Europas Hightech-Industrie wird irrelevant

Die Strategieberater von A.Kearny stellen der europäischen IT-Wirtschaft in einer neuen Untersuchung ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus. Weniger als zehn Prozent der globalen ITC-Umsätze der 100 weltweit führenden Unternehmens kommen demnach aus Europa. Die Berater schreiben auch, wie die IT-Industrie gegensteuern kann.

“Wir gehen davon aus, dass in Europa 2011 nur 24 Prozent des globalen Umsatzes generiert wurden, und dass diese Zahl weiter sinken wird”, sagt Studienautoren Axel Freyberg, Partner bei A.T. Kearney. Gerade als Absatzmarkt in den wichtigen Segmenten IT-Dienstleistungen, Software, Telekommunikationsequipment, Unterhaltungselektronik und Telefongeräte verliere Europa an Gewicht.

“Angesichts dieser Verlagerung finden wir es bemerkenswert, dass führenden europäischen Hightech-Unternehmen 45 Prozent ihrer Umsätze noch innerhalb von Europa generiert. Europa ist hier in verschiedenen Sektoren nicht auf einem ausreichend globalen Level”, so Freyberg.

Die USA und Asien schnitten in der Untersuchung dagegen gut ab. Grund dafür sind die hohe Innovationskraft beziehungsweise die günstigen Produktionsstandorte. In Europa dagegen seien fast alle Hightech-Segmente auf dem Rückzug, warnen die Strategieberater und verweisen auf die unmittelbaren Folgen für den Arbeitsmarkt. Immer mehr Jobs werden in der IT-Branche in das nicht-europäische Ausland verlagert.

Aktuell arbeiten laut A.T. Kearney mehr als drei Millionen Europäer in der ICT-Industrie. Diese Zahl sei jedoch rückläufig. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. So hat Asien insbesondere die produktionsorientierten Jobs für elektronische Geräte übernommen. Dieses lag zum einen daran, dass sich das Ökosystem an Zulieferern und Abnehmern nach Asien verlagert hat, aber auch am durchschnittlichen Stundenlohn der Produktionsmitarbeiter. In China lag dieser 2011 bei 2,11 US-Dollar, in Ost-Europa bei 8,04 US-Dollar und in West-Europa bei 40,25 US-Dollar.

Das ist aber offenbar nur der Anfang. Die Berater sehen klare Anzeichen dafür, dass künftig auch Forschung und Entwicklung sowie Services noch stärker nach Asien verlagert werden. Die Zahlen zeigten, dass die asiatische Ausbildung erfolgreich auf die Entwicklung einer Wissenschaftler- und Ingenieurs-Elite gesetzt hat. Die Folge: Während in Europa nur 17 Prozent der Studenten für Ingenieurs-, Mathematik- oder IT-Kurse eingeschrieben sind, sind es in China 31 Prozent und in Korea und Taiwan 35 Prozent.

Die USA nehmen in dieser Statistik eine Sonderstellung ein. Zwar sind hier nur acht Prozent der Studenten in den einschlägigen IT-Kursen eingeschrieben. Das werde aber durch die hohe Einwanderung von qualifizierten Fachkräften kompensiert.

Die Experten betonen, dass der Standort Europa noch nicht verloren ist. Es gebe viele ungenutzte Potentiale, die zu einem Auftrieb führen könnten. “Zwar werden sich die Segmente wie die Unterhaltungselektronik, die Produkte für eine breite Masse in hoher Stückzahl produziert, weiter hauptsächlich auf den asiatischen Markt konzentrieren, Hightech hat in Europa aber eine Zukunft in Segmenten mit hohem lokalen Service-Anteil sowie in Segmenten mit komplexen B2B-Prozessen”, so der Co-Autor der Studie Jan Stenger.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor dafür sei eine Europa-Hightech-Strategie. Diese müsse auf langfristig attraktive und neue Hightech-Segmente setzen, die Investments der EU besser koordinieren und die Stärken von Europa ausnutzen. Mit nationalen Alleingängen dagegen, so die klare Position der Strategieberater, werde man es gegen die globalen Wettbewerber nicht mehr schaffen.

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