Supercomputer beschleunigen Entwicklungszeit

Über Jahrzehnte war Supercomputing eine sichere Bastion spezialisierter Institute, Hochschulen oder Dienstleister. Doch seit einigen Jahren haben Firmen begonnen, selbst Rechenzentren für High Performance Systeme aufzubauen. silicon.de sprach im Vorfeld der 26. Supercomputing Conference 2011 mit Erik Thorwirth, bei der Robert Bosch GmbH für das Thema High Performance Computing (HPC) verantwortlich.

silicon.de: Wie lange nutzen Sie bei der Robert Bosch GmbH bereits Supercomputer?

Erik Thorwirth
Erik Thorwirth

Thorwirth: In dieser Form seit etwa drei Jahren. Wir hatten vorher schon Simulationscluster, aber diese Systeme waren viel kleiner.

Wir sehen es als unsere Aufgabe, für die Entwickler bei Bosch eine zentrale Dienstleistung anzubieten. Das Supercomputing, das wir betreiben, ist eine Infrastruktur, die wir für die Experten und Entwickler in den Fachabteilungen bereitstellen. Von allen unseren Geschäftsbereichen ist bis heute gut die Hälfte an unser System angeschlossen. Diese Kollegen arbeiten produktorientiert.

Zusätzlich nutzt auch der Zentralbereich Forschung und Vorausentwicklung unsere Dienstleistungen. Aus diesem Bereich kommt unser System ursprünglich.

Ich selbst bin erst vor zwei Monaten in die zentrale IT gewechselt und ich habe das Thema vorher im Zentralbereich Forschung und Vorausentwicklung aufgebaut. Ziel ist es, im gesamten Unternehmen weitere HPC-Systeme zur Verfügung zu stellen.

silicon.de: Verstehe ich das richtig – die “Zentrale Forschung” hatte in der Vergangenheit über dieses Thema geforscht und hat es jetzt in den Alltagsbetrieb überführt?

Thorwirth: Ja. Es war ein Forschungsprojekt, das jetzt in den Betriebsablauf übergegangen ist.

silicon.de: Welche Fortschritte hat das Supercomputing in den vergangenen zehn Jahren gemacht?

Thorwirth: Der größte Fortschritt war, dass die Systeme für industrielle Anwendungen verfügbar gemacht wurden. Supercomputer gibt es im Universitätsumfeld schon sehr lange. Die Rechenleistung wächst permanent. Der größte Fortschritt, den ich sehe, ist, dass wir heute Systeme sehr breit industriell einsetzen können.

silicon.de: Sind Sie früher mit ihren Berechnungen und Simulationen zur Universität gegangen und haben das dort rechnen lassen? Oder konnten Sie Ihre Modelle gar nicht rechnen?

Thorwirth: Teils, teils. Wenn ich zehn Jahre zurückdenke, war es sehr aufwendig diese Berechnungen laufen zu lassen. Wir mussten zum Teil spezielle Software dafür entwickeln oder entwickeln lassen. Wir haben mit universitären Einrichtungen sehr eng zusammengearbeitet.

Wir suchen die Unterstützung der Hochschulen vor allem im Bereich der Modellentwicklung und der Programme. Es geht also um Physik und die Mathematik, die in so einem Programm drinsteckt und mit deren Hilfe wir die Wirklichkeit in einer Simulation abbilden können.

Paradigmenwechsel ermöglicht flächendeckendes HPC

silicon.de: Seit wann sind Supercomputer auch für Betriebe wie Robert Bosch in der Automobilindustrie interessant? Ist das dieser Zeitrahmen von drei Jahren, über den wir bereits gesprochen haben?

Thorwirth: Ja, ich denke seit drei bis fünf Jahren sind Großrechnersysteme für Industriebetriebe interessant.

Aber verwechseln Sie das bitte nicht: Simulationen rechnen wird schon seit sehr langer Zeit. Und auch die Simulationscluster gibt es ebenfalls sehr lange.

Dass wir aber von “Supercomputer” sprechen – also von den richtig großen, High-Performance-Computing-Maschinen – das hat sich erst in den letzten Jahren so entwickelt.

silicon.de: Das war vor fünf Jahren – welchen Paradigmenwechsel hat es damals gegeben?

Thorwirth: Das war ein Wechsel hin zu einer x86- und Linux-basierten Architektur. Ab dann war es möglich, Standard-Simulationsprogramme, die auf normalen Linux-Workstations laufen, auch auf den großen Systemen rechnen zu lassen.

silicon.de: Welche High-Performance-Computerisierung erwarten die OEMs in der Automobilindustrie von ihren Lieferanten und Dienstleistern?

