Heinz Paul Bonn

ist Gründer des Kölner ERP-Spezialisten GUS Group. Der Buchautor und Blogger ist Ehrenmitglied und Vorsitzender des Forums Mittelstand im BITKOM.

Der Preis der Ideen

Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich die Geschworenen auf eine Milliardenstrafe gegen Samsung geeinigt haben, reibt sich silicon.de-Blogger Heinz Paul Bonn verdutzt die Augen. Dabei gehe es gar nicht um die Frage, ob “runde Ecken” tatsächlich schutzwürdig sind.

Während der Olympischen Spiele in London war es Gastwirten untersagt, in Menüs, Werbung oder in der Auslage mit Begriffen wie “Olympia”, “Gold, Silber, Bronze” oder gar der Jahreszahl “Zweitausendzwölf” zu werben. Die Nutzung behielten sich einzig und allein die Sponsoren und Veranstalter vor. Die hatten die Begriffe zwar auch nicht erfunden, reklamierten sie aber für diesen Zeitraum als ihr Eigentum. “2012” war zeitweilig sozusagen patentgeschützt.

Auch das Internet, sagt man, schlägt täglich einen Sargnagel ins Urheberrecht. Tausendmal kopiert – tausendmal ist nichts passiert? Die Kämpfe gegen Fälschungen, Copyright-Verletzungen, Plagiate beschäftigen inzwischen die Gerichte so häufig wie Nachbarschaftsstreitigkeiten.

Und es sind – ganz wie bei Konflikten über den Gartenzaun – auch nicht selten Bagatellen, die da von den Juristen beurteilt werden müssen. Auch vor dem Patentrichter werden immer kleinteiligere Neuerungen und Innovatiönchen diskutiert. Aber dass sich eine Jury gerade einmal eineinhalb Tage Zeit nimmt, um etwa 700 Streitpunkte im Patentfall zwischen Apple und Samsung zu beurteilen, lässt einen doch verdutzt die Augen reiben.

Und erst das Urteil: Nachdem nur wenige Sekunden pro Streitpunkt aufgebracht wurden, konnte sich die Jury ebenso schnell auf eine Milliardenstrafe gegen Samsung einigen. Da hilft es nichts, dass der Smartphone-Riese aus Südkorea Milliardengewinne einfährt und die Strafe gut verkraften kann. Es geht um die Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Strafen.

Schon im Gerichtsverfahren rund um den Datenklau, den die SAP-Tochter TomorrowNow gegenüber Oracle eingestanden hatte, wurde schließlich eine Milliardenstrafe verhängt, die ein langes Ringen um die tatsächlich zu leistende Strafe nach sich ziehen wird. Nichts anderes wird nun zwischen Samsung, Apple und den Gerichten folgen: Das Urteil ist bereits angefochten – jetzt beginnt ein Spiel um Geld und Zeit.

Es geht gar nicht mal unbedingt um die Frage, ob “runde Ecken” tatsächlich schutzwürdig sind oder gar schützbar, ob die Gesten, mit denen die Touchoberfläche angeregt wird, so unverwechselbar sind oder sein müssen. Es geht eher um die Frage, wie viel Rechtsunsicherheit durch überbordende Patentvergaben geschaffen wird. Allein in einem Smartphone sollen nach Analystenmeinung rund 1000 technische Eigenschaften patentwürdig sein. Wer will da noch das Risiko eines Markteinstiegs eingehen. Wer kann noch beurteilen, ob die Eigenentwicklung auch tatsächlich eine Eigenleistung ist oder doch ein unfreiwilliges oder fahrlässiges Plagiat?

Samsung und Apple teilen sich etwa zwei Drittel des Marktes für Smartphones auf. Noch richten sie sich gegeneinander. Es wäre jedoch nicht unwahrscheinlich, dass beide ihre Patentrechte wechselseitig austauschen – um das letzte Drittel endgültig aus dem Geschäft zu kegeln.

Patente waren einmal dazu da, den Wert der Ideen zu schützen – und nicht zuletzt dem Erfinder ein Auskommen durch seine Innovation zu gewähren. Die Milliardenurteile der Vergangenheit führen jedoch zu einem exakten Gegenteil. Während einerseits die Strafen für Patentverletzungen immer höher ausfallen, werden andererseits die Patente immer weiter bagatellisiert. Wer wollte da noch das Risiko eingehen, als Karpfen unter den Patenthechten zu schwimmen?

