Sicherheitslücken im Bundestag

Der Jurist war letzten Freitag wieder mal beim Stammtisch in der Wirtschaft vom Franz. Der kommt sonst recht selten, weil er doch so wichtig ist, wie er immer erzählt, und deswegen so viel zu tun hat in seiner Kanzlei.

Eigentlich heißt er ja Ignaz. Aber mit Vornamen anreden mag ihn eigentlich niemand – wegen seines Charakters. Nicht, dass er einen schlechten hätte. Es ist vielmehr ganz verkehrt, im Zusammenhang mit seiner Person überhaupt von Charakter zu sprechen.

Deshalb wird er am Stammtisch bloß “Jurist” gerufen – oder besser: Mit dieser Anrede versucht man, ihn zu unterbrechen, wenn er wieder mal seine chronische Bedeutungsschwangerschaft wirtshaus-öffentlich austrägt.

Der Zustand eines Gemeinwesens lässt sich übrigens ganz leicht an der Anzahl der Leute vom Schlage des Juristen-Ignaz ablesen, die Spitzenpositionen innehaben. – In Deutschland sind die meisten Spitzenpositionen mit Juristen besetzt.

“Da kommt ja der armselige Computer-Schreiber”, ruft er letzten Freitag schon von weitem, als er selbigen erblickt. “Hock dich her. Ich zahl dir ein Bier. Es könnt’ das letzte sein, das du in Freiheit trinkst.”

Der Ignaz hat einen typischen Rechtsanwaltshumor. Sollte es hierzulande einmal Gerechtigkeit geben und nicht nur eine Justiz, dann wird so was auf jeden Fall streng bestraft.

Derzeit treibt ihn die Quellen-TKÜ um. Die Firma Digitask, die die Überwachungssoftware herstellt, ist vom Konkurrenten Wavecon abgemahnt worden, weil sie darin rechtswidrige Funktionen eingebaut habe. Das verschaffe ihr einen illegalen Wettbewerbsvorteil. Digitask hat daraufhin zurückgemahnt.

Wie elektrisiert ist der Juristen-Ignaz von der Angelegenheit. Nicht aus Sorge um den Rechtsstaat, versteht sich, sondern weil für Seinesgleichen da offenkundig viel Geld drinsteckt.

Und dann hat er sich noch das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages besorgt. Das besagt, dass es sich bei der Veröffentlichung des Quellcodes durch den Chaos Computer Club eventuell um Strafvereitelung handelt. “Paragraph 258, StGB”, japst er und zitiert “…wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft”.

“Jurist, halt’s Maul” versucht ihn der Xaver, zum Schweigen zu bringen. Aber der Anwalt ist nicht mehr zu bremsen. “Ich hab’ nach dir gegoogelt, Schreiber”, prustet er, “du bist auch dran. ‘Tipps und Tricks für Computer und Internet’. Sowas bringst du im Radio. Das ist Hochverrat, Paragraph 81 bis 83, StGB. Frag den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, wenn du’s mir nicht glaubst.”

Und dann zitiert er wieder aus dem Strafgesetzbuch: “… wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.”

Der Jurist kriegt sich kaum noch ein über seine Witze: “Ich hab’ mir den Schmarrn angehört, den du da erzählst. ‘Verwenden Sie eine Firewall’, sagst du immer. Das ist eine öffentliche Aufforderung zu einer Straftat. Frag den wissenschaftlichen Dienst. Paragraph 111: fünf Jahre.”

Er ist nicht mehr zu halten. “Und dann erklärst du’s auch immer noch so im Detail: ‘Pull-down-Menü Hilfe – Nach Updates suchen…’ Schreiber, das ist eine ‘Anleitung zu Straftaten’, Paragraph 130a. Mit drei Jahren bist du dabei.”

“Der Schreiber kann da nix dazu”, meint der Xaver, “des ist ja bloß ein ganz kleines und trübes Licht. Aber schau dir des andere Journalisten-Geschwerl an, was die so geschrieben haben. Unser Innenminister, der Herrmann, der unterscheidet jetzt plötzlich fein säuberlich zwischen App-Shots und Screen-Shots. Letzten Monat hat der doch noch nicht gewusst, was ein Browser ist.”

Der Xaver arbeitet bei einem Münchner Web-Hoster. Und wenn er ein Bier zuviel hat, dann gibt er auch schon einmal zu, dass er die Piratenpartei wählt. Ein politischer Kopf ist er nicht, aber engagiert. “Richtig aufgewacht ist sie, die Staatsregierung”, freut er sich.

“Genau”, tönt der Jurist, “Störung der Totenruhe – Paragraph 168, StGB, drei Jahre. Schreiber, wenn du wieder aus Stadelheim rauskommst, dann mit den Füßen zuerst. Aber ich halte zu dir. Ich heb’ dir immer die Gutachten des wissenschaftlichen Bundestagsdienstes auf, damit du all die Jahre was zu lesen hast.”

Er suhlt sich jetzt in seinem Juristenhumor. “S’Annamirl, die du immer so versonnen anschaust, die kann sie dir ja dann mitbringen, wenn sie dich besucht.”

Anna-Maria ist die neue Bedienung vom Franz. Sie bringt dem Juristen gerade sein sechstes Bier. Dass bloß Intelligenz säuft, ist ein Mythos.

“Ja”, sagt das Annamirl, “ich bring ihm aber bloß Gutachten über Sachen, von denen die vom Bundestag wirklich was verstehen, die über Metaphysik, Esoterik und Astrologie. Vom Rechtsstaat, da haben die doch wohl keine Ahnung.”

Ganz lieb schaut sie jetzt: “Und unser Schreiber ist doch so ein Sensibler.” – Wow, eine schöne, empfindsame und gescheite Frau!

Irgendwann, nachdem er eine Mindeststrafe von 124 Jahren errechnet hat, wankt der Jurist dann zu seinem BMW. Vor Polizeikontrollen fürchtet er sich nicht. „Die sollen sich lieber mal um die kriminellen Computer-Chaoten kümmern, anstatt ehrbare Bürger zu belästigen“, lallt er.

Heute ist wieder Stammtisch. Der Jurist kommt allerdings nicht, weil er bedeutenden Leuten wichtigen rechtlichen Beistand leisten muss. S’Annamirl ist aber da. Gleich zwei gute Gründe, weshalb diese Woche gut ausklingen könnte.