Thorwirth: OEMs erwarten, dass wir gemeinsam mit unseren Produkten Simulationsmodelle liefern, die entsprechend validiert sind. Ziel der OEMs ist es, diese Simulationen der Bosch-Komponenten in die Simulationen der gesamten Fahrzeuge einzusetzen.

So wie ich es beobachte, ist es den OEMs relativ egal, wie wir rechnen und welche Rechenleistung unsere Systeme haben. Wichtig ist, dass die Qualität der Produkte am Ende stimmt.

Der qualitative Unterschied zu früher ist, dass die Supercomputer die Entwicklungen wesentlich beschleunigen und kostengünstiger realisieren.

Supercomputer beschleunigen Entwicklungszeit

silicon.de: Welche Produkte wären ohne Supercomputer nie erfunden oder zur Serienreife gebracht worden?

Thorwirth: Da fällt mir keines ein. Es geht nicht darum, etwas neu zu entwickeln, was vorher nicht möglich gewesen wäre. Aber es geht darum, die Entwicklungszeit deutlich zu beschleunigen. Da ist aber immer noch die Innovationskraft unserer Ingenieure unabdingbar. Der HPC-Rechner bringt keine Intelligenz mit, das ist lediglich ein Werkzeug, das wir einsetzen.

Dafür werden langfristig alle unsere Entwicklungsingenieure die Simulationen nutzen. Wir haben hier alles durchcomputerisiert. Die Simulationen und Berechnungen sollen flächendeckend zum Einsatz kommen.

silicon.de: Was sind die nächsten drei großen Schritte bei Engineering, Design, Sicherheit, Komplexität von Fahrzeugen und Komponenten?

Thorwirth: Ein wesentlicher Schritt wird sein, dass noch mehr Ingenieure als bisher die Möglichkeiten der Simulation nutzen. Wir kommen wesentlich schneller zu Ergebnissen und können bessere Produkte in kürzerer Zeit entwickeln. Allerdings wird dieser Schritt gerade vollzogen. Im Moment setzen sicher nicht alle Fachabteilungen diese HPC-Methoden ein.

Der aus meiner Sicht nächste wichtige Schritt ist, dass High Performance Computing flächendeckend zum Einsatz kommt.

Jeder Entwickler wird mit Supercomputern arbeiten

silicon.de: Ist denn der Supercomputer ein logischer, nächster Schritt von den CAD- oder CAE-Programmen?

Thorwirth: CAD – also die reine Konstruktion – profitiert nicht vom Supercomputing. VMworld CAE umfasst die gesamte Simulation. Damit ist die Entscheidung für das Supercomputing ein logischer Schritt gewesen.

silicon.de: Was wäre dann der nächste logische Schritt – Sie sagen Sie wollen die Software flächendeckend ausrollen. Das hieße, dass jeder Entwicklungsingenieur in irgendeiner Weise mit der Software in Berührung kommen wird.

Thorwirth: Ja, das ist der nächste logische Schritt. Jeder Entwickler wird einen Berührungspunkt haben. Das ist richtig. Das ist ein ganz klarer qualitativer Schritt zu dem, wie die Kollegen vorher gearbeitet haben.

silicon.de: Welche Technologien oder Leistungen werden die HPC-Systeme möglich machen, die bisher nur als Konzept oder auf dem Reißbrett existieren?

Thorwirth: Ich denke, dass die HPC-Systeme es möglich machen, sehr schnell in ganz neuen Themen Produkte zu generieren. Ich meine – ohne lange Evolutionszyklen. Mir fällt dazu die Elektromobilität ein. Wir rechnen damit, dass durch den Einsatz der Supercomputer der Entwicklungs- und Evolutionsprozess wesentlich beschleunigt wird.

silicon.de: Was bedeutet der “Evolutionsprozess” eines Produktes?

Thorwirth: Wenn man sich ein bestimmtes Produkt anschaut – eine Einspritzdüse beispielsweise –, dann sieht die heute ganz anders aus als vor 30 Jahren. Sie hat verschiedene Evolutionsstadien durchgemacht. Und diese Evolution, die ein Produkt typischerweise durchmacht, die kann man mit HPC-Systemen extrem verkürzen.

silicon.de: Sie beschleunigen die Zeit?

Thorwirth: Ja. Die Entwickler und Forscher haben immer daran gearbeitet, dass ihre Entwicklungswerkzeuge und -methoden immer schneller geworden sind. Und da ist der Supercomputer ein Teil davon.