Autos mit SIM-Karte – Streit um Daten aus Fahrzeugen

Längst sind Autos nicht mehr nur Autos, sondern sie produzieren neben Abgasen inzwischen auch eine Vielzahl von Daten. Und um die streiten jetzt Versicherungsbranche und Automobilhersteller.

Der Fahrer setzt sich hinter das Steuer, verbindet Auto und Mobiltelefon und ist ab diesem Moment mit seinem Fahrzeug online. Sein Handy hält den Kontakt zwischen dem Rechner hinter seiner Cockpit-Verkleidung und dem Rechenzentrum des Autoherstellers. Es pumpt die Daten in das Auto – etwa für Facebook, Google Maps, Internet-Radio oder Fahrerassistenzsysteme – und schickt Informationen aus dem Auto zurück in die Rechenzentren der Autohersteller. Hier werden in den nächsten Jahren tausende Apps installiert, aus denen sich der Fahrer die für ihn passenden Services wählt.

Doch diese Infrastruktur, die manche Hersteller heute großspurig als “Automobil 3.0“ verkaufen, ist bereits in wenigen Monaten überholt. Denn ab 2015 wird per EU-Verordnung im Zuge des sogenannten “E-Calls” die Mobilfunkhardware direkt im Auto verbaut sein. Die SIM-Karte ist dann Teil des Fahrzeuges, das Fahrzeug selbst rechtlich mit einem Mobiltelefon gleichgestellt.

 

 

Das Fahrzeug baut eine direkte Maschine-zu-Maschine – “M2M” – Verbindung mit den Servern im Rechenzentrum der Autohersteller auf. Neben den Datenströmen für Entertainment und Unterhaltung auf langen und langweiligen Strecken verlässt ein zweiter Datenstrom die Autos.
Die Hersteller erhalten ein permanentes Update aller Autos auf den Straßen. Wo sind sie unterwegs? Wie ist der Benzinstand im Tank? Sind die Reifen abgefahren? Fährt der Fahrer sicher, unsicher oder anders als gewöhnlich? Nach einem Unfall analysieren Versicherung und Arbeitgeber die Datensammlung. Sie rekonstruieren Schritt für Schritt den Verlauf – womöglich ist der Fahrer zu schnell gefahren, hat eine Kreuzung bei Rot überquert, trotz Verbot überholt.

Keine Frage – mit einer integrierten SIM-Karte wird der Privatwagen zum Handy und der Fahrer für seinen Autohersteller vollständig transparent.

Was für eine Chance für Automobilkonzerne und Versicherungen – sie schauen der Internet- und Mobilfunkbranche über die Schulter und lernen aus deren Geschäftsmodellen. Bei Apple, Google oder auch Facebook besteht ein großer Teil der Gewinnspannen und der astronomischen Unternehmensbewertungen insbesondere im Daten sammeln, Daten auswerten, Daten handeln, Daten vergleichen und schließlich in der Vertriebsunterstützung auf Basis der gewonnen Informationen.

Wie die Konzerne dies für ihr eigenes Geschäft umsetzen, zeigen die ersten Projekte, die bei Speditionen und Anbietern von Fuhrparks angelaufen sind. Hier ist der Einsatz der sogenannten “On Board Unit” für den stetigen M2M-Datenaustausch zwischen LKW und Rechenzentrum Alltag. Im Rechenzentrum analysieren die Anwendungen die übertragenen Daten und werten die Informationen aus. Ein beispielhaftes Geschäftsmodell sind die “Pay-as-you-drive”-Versicherungen: Computer analysieren und bewerten den Fahrstil der Fahrerinnen und Fahrer oder überwachen Wartung und Reparatur. Diese Algorithmen schlagen individuelle Tarife vor und kontrollieren Fahrweise und Wartung in einer Endlosschleife.

Und die Automobilhersteller denken bereits intensiv darüber nach, diese und ähnliche Geschäfte rund um die Telematik auch im privaten Bereich auszubauen. Dann wird Datenübertragung und Datenauswertung die Geschäftsmodelle und Wertschöpfung im privaten KFZ-Bereich verändern.
Unter der Bezeichnung “Nutzungsabhängige Tarifierung” reichen sich Berater, Produktdesigner, Manager und IT-Experten bereits seit einiger Zeit Konzepte von Tisch zu Tisch. Ziel soll es sein, die Kosten der Versicherungen vor allem von persönlicher Nutzung der Fahrzeuge und einer individuellen Risikoeinschätzung abhängig zu machen.

“Die Telematik in Verbindung mit E-Call ist ein sehr altes Thema”, berichten Branchenexperten. “Die Versicherer haben das Thema E-Call zwar sehr lange beobachtet, aber hier keine große Relevanz für sich gesehen. Erst als sie gemerkt haben, welche Vorteile die Autohersteller hier gegenüber den Versicherungen bekommen, reagierten sie. Und jetzt verlangen sie mit am E-Call-Tisch zu sitzen.”

Hinter vorgehaltener Hand berichten Insider von einem bizarren Streit, der hinter den Kulissen tobt. Automobilhersteller und Versicherungsbranche kämpften um viele Millionen Euro Umsatz, berichten Markbeobachter. Es ginge insbesondere um den sogenannten “After Sales”-Markt.

Wartung, Ersatzteile, die Schadensbearbeitung eines Unfallwagens, die Auswahl von Werkstätten und natürlich geht es auch um Pay-per-Use-Angebote. Derjenige, der den Zugang zu den Daten der Kunden hat, wird als erster am Unfallort sein und das verunglückte Fahrzeug in seine Vertragswerkstatt schleppen.

Mit dem Positionspapier “E-Call Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit der Kunden im Markt für E-Services” hat der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft – GDV – die Autohersteller kritisiert und den Anspruch auf Mitsprache bei E-Call formuliert.

Die Automobilhersteller könnten in die Lage kommen, durch das Design ihres E-Call-Systems die Geschäftsmodelle anderer Dienstleister teilweise oder vollständig einzuschränken. Sie erhielten exklusiven Zugang zum Kunden, den sie möglicherweise nicht oder nur gegen Gebühr öffnen würden”, schreibt der Verband.

Insider berichten, dass die Jagd nach den Daten der Kunden längst ausgebrochen sei. Derzeit prüfen Versicherungen, mit welchen Konzepten oder Services sie die bisherigen Bemühungen der Automobilhersteller kopieren können.

Die Versicherer planten – angeblich – sogar eine eigene Infrastruktur aufzubauen, Telematik-Services anzubieten und in einem gemeinsamen Rechenzentrum der Versicherer die Daten ihrer Kunden zu speichern. Auf Anfrage widersprach ein Sprecher des GDV jedoch dieser Darstellung, eine derartige Infrastruktur sei nicht geplant.