Reden Sie nicht, Herr Schäuble!

Als Innenminister wollte Wolfgang Schäuble das Internet zensieren und überwachen. Als Finanzminister aber sorgt er für wertvollen Content.

Die Arbeit des Satirikers besteht darin, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. In der Informationsgesellschaft wird statt dessen auch gerne die Digicam genommen. Das bringt den Vorteil mit sich, dass sich Real-Satire so dauerhaft dokumentieren lässt, wohingegen ein Spiegelbild halt doch nur flüchtig ist.

Zu eine Art Dokumentationszentrum der Widerwärtig- und der Lächerlichkeiten hat sich denn auch Youtube entwickelt. Die obersten Repräsentanten dieses Staates belegen dort mannigfaltig den Hauptsatz des großen Sigi Zimmerschied, dass die Satire die Realität nie ganz einholen wird.

Mit 1.382.963 Aufrufen an der Spitze steht dabei der Clip “10 Minuten Transrapid”, mit dem Edmund Stoiber endgültig beweist, dass, wer eine deutsche Leitkultur fordert, deswegen noch lange keinen geraden Satz in selbiger Sprache herausbringen muss. (Stand Donnerstag früh.)

“Oettinger spricht englisch” wiederum ist bislang 257.857 mal aufgerufen worden und ein sowohl journalistisch, als auch betriebswirtschaftlich und politisch hochinteressantes Video, journalistisch, weil es ein Film ist, bei dem der Titel für das Verständnis unerlässlich ist und darüber hinaus das einzig Verständliche überhaupt. Unter wirtschaftlichem Aspekt betrachtet, zeigen Oettinger-Clips lukrative Finanzierungsmöglichkeiten für soziale Netzwerke auf. Youtube etwa blendet Anzeigen für Anfänger-Englischkurse und für Qualitätszahnimplantate ein. Schlechte Zahnprothesen sind ja manchmal für eine unverständliche Aussprache verantwortlich, wobei beim EU-Kommissar die Zähne allerdings nicht das Problem sind.

Darüber hinaus hat sich Günther Oettinger als einziger deutscher Politiker erwiesen, der sogar von Guido Westerwelle noch etwas lernen könnte. Denn letzterer hat auch schon einmal eine kluge Entscheidung getroffen und sich geweigert, englisch zu sprechen. Das entsprechende Video, in dem er gegenüber der BBC auf Deutsch besteht, ist 537.172 mal angeklickt worden.

Auch bezeichnend: die Kinderreporter-Clips. Sich mit niedlichen Rotznasen zu zeigen, gehört schließlich zum Pflichtprogramm sowohl von Diktatoren, als auch von Demokraten jeden Grades. Und deshalb erklären bei Youtube Gerhard Schröder und Claudia Roth in väterlichem respektive tantigem Ton, dass Artikel 1 des Grundgesetzes lautet: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.”

Der Aufsteiger der Woche allerdings ist der Clip “Reden Sie nicht, Herr Offer”, mit dem Wolfgang Schäuble seine Auffassung unterstreicht, ein Chef dürfe auch im 21. Jahrhundert mit einem “Mitarbeiter” so umspringen wie seit altersher ein Herr mit einem Domestiken. Michael Offer war Schäubles Sprecher und wird in die Pressegeschichte eingehen, als einer der wenigen Ministeriumssprecher, die einen größeren Bekanntheitsgrad erreicht haben, wenn auch nur, indem er öffentlich abgewatscht worden ist.

Politiker aller Parteien legen jetzt dar, wie viel Kompetenz sie doch in “Mitarbeiterführung” haben. Für Youtube filmen sollte man etwa mal den stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Koppelin. Der sagte der Bildzeitung, dem Fachblatt für den guten Ton: “Ich habe gelernt: Man sollte Untergebene nie öffentlich kritisieren.” Da hat auch unsereins gleich was gelernt, fragt man sich doch schon lange, was eigentlich den Liberalismus der FDP ausmacht. Jetzt ist’s klar: Der Liberale macht die Tür zu, bevor er einen Knecht zusammenfaltet.

Dutzende Zeitungsartikel protokollieren, was auf der Pressekonferenz des Finanzministerium vergangenen Donnerstag vorgefallen ist von Schäubles “Reden Sie nicht” über: “Kann mir mal jemand den Offer herholen?” bis: Sie erleben heute meine spöttische Seite. 592.064 Leute haben sich innerhalb einer Woche den Clip auf Youtube angeschaut, in dem Schäuble seinen meist etwas servil wirkenden Pressesprecher runterputzt.

Apropos servil: “ministrare”, das lateinische Wort, von dem Minister herkommt, heißt “dienen”. Minister sind also Staatsdiener. Und der Herr im Staat – Artikel 20, Grundgesetz: “Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.” – das sind Leute wie unsereins.

Also: Kann mir mal jemand den Schäuble herholen? – In Ihren Worten: Ich hatte Ihnen eine Wette angeboten, dass Sie das mit dem Grundgesetz nicht auf die Reihe kriegen, vor einer halben Stunde. Und dabei waren Sie sogar einmal Verfassungsminister. Reden Sie nicht, Herr Schäuble!

Lesen Sie vor, was in Artikel 1 des Grundgesetzes steht, weil: Im Kopf haben Sie das ja wohl nicht. Genau: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und was sind Grundrechte? Wenigstens das sollten Sie wissen als Jurist. Richtig! Unveräußerlich. Und das heißt, sie gelten auch für Leute, die so wenig wert darauf legen, dass sie für Sie arbeiten.

Und überhaupt: Können Sie nicht mit ein bisschen mehr Haltung dienen, Sie Minister? Was sollte denn Ihre eigenartige Entschuldigung: “Bei aller berechtigten Verärgerung habe ich vielleicht überreagiert”? Das ist doch das heulsusige Niveau eines Unterabteilungsleiters, der barmt, dass er sich nicht so aufführen darf, wie er will. Von jedem Feldwebel könnten Sie noch lernen, wie man sich zackig rauswindet. Man grummelt etwas Unverständliches und endet dann mit “Mädchenpensionat”. Verstanden? – Ach, Sie haben ja nicht einmal gedient.

Na, nun schauen Sie nicht so, Herr Schäuble. Tschuldigung. Wollte ich Sie doch tatsächlich lächerlich machen. Das aber darf man als Souverän ja nicht mit seinem Diener. Und außerdem können Sie selbst das viel besser.

Und Sie haben schließlich auch schon mal gute politische Arbeit geleistet, und zwar… Nein, nicht helfen. Warten Sie! Ich komm’ gleich drauf. Genau: Ihnen ist zu verdanken, dass dauerhaft bei Youtube dokumentiert werden konnte, wie Leute Ihresgleichen mit Untergebenen umgehen. Und Leute wie Sie bilden die Mehrheit auf den Chefetagen. Vielleicht gibt das, was er bei Youtube sieht, ja dem einen oder anderen zu denken. Und denken ist gut für die Demokratie.

Insofern haben Sie sich am Donnerstag letzter Woche um die Demokratie verdient gemacht. Es war übrigens das erste Mal. – Ja. Sie erleben heute meine spöttische Seite.