Private Paradigmen

Bayern ist seit Sonntag ganz anders und doch auch wie schon immer.

Die Kreditkrise ist jetzt endgültig in Deutschland angekommen. Und Google muss erfahren, dass seine Macht im Cyberspace an der Gemarkungsgrenze des schleswig-holsteinischen Molfsee endet.

Was macht man, wenn sich so eine ereignisreiche Woche ihrem Ende zuneigt? – Am besten sich Gedanken über die Liebe.

Das ist ja ein seit Menschengedenken bestehendes Phänomen. Und erst Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat man versucht, es wissenschaftlich in den Griff zu bekommen, damals mit Hilfe der seinerzeit dominierenden Disziplin, der Soziologie.

Eher unerquicklich war das, die Zeit der B-Wörter: der Beziehungsprobleme, Beziehungsarbeit, -stress, -knatsch, -kiste und der unendlich langen und quälerischen Beziehungsgespräche. Im Zeitalter der Informationsgesellschaft hätte das ja ganz anders werden können: Er hätte stolz sein können auf seine Uptime und Reliabitity – der Praktiker weiß, dass auf dem Gebiet sehr viel gelogen wird – und sie nur centric, ganz im Mittelpunkt.

Aber es hat nicht sollen sein: Die Sprache der Informatik ist wohl einfach zu kühl für Liebesangelegenheiten. Außerdem sind die Leute heutzutage sehr leistungsorientiert und deswegen gesundheits- und körperbewusst. Und: Sie denken deshalb mittlerweile in biologischen Kategorien.

Man muss sich das wohl so vorstellen: Er – groß, breitschultrig, und mit einer flachen, muskulösen Bauchdecke, die so ausschaut, als sei noch nie Halbe Bier unter sie gegossen worden. Hopfen nämlich – das muss man dazu wissen – enthält Phytohormone, deren Wirkung jener des Östrogens ähnelt. Diese Pflanzenhormone sorgen für Rundungen, was aber nur bei Frauen attraktiv wirkt. Sein Körper allerdings ist frei von jedweden pflanzlichen Hormon-Rückständen.

Er ist ein Bild von einem Mann. Besser noch: Er gleicht einer Statue, die Testosteron aus einem harten, makellosen Marmorblock geätzt hat.

Ihr wunderschöner Körper wiederum bildet eigentlich ein Aromatase-Hochleistungszentrum. Ständig produziert dieses Enzym große Mengen Östrogen, was ihre Brüste schwellen, ihre Gesichtsknochen sanft unter zarter Haut verschwinden und ihre Lippen sinnlich erscheinen lässt.

Wieder einmal glaubt er, bei ihrem Anblick, in einer wahren Sintflut aus Vasopressin – dem Erregungshormon – zu ertrinken. Sie aber ziert sich: “War’n stressiger Tag heute.” Ihre Nebennierenrinde (lateinisch: Cortex) ist immer noch sehr aktiv.

Ein innerer Kampf tobt in ihr zwischen Cortisol und Vasopressin. Und als letzteres siegt, geben sich die beiden endlich jener Sache hin, die gemeinhin als die schönste der Welt bezeichnet wird.

“Mein Dopamin-Pegel ist so hoch wie seit dem Geschäftsabschluss letzte Woche nicht mehr”, keucht er schon nach kurzer Zeit. Das Glückshormon Dopamin ist jenes, das Marathonläufer mehr tot als lebendig, aber doch mit einem seligen Lächeln im Gesicht durchs Ziel torkeln lässt. Damit belohnt der Körper Erfolge, auch wenn andere die nicht so bezeichnen würden.

“Warum trainiert er seine Dopamin-Produktion immer nur auf Sprint-Strecken?” will sie sich ärgern. Aber es geht nicht: Oxytocin hat von ihr Besitz ergriffen. Angeregt durch das – wenn auch kurze – körperliche Beisammensein, hat ihr Zwischenhirn eine große Menge dieses Liebeshormons synthetisiert, während ihn Prolaktin zufrieden hat einschlafen lassen.

“Na ja”, denkt sie sich einfühlsam und zärtlich, “Prolaktin ist gut fürs Gehirn, und ein bisschen mehr Verstand kann diesem Waschbrettbauch ja nicht schaden”.

Man kann daraus den Schluss ziehen, dass Liebe einfach kein Feld für große theoretische Entwürfe und Paradigmen ist, eher eines für kleine Weisheiten. Etwa jener, die Erich Kästner formuliert hat: “Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.” In diesem Sinne wünscht der Schreiber allen Leserinnen und Lesern ein wunderschönes Wochenende.