Audrey und das Rätsel der verschwundenen IT, Teil 3

Was bisher geschah: Meine Redaktion hatte mir den Auftrag erteilt, ein Interview mit dem Leiter des Rechenzentrums eines großen Versicherungskonzerns zu führen. Die Überraschung: keine Menschenseele war da – im Keller der Versicherung: IT weg, Software weg, Server weg. Ich machte mich auf den Rückweg in die Redaktion. Für 10:00 Uhr ist die wöchentliche Konferenz angesetzt. Mit etwas Verspätung beginnt das Meeting.

Am Fenster summt eine Stubenfliege. Wo kommt die her? Die Wintersonne hat sie anscheinend aus ihrem Versteck gelockt. Na lange wird sie’s nicht mehr machen. Was folgt ist der übliche Wahnsinn. Feuerlocke, der rechts von mir sitzt und eigentlich Mickey Monahan heißt, hat eine Geschichte zum Thema Speichervirtualisierung. “Da soll es ein Tool geben, mit dem sich das ganz einfach managen lässt”, gibt er seine News zum Besten. “Ein Mittelständler aus dem Allgäu, der viel Geschäft mit Auslandstochterunternehmen macht, setzt das ein. Das wollte ich diese Woche fertig machen. Hab’ dazu ein Interview mit dem IT-Leiter”, schließt der gebürtige Ire seinen Monolog.

“Ist kein Knaller, aber sieh mal, ob Du nicht vielleicht eine Serie draus machen kannst. Aufmacher mit Grundlagen, dann ein paar Hersteller befragen und als Beleg ein paar Analysten und Anwender, um die Sache abzurunden”, sagt der Doc. “Kann auch ruhig was Kritisches rein.” Bertram ‘Bertel’ Sander macht eine Geschichte zum Streit zwischen SAP und deren User-Group über die hohen Wartungsgebühren. Angeblich hat sich die Anwendervertretung durchgesetzt und verhindert, dass die Gebühren pauschal angehoben werden. Die User haben jetzt die Wahl zwischen Standard-Support und Enterprise-Support, der Anstoß für einen über 15 Monate schwelenden Streit war. Schwere Geburt das Thema.

Draußen kommt der Fön, der Blick Richtung Süden aus dem 5. Stock ist fantastisch. Wendelstein, Brecherspitze, Hirschberg, Benediktenwand, Karwendel – die Münchner Hausberge scheinen zum Greifen nah. Und sind doch so fern. Isabel Meier, Docs Liebling, unterbricht jäh meine Fernwehgedanken. Ihre Stimme erinnert an die Laute von aufgeregten Enten, wenn Omis ihr altes Brot an sie verfüttern. “Ich wollte was zu IBM schreiben. Die sind wohl zum 17. Mal in Folge das erfindungsreichste Unternehmen der Welt. 4914 US-Patente im Jahr 2009”, schnattert sie.

“Hört sich spannend an.” “Der Doc ist doch ein Schleimer”, denk ich. “Ok, dann haben wir es ja. Seidel, du machst was über die IT in dem Versicherungsladen wo du heute warst, gell?” Er spricht mich gerne mit Nachnamen an – soll wohl irgendwie Distanz zeigen, schließlich bin ich ja nur freier Mitarbeiter. Ich spüre, wie mein Energiepegel langsam wieder steigt. “Ja, würde ich ja gerne, aber da war keiner.” Auch kratzt mein Hals nicht mehr so stark – Dr. Soldan Thymiandrops sei Dank. “Da war keiner? Wie meinst du das? Hast Du einen neuen Termin ausgemacht? Wir brauchen die Story dringend. Die haben doch vor wenigen Monaten ihre gesamte IT outgesourct – ich glaube nach Indien, und der IT-Leiter wollte unseren Lesern erklären, wie er das gemacht hat, wie es läuft und wo die Nutzenpotenziale liegen. Das sollte das Thema des Monats werden.” Docs Stirn legt sich in Falten. “Ich muss jetzt raus mit der Sprache”, spüre ich. Falten beim Doc bedeuten Stress – und dann kommt gleich eine Ansage, wie Trapattonis berüchtigte “Flasche-Leer”-Arie.

“Mir ist auch klar, dass die Story wichtig ist und in den aktuellen Trend passt. Die Räume in der Leopoldstraße sind aber leer. Keine Server, keine Menschenseele”, sage ich. Ich erkläre meinen Kollegen, dass ich bereits mit den Recherchen begonnen habe, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen, ob an der Story was dran sein kann. “Ich habe versucht Mr. Unix und AK 47 zu erreichen. Bei beiden läuft nur die Mailbox.” Ich kann meine Aufregung kaum noch verbergen. “Das ist doch nichts Besonderes. Die beiden sind häufig auf Achse, du weißt doch, dass die für uns nie Zeit haben”, der Doc wiegelt wieder mal ab. “Kein Wunder, dass die keine Zeit haben, für die Blue zu schreiben”, denke ich. “12 Cent die Zeile sind eben eine Lachnummer. Aber dafür gibt es wenigstens richtig schlechten Kaffee.” Die Fliege summt immer noch am Südfenster, vielleicht hat sie auch Reiselust. Würde ihr bei der Kälte draußen allerdings schlecht bekommen. Die Luft im Konferenzraum ist mittlerweile zum Schneiden. 11:05 Uhr.