Finance 2.0: Crowdfunding erobert die Geschäftswelt

In den USA haben Vorreiter wie die prominente Crowdfunding-Plattform Kickstarter mittlerweile rund 80 Millionen Euro eingesammelt. Die kollektive Schwarmintelligenz im Geldbeutel erfreut sich gerade bei Existenzgründern, Künstlern und Start-ups einer verstärkten Nachfrage.

Es gibt sicherlich viele Wege, möglichst kostengünstig, nach München zu gelangen. Das dachten sich auch Chris Jackson und weitere 17 Studenten der Universität Alabama. Sie hatten jedoch dort nicht nur ihr privates Vergnügen im Sinne, wie sie ihre persönliche Motivation in einem kleinen Video auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter beschrieben.

Denn Chris Jackson und seine Mitstreiter wollten Geld für ihr neues Printmagazin Alpine Living einsammeln – und mit dem Geld als Bittsteller ganz nebenbei eine “neue Art des Reisejournalismus” vorantreiben. Es fanden sich genug Unterstützer, kurz vor Ablauf der Unterstützungsfrist kamen bereits mehr als die ursprünglich anvisierten 3000 Dollar für den Europatrip zusammen.

Auch der in Berlin angesiedelte Modedesigner Paul Davis machte sich auf die Suche nach Unterstützern für seine neue Kollektion, die er im Sommer anlässlich der Berliner Fashion Week vorstellen möchte. Auf einer eigenen Internetseite startete er eine kleine Kampagne, um dem von seiner kleinen Firma vorfinanzierten Projekt durch die Webgemeinde einen zusätzlichen Rückenwind zu verleihen.

Paul Davis oder Chris Jackson sind beileibe keine Einzelfälle. Der Trend Crowdfunding macht insbesondere in der Musik- und Kulturszene derzeit Furore. Crowdfunding bedeutet, dass spezielle Plattformen als Vermittler für Spenden und/oder Kredite dienen, die per Aufruf übers Netz eingeworben werden. Es handelt sich also um eine neue internetbasierte Art der Finanzierung, durch die sich Aktionen, Produkte, Projekte, aber auch Geschäftsideen von Privatpersonen und Einzelunternehmern, zumindest bis zu einem gewissen Teil mit Fremdkapital versorgen lassen.

Ein Projekt namens Tiktok bei Kickstarter zeigt das Potential von virtuellen Spenden- und Finanzgemeinschaften auf. Eine kleine Firma bat um Finanzierungshilfe für eine Halterung, um den iPod Nano als Multitouch-Armbanduhr zu konstruieren. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: 13.512 Geldgeber spendeten 941.718 Dollar. Die Entwickler hatten eigentlich nur 15.000 Dollar als Spendenziel veranschlagt.

Kollektiver Anschub zur betrieblichen Wagniskapitalfinanzierung?

Als Kapitalgeber fungiert dabei die “Crowd”, die anonyme Masse der Internetnutzer. Eine Aktion ist durch eine Mindestkapitalmenge gekennzeichnet, die durch die Masse fremdfinanziert sein muss, bevor die Aktion startet. Im Verhältnis zur Mindestkapitalmenge leistet jedes Mitglied der Masse (Crowdfunder) nur einen geringen finanziellen Anteil.

Dass es sich beim Crowdfunding um ein neues Geschäftsmodell handelt, das auch die Welt der Unternehmensfinanzierung nachhaltig tangieren wird, es also kein Randbereich für Mikrospenden und Einzelprojekte bleiben wird, davon ist Philipp Steinberger überzeugt. Er ist Gründungspartner bei der c-crowd AG in Zürich, einem Online-Fundraising-Spezialisten, der auch im geschäftlichen Umfeld agiert.

Die zunehmende Beliebtheit von Crowdfunding zeige auf, dass Kapitalgeber – sprich Spender und Investoren – damit begonnen hätten, bestehende Strukturen zu hinterfragen. “Macht es wirklich Sinn, zusätzliche Fondsanteile zu kaufen, an welcher in erster Linie die Bank Geld verdient, oder braucht die globale Stiftung mit einem administrativen Aufwand von 40 Prozent wirklich meine Unterstützung”, gibt Steinberger die zentrale Frage in die Runde.

Ein Selbstläufer ist das Thema freilich nicht. Die Betreiber haben sich zum ordnungsgemäßen Betrieb von neuartigen Internetplattformen mit den lokalen Finanzaufsichtsbehörden eingehend zu befassen, um allen gesetzlichen Vorgaben und Bedingungen zu entsprechen. Dies ist ein Prozess, den etwa die Schweizer Plattform c-crowd über die Eidgenössische Finanzaufsicht FINMA jedoch bereits erfolgreich hinter sich gebracht hat.