Am Ende führt dieser Schutz vor dem geistigen Eigentum zur Verhinderung von geistiger Leistung.



  1. Man könnte fast versucht sein zu glauben, die Gerichte würden, wie die Anwälte, auch an der festgelegten Schadenersatzsumme partizipieren.

    Die Ursache liegt doch aber bei den Institutionen, die Patente vergeben. Wenn jeder noch so kleine Hauch einer Veränderung gleich für patentwürdig erklärt wird, muss man sich nicht wundern, dass das ganze Thema ad absurdum geführt wird.

    1. Erstmal sollten wir genau definieren, wovon wir reden, im besten Sinne des sokrates’schen Diskurses:

      Patente werden nicht vergeben, sondern erteilt, und zwar für technische Leistungen, die neu gegenüber dem weltweit gesamten Stand der Technik sind und auch aus diesem nicht nahegelegt sind. Das ist dann in der Regel echt schon eine Leistung, die Respekt verdient.

      Die Schutzrechte, die Apple (überwiegend) ins Feld führt, sind “Design Patents”, zu deutsch: Geschmacksmuster, also rein ästhetische Schöpfungen. Die werden auch (kaum) geprüft sondern eingentlich nur eingetragen.

      Wir diskutieren *hier* also in erster Linie darüber, ob die ästhetischen Schöpfungen von Apple diesen ganzen Bohei wert sind.

      Ohne ein Freund von Apple zu sein (eher im Gegenteil) ringt doch eine Leistung von Apple höchsten Respekt ab: Apple hat es geschafft, unästhetische Technik angenehm und nutzbar zu machen.

      Es ist diese Leistung, für die Apple die Belohnung verdient.

  2. Sind im Falle Apple vs. Samsung anhand der einem breiten Markt bekannten Objekte Galaxy vs. iPad/iPhone noch eine Vielzahl von Konsumenten in der Bewertung etwaiger Schutzverletzungen beteiligt, so sind die Fälle von vermeintlichen Urheberrechtsverletzungen im Bereich von kommerzieller Software (z.B. SAP, Oracle, Microsoft) weitaus unübersichtlicher, aber nicht weniger abenteuerlich. Im Verborgenen werden über kaum merkbare Definitionsänderungen bezüglich der Bündelung oder Metrik von Softwareprodukten neue Lizenzrechte kreiert und die gewerblichen Nutzer vermeintlich ins Unrecht gesetzt und mit Nachforderungen konfrontiert.
    Das jüngste Urteil des europäischen Gerichtshof über den Unfug bei der Beschränkungen von Verwertungsrechten durch rechtmäßige Lizenznehmer wirft hier nur einen kleinen Schlagschatten: Über 90% von rechtlich fragwürdigem Lizenzgebahren wird von den Gerichten (noch) nicht behandelt, weil die Betroffenen vor Klagen zurückschrecken: schließlich will man es sich nicht mit den Großen verderben. Welche volkswirtschaftlichen Schäden aus den monopolistischen Umtrieben unter dem Deckmantel des Schutzes von Urheberrechten auf diese Weise entsteht, hat die Politik weder landes- noch europaweit bisher aufgegriffen.

    1. …volkswirtschaftlicher Schaden aus monopolistischen Umtrieben unter dem Deckmantel des Schutzes von Urheberrechten?

      Hmm.

      Wenn ich mit einem Team von 6 bis 8 Leuten zusammen ein Jahr arbeite, um ein tolles nützliches Softwarepaket bereitzustellen, bin ich in der Verantwortung, dieses Team zu entlohnen. Jeder Einzelne von ihnen dürfte wiederum Verantwortung für eine Familie, Haus & hof & Hund haben. Von denen wird keiner sagen: “Jo Chef! Verschenk’ die Software mal! Ich komm’ schon über die Runden. Meine Mutter lässt mir monatlich was zukommen.”

      Gut & zuverlässig funktionierende Software zu entwickeln ist kein Pappenstiel. Da müssen alle mit ‘ran. Dann soll das Team bzw. der Unternehmer aber auch das Recht haben, hieraus Honig zu saugen.

      Ganz nebenbei: Auch die OpenSource-Lizenzen machen knallhart Gebrauch vom Urheberrecht. Und die Inhaber setzen diese Rechte vor den deutschen Gerichten ebenso knallhart durch.

