Neuer Streit um Vorratsdaten

Im März hat das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung gekippt und Berlin zur Neufassung des Gesetzes aufgefordert. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht jetzt eine “erhebliche Schutzlücke”, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) widerspricht jedoch. Der eco Verband nennt die Speicherung von Vorratsdaten “überflüssig”.

Laut de Maizière führt die derzeitige Gesetzeslage dazu, dass die Behörden nicht effektiv arbeiten können. “Man kann das Vorhandensein einer erheblichen Schutzlücke nicht bestreiten”, sagte er in Berlin. Der Innenminister verlangte eine “Mindestspeicherfrist” für Telefon- und Internetverbindungsdaten, um Straftaten bekämpfen zu können.

Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) präsentierte eine Statistik der Behörde. Demnach wollte das BKA vom 2. März bis zum 17. September bei TK-Firmen Daten zu 1157 Anschlüssen abfragen. 880 dieser 1157 Anfragen wurden jedoch nicht beantwortet. Von diesen 880 Fällen sei es in 619 Fällen um Kinderpornografie gegangen, in 55 Fällen um Straftaten gegen die öffentliche Ordnung und in 40 Fällen um Tötungsdelikte.

Bei den negativen Auskünften konnten die Straftaten zu 56 Prozent nicht aufgeklärt werden, so Ziercke. Das BKA habe meist nach der IP-Adresse gefragt. Da die IP-Adresse aber ständig wechsle, sei eine Identifizierung ohne die “Verkehrsdaten” eines Anschlusses unmöglich. Zu den Verkehrsdaten gehören ein- und ausgehende Anrufe.

Die Internet Provider zeigten sich vom Vorstoß de Maizières nicht angetan. Die Vorratsdatenspeicherung sei überflüssig, teilte der eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft mit. Das Bundeskriminalamt wolle davon überzeugen, dass eine wirksame Strafverfolgung nur dann funktioniere, wenn die Verbindungsdaten aller Bürger dauerhaft gespeichert werden.

Ein interner Bericht des BKA, der an die Welt am Sonntag durchgesickert sei, spreche jedoch eine andere Sprache: Demnach wollte die Behörde 2010 nur in 701 Fällen auf Telefon- und Internetverbindungsdaten zugreifen, um bei Straftaten zu ermitteln. Der Bericht umfasse den Zeitraum vom 2. März bis zum 16. Juni – also das Vierteljahr, nach dem das Bundesverfassungsgericht die damalige Form der Datenspeicherung als verfassungswidrig verbot.

Bleibe es bei dieser Häufigkeit der Anfragen, sei hochgerechnet auf zwölf Monate mit maximal 3000 Anfragen zu rechnen – dem gegenüber ständen sechs Millionen Straftaten, die in Deutschland jedes Jahr polizeilich erfasst werden. Hilfreich wären die Daten also nur bei einem halben Promille der Ermittlungsverfahren. Anders ausgedrückt: 99,95 Prozent aller Ermittlungen kämen ohne Vorratsdatenspeicherung aus.

“Das Bundeskriminalamt fordert, die Kommunikationsdaten von 82 Millionen Menschen dauerhaft zu speichern, damit es eine geringe Anzahl von Ermittlungsanfragen an die Provider stellen kann”, sagte Oliver Süme, Rechtsanwalt und Vorstand des eco. “Das ist unverhältnismäßig und absurd – zumal es jetzt schon verfassungsgemäße und wirkungsvolle Methoden gibt, um die Identität von Telefon- und Internet-Tätern zu ermitteln.”