“Softwareentwicklung ist immer Teamarbeit!”

Im silicon.de-Interview erklärt Phillip Brune, Prof. für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Neu-Ulm, wie die Vermittlung von Kompentenzen beim Software-Engineering verbessert werden können und was es mit dem Projekt EVELIN auf sich hat. In der mangelhaften Vermittlung von Naturwissenschaften in der Ausbildung sieht Brune aber auch ein gesellschaftliches Problem.

Im Juni bewilligte das “Gemeinsamen Bund-Länder-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) für das Verbundprojekt “EVELIN – Experimentelle Verbesserung des Lernens von Software Engineering” der Hochschulen Neu-Ulm (HNU), Coburg, Regensburg, Kempten, Aschaffenburg und Landshut.

silicon.de: Herr Brune, mit dem Projekt EVELIN wollen Sie und weitere Kollegen aus anderen süddeutschen Hochschulen, die Lehre für angehende Software-Ingenieure verbessern. Aber wo sehen Sie denn derzeit den größten Optimierungsbedarf?

Brune: Software Engineering ist eine praktische Tätigkeit, die auch mit Erfahrung zu tun hat, und die man daher “können” muss. Sie theoretisch zu verstehen und die Methoden nur zu “kennen” reicht nicht aus. Und dieses Können bezieht sich nicht nur auf technische Werkzeuge, Methoden und Vorgehensweisen.

silicon.de: Woran denken Sie?

Brune: Softwareentwicklung ist immer Teamarbeit! Dies gilt umso mehr im Kontext der Globalisierung und der rasanten Weiterentwicklung technischer Möglichkeiten und erfordert auch eine Ausbildung persönlicher und sozialer Kompetenzen wie beispielsweise Kommunikationsfähigkeit – auch international -, Teamfähigkeit, der Fähigkeit, sich selbst Wissen anzueignen und vieles andere mehr. Dies soll Studierenden bereits an der Hochschule vermittelt werden. Ziel von EVELIN ist es daher herauszufinden, welche Lehr- und Lernmethoden für all diese Aspekte von Software Engineering für eine bestimmte Zielgruppe optimal sind.

silicon.de: Wie wollen Sie die Gelder des “Gemeinsamen Bund-Länder-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) einsetzen. Geht es nur darum, weitere Stellen zu schaffen und zusätzliche Kurse anzubieten, oder soll sich das gesamte Lehr-Konzept ändern?

Brune: Auch wenn mit den Fördergeldern natürlich auch Mitarbeiterstellen geschaffen werden, die direkt in der Lehre unterstützen, zum Beispiel durch zusätzliche Übungs- und Betreuungsangebote (Tutorien etc.) und damit den Studierenden sofort zu Gute kommen, so ist das eigentliche Ziel jedoch, durch die Entwicklung und Erprobung neuer Lehr- und Lernkonzepte einen grundsätzlichen Beitrag zur Verbesserung der Lehre von Software Engineering zu leisten. So wird ein nachhaltiger Nutzen des Projektes über die Projektlaufzeit und die beteiligten Hochschulen hinaus erreicht.

silicon.de: Was genau kann man denn in der Lehre für Software-Entwicklung und verwandte Themen besser machen, hätten Sie vielleicht ein konkretes Beispiel für uns?

Brune: Wie oben schon erwähnt besteht eine wesentliche Herausforderung darin, dass man Software Engineering anwenden können muss. Dazu gehört neben der Kenntnis der theoretischen Konzepte eben auch praktisches Erfahrungs- und Handlungswissen. Dies kann man aber nur dadurch erlernen, dass man es selbst “tut”. Dafür müssen wir in der Hochschullehre versuchen, möglichst reale Projektszenarien spielerisch nachzubilden, zum Beispiel durch projektbasiertes Lernen, Gruppenarbeiten etc. Natürlich machen wir das auch heute schon, auf Grund der natürlichen zeitlichen Grenzen von Lehrveranstaltungen und Semestern ist dies jedoch immer wieder eine Herausforderung, für die wir neue Lösungsansätze finden müssen. Ein anderes Beispiel ist die Veranschaulichung und Visualisierung der häufig sehr abstrakten Methoden des Software Engineerings. Hier können zum Beispiel spielerische Elemente wie Rollenspiele helfen, deren Einsatzmöglichkeiten wir ebenfalls untersuchen werden.

silicon.de: Reicht es aus, einfach gute Programmierer auszubilden, oder sollten nicht vielmehr auch Themen wie Unternehmensgründung und Unternehmertum bei der Ausbildung eine Rolle spielen?

Brune: Software Engineering ist nur zu einem kleinen Teil Programmierung. Der größere (und meist auch erfolgskritischere) Teil befasst sich mit Aufgaben wie Requirements Engineering, Softwarearchitektur, Qualitätsmanagement, Projektmanagement etc., für die persönliche und soziale Kompetenzen ebenfalls grundlegend wichtig sind. Natürlich gehören dazu auch unternehmerisches Denken, Pragmatismus, Interdisziplinarität – der Blick über den Tellerrand hinaus. EVELIN selbst beschäftigt sich damit nun eben speziell mit Bezug auf das Software Engineering. Die Hochschule Neu-Ulm als Business School bietet ihren Studierenden aber unabhängig davon bereits hervorragende Lehrangebote im Bereich Entrepreneurship an. Auch verfügen wir über eine etablierte Gründerberatung für gründungswillige Studierende, die in Zukunft weiter ausgebaut werden soll. So sind auch schon erfolgreiche Start-Ups unter Beteiligung von HNU-Absolventen entstanden.

silicon.de: In den USA beispielsweise spielen Universitäten und Hochschulen bei jungen Unternehmen eine große Rolle. Es kommt zwar auch in Deutschland vor, dass sich erfolgreiche Unternehmen aus Universitätsprojekten ausgründen, doch irgendwie scheinen die Amerikaner uns da voraus zu sein. Was können wir tun, um hier weiter aufzuholen?