      Komisch nur, dass dennoch hinsichtlich der Inhaber von OpenSource-Urheberrechten niemand von Monopolisten spricht, obwohl sie genauso auf ihren Monopol-Rechten beharren wie alle anderen Monopolrechtsinhaber auch.

  3. Lieber Herr Bonn,

    in einem Punkte kann ich mich Ihnen anschließen: Mir grauelts angesichts eines derartigen Urteils, das von einer offensichtlich sachlich unkundigen Jury in offensichtlich der Sache nicht angemessener Zeit gefällt wurde.

    Obschon ich allerhöchste und aufrichtige Achtung vor Ihnen und Ihren Positionen habe, erlaube ich mir, hinsichtlich der anderen Punkte anzuregen, dass Sie Ihren Ghostwriter einmal ins Gebet nehmen.

    1. Dieses Urteil ist in den USA im Rahmen des dortigen Rechtssystems gefällt worden. Hier, in Europa und vor allem in Deutschland würde solch ein Prozess komplett anders ablaufen.
    Vor allem der Zeittakt lässt mir zugegebenermaßen die Haare zu Berge stehen: Pro Patentanspruch braucht ein Patentanwalt 10 min bis 1 h, um ihn zu verstehen; eine Verletzungsanalyse kann mehrere Stunden bis Tage erfordern, wenn die Merkmale von geschützter vs. Verletzungsform herausgeschält werden müssen. Wenn der Patentanwalt in der Materie drin steckt. Der Minutentakt, mit der die Jury hier offensichtlich Analysen durchgeführt hat ist (alp)traumhaft.

    2. Apple setzte vornehmlich auf sogenannte „Design Patents“ – dabei handelt es sich *nicht* um Patente im Sinne unseres Rechtssystems, nämlich einen Schutz für eine technische Lehre, sondern es handelt sich bei den „Design Patents“ vielmehr um Geschmacksmuster, die rein ästhetische Schöpfungen unter Schutz stellen. An „echten“ Patenten hat Apple nicht gar so viel ins Feld geführt.
    Und…machen wir uns nichts vor: Auch ein Designer musste studieren und möchte seine Familie ernähren – also, warum sollte Apple nicht für ein gutes Design einen guten Designer beauftragen – und sich das Ergebnis seiner Arbeit gut gegen Nachahmer schützen? Und mal ganz ehrlich: Wenn ich etwas entwerfe, dann sieht’s furchtbar aus – also scheint ein gutes Design wirklich eine gute Arbeit darzustellen für die auch gutes Geld gegeben werden muss.

    3. Das Statement, Patente würden die Innovation behindern, geht – mit Verlaub – knallhart gegen die Realität, vgl UMTS-Standard:

    Der UMTS-Standard, steht auf einem Podest von ca. 10.000 Patenten/technischen Schutzrechten.
    Davon sind es etwa 3.000 Patente, die den Standard wirklich tragen. Die großen Telekom-Ausrüster und Telekom-Provider teilen sich den Zugang zu diesen Patenten. U.a. mit gegenseitiger Lizensierung zu den sogenannten FRAND-Bedingungen (Fair Reasonable and Non Discriminating).

    UMTS wurde innovativ vorangetrieben. Es sind nur wenige auf der Strecke geblieben (wenn überhaupt): Jeder Endnutzer hat die Wahl,
    ober er ein Handy von Samsung, LG, Siemens,
    Huawei, Nokia, Apple, Motorola, RIM, … erwirbt. Und, ob er zu D1, D2, E+ geht. Und jeder Telekom-Provider, ob D1, D2, E+, kann sich frei entscheiden, ob er
    seine Netzausrüstung von Siemens, Ericsson, Nokia, Lucent, etc. erwerben und einsetzen möchte.

     Angesichts dieser Zahl von Schutzrechten und der intensiven Nutzung des mobilen Internets und freien Wahl des Equipments allerorten kann keiner glaubwürdig argumentieren, Patente würden die Innovation behindern.

    4. “Schutz vor geistigem Eigentum”? Ich hoffe, das ist eine humoristische Wendung, deren Sinn sich mir nicht nicht so unmittelbar erschließt.

    Lieber Herr Bonn, mit allem Respekt, gönnen Sie Ihrem Ghostwriter eine Schulung in Gewerblichem Rechtsschutz. Diese Verantwortung tragen Sie gegenüber der Position, die Sie bekleiden.

    Mit freundlichen Grüßen.