Cloud Computing: Der Turmbau von Babel

Der weltweite Cloud-Hype ist ungebrochen. Es gibt kaum einen Anbieter, der nicht auch etwas “Bahnbrechendes” zum Rechnen in der Wolke anbietet. Doch die Realität ist viel nüchterner.

Vermutlich haben viele Cloud-Protagonisten in der Aufregung gar nicht mitbekommen, dass Googles E-Mail-Dienst kürzlich versehentlich 150.000 Accounts gelöscht hatte und es drei Tage dauerte, bis die Daten von alten Backup-Tapes wieder zurückkopiert waren. Den Betroffenen bot auch der in solchen Fällen übliche Hinweis, dass es sich “nur um einen sehr kleinen Teil der User handelt” keinen Trost.

Die Ursache für den Blackout in Googles E-Mail-Wolke war ein Bug, der beim Upgrade der Storage-Software zuschlug. So etwas kann natürlich auch im eigenen Rechenzentrum passieren, aber da hat man einen Rollback zur Hand und kann das weitere Vorgehen in einem kleinen, eher unbedeutenderen Umfeld vortesten. Übrigens lautete der Rat vieler IT-Experten nach dem Google-Desaster: Backup von E-Mail-Daten selbst vornehmen – am besten in-House und nicht in der Wolke!

Auch die sonst sehr auf der Cloud-Welle reitenden Analysten von Gartner sehen zunehmende Probleme mit diesem Delivery-Modell. So warnte deren Research Director Frank Ridder jüngst die IT-Chefs vor den Knebel-Verträgen der meisten Cloud-Provider. Er führt die schiefe Vertragslage auf das Multi-Tenant-Angebot zurück, da dieses dazu führe, dass auch die Verträge Multi-Tenant sein müssen. Im Klartext: Ein Standard-Vertrag muss für alle Kunden ausreichend sein. Auch bei den garantierten Serviceleistungen würden sich die Anbieter hinter juristischen Hürden verbergen. “Die meisten Cloud-Verträge enthalten mehr Klauseln über den Haftungsausschluss als über garantierte SLAs”, so Ridder.

Adrian Davis vom Information Security Forum sieht noch ein weiteres Problem: Die Datensicherheit und -kontrolle. “Kein Cloud-Provider ist bereit, sein Rechenzentrum (RZ) von einem Kunden überprüfen zu lassen. Das aber bedeutet, dass kein Cloud-Nutzer nachprüfen kann, ob die vertraglich zugesicherten Datenauflagen auch tatsächlich eingehalten werden”, lauten seine Bedenken. Dieses würde umso schwerer ins Gewicht fallen, da die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Umgang mit Kunden- oder Finanzdaten beim Cloud-Nutzer verbleibt – egal, was im Vertrag mit dem Cloud-Provider geschrieben steht.

Trotz dieser vielfältigen Bedenken am Rechen-Service aus der Wolke richten viele große Anbieter unverändert ihre Strategie auf Cloud Computing aus. Microsoft-Chef Steve Ballmer feuerte sogar seinen langjährigen Kampfgefährten Bob Muglia, nur weil dieser Ballmers “Cloud-Cloud-Hurra” mit einer gewissen Skepsis gegenüber stand. Doch auch IBM, HP und EMC sehen ihr Heil nur noch im Cloud Computing. Art Coviello, Senior Vice President bei EMC, meint sogar, dass nur Cloud Computing die US-Wirtschaft wieder zu einer neuen Blüte führen kann.

Die extremen Differenzen bei der Cloud-Beurteilung liegen vor allem daran, dass der Begriff Cloud sehr schwammig ist. Jeder Anbieter versteht etwas anderes darunter. Das reicht von dem schon seit Jahren weit verbreiteten E-Mail-as-a-Service bis hin zum Hybrid-Cloud-Computing, von dem es bislang keine realistischen Einsatzszenarien gibt. Während vor allem die Infrastrukturanbieter IBM, HP und EMC mit Cloud Computing nichts anderes meinen als modernes RZ-Management – zu dem heute natürlich auch Virtualisierung gehört – reden die Service-Provider wie Salesforce und neuerdings auch Microsoft beim Cloud Computing von dem, was es bei Yahoo, AOL und Hotmail schon seit Jahren gibt: Internet-basierte Applikationen, die sich mehr oder minder individualisieren lassen.

Fazit: Cloud Computing erinnert an den Turmbau von Babel, bei dem ein gewaltiges Bauwerk entstehen soll – doch leider versteht keiner den anderen. Der Unterschied zur Bibel ist der, dass das Sprachgewirr damals ungewollt war, während es heute von den Marketing-Strategen gezielt eingesetzt wird.