmeldesekretären anrufen müssen, sondern vielmehr ihrerseits von fröhlichen Beratern aus dem Call Center angerufen werden. Und auch die Sprache hat sich gewandelt vom unverständlichen Bürokraten- und Technikerdeutsch zum modernen Marketing-Sprech.

Insofern ist zwar für eine Beteiligtengruppe alles beim Alten geblieben: Wer etwas fragt, bekommt keine vernünftige Antwort. Für die andere Gruppe aber hat sich viel verändert. Die war früher derart schlecht bezahlt, dass das Gespenst sie sicherlich zum Proletariat gezählt hätte. Diejenigen, die heute für die Telekom im Call Center arbeiten, hingegen sind so schlecht bezahlt, dass sie einige zum Prekariat rechnen.

Was würde das Gespenst wohl dazu sagen? – “In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt… der Lohn ab.” (ibid., S. 469)

Derzeit wird außerdem noch ein Prozess um die Telekom geführt. – Das ist ebenfalls so ein Phänomen, das das Gespenst zu Lebzeiten nicht gekannt hatte: Politiker und Manager werden vor Gerichte und Untersuchungsausschüsse gestellt! – Und: Sie können sich dann an nichts mehr erinnern.

Diese Woche wurde Ron Sommer vernommen. – “Wenn du nur für einen Tag oder zwei da gewesen wärst, hättest du genug Material anlegen können, um für ein ganzes Jahr zu lachen. (Brief an Friedrich Engels, MEW 30, S. 257f.).