Geld wird emotional erlebbar

“Crowdfunding erlaubt dem Kapitalgeber sein Geld emotionell einzusetzen, was bei einem Fonds-Anteil oder einer globalen Stiftung kaum möglich ist”, sagt Philipp Steinberger von c-crowd. Dieser könne, sofern gewünscht, den wohltätigen Zweck, Künstler oder Jungunternehmer mit persönlichen Kontakten und Ideen unterstützen. Dieser werde somit zum Teil des Projektes. “Dies ist auch für den Projekt-Initiator von großem Interesse, denn ein zufriedener Kapitalgeber spricht im persönlichen Umfeld gerne über seine Projekte, was wiederum einen Hebeleffekt auf das Projekt hat in Bezug auf Visibilität und zusätzlichem Kapital.”

Philipp Steinberger glaubt sogar an den großen Erfolg von “Business Crowdfunding”. Während es heute eher noch kleinere Finanzierungen seien, so könne Crowdfunding schon bald zum institutionalisierten Werkzeug der Finanzierung heranreifen. Die weitere Entwicklung hänge davon ab, wie erfolgreich die bisher finanzierten Projekte verlaufen seien, und wie sich die Regularien in den einzelnen Ländern dem Trend anpassten. Grundsätzlich finde das Kapital aber immer irgendeinen Weg zu den guten Projekten.

Erfolgreiche Pilotprojekte zeigen die Richtung

Dass die dynamische Entwicklung von Crowdfunding im geschäftlichen Umfeld längst keine gänzlich unrealistische Zukunftsvision mehr darstellt, zeigt das Beispiel der Schweizer Plattform cofundit. Gerade hat das Unternehmen in Lausanne, das sich auf die Vergabe von Darlehen spezialisiert hat, bei denen die mit Eigenkapital verbundenen Mitentscheidungsrechte der Investoren wegfallen, einen ersten Deal im Wert von 170.000 Schweizer Franken (CHF) perfekt gemacht.

Dabei handelt es sich um Faction Skis einen jungen aufstrebenden Skiproduzenten aus Verbier, Kanton Wallis. Dieser war die letzten beiden Jahre dank einer Anschub-Finanzierung via Business Angels bereits stark gewachsen. Für die Wintersaison 2010/11 war nun das Orderbuch zu groß, um den Einkauf der Basisstoffe aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren. “Der Liquiditätsbedarf über sechs Monate wurde über die Cofundit-Plattform bei sieben Investoren innerhalb eines Monats platziert”, erläutert Gerrit Sindermann, Business Development Manager bei cofundit.

Bremst der CFO derartige Initiativen aus?

Spannend ist die weitere Entwicklung von Crowdfunding im Businesssektor auch deshalb, weil neben spezialisierten Plattformen sich auch die Unternehmen selbst für bestimmte definierte Projekte die finanzielle Unterstützung aus der großen “Firmencommunity” zusammensuchen könnten. Allerdings bleibt der Trend – direkt in der Unternehmensfinanzierung angesiedelt – zunächst noch ein Randphänomen, unter anderem wegen diverser gesetzlicher Regularien.

Blockt der Finanzchef im Unternehmen (CFO) eine derartige Initiative aufgrund von rechtlichen Hürden wie der Compliance, aber auch dem drohenden Machtverlust, eher ab? Für Gerrit Sindermann wäre das kein triftiges Hindernis: “Im Gegenteil, geschickt adressiert, kann ein sprunghaft angewachsenes Beziehungsnetzwerk mit verstreut angesiedelten Individuen durchaus die eigene Position und Reichweite stärken.”

Außerdem verschaffe sich der CFO, so der Experte weiter, einen zusätzlichen Verhandlungsspielraum gegenüber konventionellen Finanzierungshäusern. “Allerdings wird in den neuen Kanälen häufig eine deutlich offenere, direktere und schnellere Kommunikation erwartet”, fasst Sindermann zusammen.

Fast scheint es so, als dass die kreativen Möglichkeiten von Crowd-basierten Finanzierungskonzepten noch längst nicht erschöpft seien. So gibt es mit Investtor bereits einen “Mitmach-Aktienfonds”, den die Nutzergemeinde selbst nach ihrem persönlichen Gusto anhand eines Kriterienkataloges zusammenstellt. Dahinter steckt die in Starnberg angesiedelte Finanzberatung TOP Vermögen AG.

Ob die kollektive Schwarmintelligenz dabei künftig erfolgreicher abschneidet, als der durchschnittlich Kapitalanleger an der Börse, das wird sich erst noch erweisen.