Brune: Ich denke, speziell die Hochschulen für angewandte Wissenschaften sind hier bereits gut unterwegs! Wir pflegen einen engen Dialog und eine gute Zusammenarbeit mit unternehmerischen Partnern auf vielen Ebenen wie etwa Dozenten, Abschlussarbeiten oder Projekte, insbesondere auch mit der regionalen mittelständischen Wirtschaft. Wie oben bereits erwähnt, unterstützen und fördern wir auch gezielt die Gründung von Start-Up Unternehmen im Hochschulumfeld. Aber natürlich lassen sich gute Geschäftsideen nicht erzwingen und als Hochschule können wir die Gründungswilligkeit unserer Studierenden auch nur bedingt beeinflussen. Generell besteht hier sicherlich in Deutschland ein stärkeres Sicherheitsdenken als in den USA. Wenn man die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in beiden Ländern betrachtet, so scheint das aber vielleicht auch nicht ausschließlich negativ zu sein!

silicon.de: Bund und Länder haben den “Qualitätspakt Lehre”, als dritte Säule des Hochschulpakts 2020 beschlossen. Reichen solche Beschlüsse aus? Was könnte die Politik noch tun, um gerade den Bereich Informatik/Software in Deutschland weiter zu stärken?

Brune: Die bestehenden Förderprogramme der Exzellenzinitiative und des Qualitätspakts Lehre sind ohne Zweifel wichtige und richtige Initiativen! Für kontinuierlich herausragende Forschung und Lehre sind allerdings auch dauerhaft finanzielle Mittel erforderlich. Ich würde mir daher für die Zukunft eine Verstetigung und Erweiterungen solcher Förderprogramme wünschen. Für die Verbesserung der Lehre kommt es aber natürlich auch auf die zielgerichtete Verwendung der vorhandenen Finanzmittel an. Mit EVELIN versuchen wir ja gerade, dafür auch langfristig einen Beitrag zu leisten.

silicon.de: Fangen wir denn in Deutschland früh genug an, Nachwuchskräfte an naturwissenschaftlich/technische Themen heran zu führen? Sollten solche Programme nicht bereits in der Grundschule oder in den weiterführenden Schularten eingesetzt werden? Wie könnte man den starken Männerüberhang in dieser Fachrichtung nivellieren?

Brune: Mein Eindruck ist, dass in Kindergärten, Schulen oder Ausbildungseinrichtungen in den letzten Jahren bereits vielfältige Anstrengungen unternommen werden, um den Kindern frühzeitig naturwissenschaftlich/technische Themen nahe zu bringen. Ich sehe das z.B. auch bei meinen eigenen Kindern im Kindergarten beziehungsweise der Grundschule. Verglichen mit meiner eigenen Kindheit ist das zum Teil schon sehr ambitioniert und deutlich mehr als früher. Auch von Seiten von Verbänden wie GI, DPG, Bitkom etc. gibt es zahlreiche MINT-Initiativen, auch in Richtung der gezielten Ansprache von Mädchen, wie etwa mit dem “Girls Day”.

Ich denke jedoch, dass der Einfluss von Kindergärten, Schulen etc. hier vergleichsweise gering ist. Die entscheidende Prägung geschieht immer noch durch Eltern, Verwandte usw. Wenn Kindern hier schon der Eindruck vermittelt wird, dass MINT-Themen schwierig sind und man diese nicht unbedingt verstehen braucht, dann nützen auch die oben genannten Initiativen nicht viel. Ich beobachte schon, dass Schüler und Jugendliche hier zum Teil schon frühzeitig auf bestimmte Stereotype festgelegt sind, im Sinne von “Physik / Mathe ist uncool, das sind Nerds”. Das ist aber eher eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung! Bezogen auf unsere Studierenden betrachte ich es aber natürlich auch als meine Aufgabe, diese Stereotype – soweit vorhanden – zu korrigieren.

silicon.de: Die IT-Branche und hier vor allem der Mittelstand ächzt unter dem häufig zitierten Fachkräftemangel. Sehen Sie diesen Mangel auch, oder haben ihre Absolventen eher Probleme einen Job zu bekommen?

Brune: Wir sehen diesen Mangel auch, zum Beispiel aus den zahlreichen Anfragen von Firmen nach guten Absolventen mit IT-Profil! Absolventen mit einem erkennbaren IT-Bezug in ihrem Qualifikationsprofil sind sehr gefragt, insbesondere in Verbindung mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und einem klaren Praxisbezug. Unsere Hochschule trägt dem auch Rechnung, zum Beispiel mit der Einrichtung unseres neuen Bachelor-Studiengangs “Information Management Automotive” zum kommenden Wintersemester. Die Mehrheit der von mir betreuten Bachelor- und Masterstudierenden schreibt ihre Abschlussarbeiten in Unternehmen. Diese Absolventen haben keine Probleme, einen Arbeitsplatz zu finden, meist sogar die Auswahl zwischen mehreren Angeboten! Das gilt für Master- und auch für die Bachelor-Absolventen, auch wenn das häufig anders berichtet wird.

silicon.de: Herr Brune, wir danken für das interessante Gespräch.