Politiker und Open Source: Tölpel oder Lobby-Opfer?

Der vom bürgerlichen Lager in der Politik propagierte Retrotrend weg von offenen Standards und Open Source hin zu “Marktstandards” und proprietärer Software in der öffentlichen Verwaltung hat viele Ansatzpunkte. Eine Analyse.

Das ist an Schrägheit schwer zu übertreffen; denn die Formulierung bedeutet: Open Source muss erst einmal so unsicher werden wie Microsoft-Produkte. Denn nur dann entsteht ein umkämpfter Markt für Sicherheitsprodukte, die richtig gut und kostengünstig sind. Was wiederum unterstellt, dass Sicherheitsprodukte für Open-Source-Umgebungen nicht hinreichend existieren und, noch realitätsferner, teuer sind. Wenn Produkte den Sicherheitsmarkt nicht fördern, können sie nichts taugen. Gut ist, was unsicher ist und einen Rattenschwanz an Kosten nach sich zieht.

Diese schon absurde Stellungnahme weiß die sächsische Regierung noch auf die Spitze zu treiben: “Gezielte externe Angriffe auf die Systeme der automatischen Informationsverarbeitung der Staatsverwaltung, die zusätzliche, finanziell aufwendige Abwehrmaßnahmen erforderten, sind nicht bekannt.” Sachsen muss ein IT-technisches Sicherheitsparadies sein, in dem man sich Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen gönnt, die man eigentlich nicht bräuchte, aber immerhin ganz billig sind.

Ein FDP-Debattenredner, der Abgeordnete Carsten Biesok, meinte gar, die Möglichkeit, jeder Programmierer könne den Quellcode ändern, mache Open Source weniger nachvollziehbar und damit riskanter: “Da habe ich mehr Vertrauen dazu, von einem internationalen Konzern jeweils aktuelle Updates zu bekommen, um die Sicherheit zu gewährleisten.” Dem Mann ist offenbar völlig unbekannt, wie und wann Microsoft auf bekannte Sicherheitslücken reagiert. Was einen Politiker nicht davon abhält, Reden zu schwingen. Die Grünen konterten darauf: “In der Situation Vertrauen versus Wissen hat (die Staatsregierung) sich für Vertrauensseligkeit statt Wissen entschieden.”

Die Antworten der sächsischen christdemokratisch-liberalen Koalition auf eine große Anfrage der Grünen sind schlicht und platt, ihre Schlussfolgerungen haarsträubend und unlogisch. Wer Muße und gute Nerven hat, höre sich den Mitschnitt der Debatte des sächsischen Landtags vom 20. Mai dieses Jahres an. Unwillkürlich fragt man sich, wie jemand überhaupt auf derlei Überlegungen kommen kann. Wer hat solche Reden geschrieben? Diese ketten Versatzstücke an einander, die Microsoft sich seit Jahren nicht mehr auf Pressekonferenzen kundzutun traut, weil sie schallendes Gelächter zur Folge hätten. Sind sie für die Lobbyisten in der Politik noch gut genug, weil sie es dort “nur” mit noch ahnungsloseren Zeitgenossen zu tun haben?

Weil aber die Politik nicht ganz die Augen vor den Realitäten verschließen kann, folgt ein Eiertanz. So stellt die Antwort der sächsischen Landesregierung auf Punkt 36 der großen Anfrage der Grünen fest: “Die Vorteile einer FLOSS-Migration sind also in erster Linie strategischer Natur, insbesondere durch die zu gewinnende Herstellerunabhängigkeit durch Abstellung auf offene Standards, die Entflechtung der IT-Systeme und der Lichtung des Makro-/Vorlagen/Formulare-‘Dschungels’ im Office-Bereich.” In der Antwort zu Frage 46 heißt es: “Aus heutiger Sicht sind deshalb grundsätzlich Vorteile wie Herstellerunabhängigkeit beim verstärkten Einsatz von FLOSS vorhanden, diese müssen jedoch immer im Lichte der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung eingeordnet und strategisch bewertet werden.” Offenbar ist nicht klar, was nun “strategisch” vorteilhaft ist. Lässt dann überhaupt eine IT-Strategie erwarten?

Eher nicht. Allenfalls läuft auf dieser Grundlage eine IT-Strategie für die öffentliche Verwaltung darauf hinaus, so weiterzumachen wie bisher. Politisch gesehen ist solch eine Attitüde rechts von konservativ. Denn dieses Attribut verlangt auch Offenheit gegenüber und Akzeptanz von Neuheiten, sobald sie sich bewährt haben.