SAP und Industrie 4.0: “Innovation kann gar nicht schnell genug gehen”

Der deutsche Mittelstand ist Innovationstreiber und nicht das fünfte Rad am Wagen, weiß Olaf Heyden, CEO der Freudenberg IT, einem Systemhaus, das vor allem mittelständisch geprägte Unternehmen aus der Fertigungsindustrie begleitet. Cloud, Mobility, In-Memory und Big Data sind neben BI und anderen Themen also gerade in mittelständischen Unternehmen relevant.

silicon.de: Als mittelständisch geprägter Dienstleister mit Schwerpunkt SAP hat Ihr Unternehmen natürlich das Ohr sehr nahe an den Unternehmen. Nun schwärmt SAP, dass inzwischen die Innovations-Geschwindigkeit sehr viel höher ist als noch vor zwei Jahren. Kommt der Mittelstand denn da überhaupt noch hinterher?

Auf jeden Fall. Ich würde sogar sagen, dass die mittelständische Fertigungsindustrie heute zu den Schrittmachern der beschleunigten IT-Innovation in Deutschland gehört. Unsere Kunden jedenfalls wissen sehr genau, dass der globale Wettbewerb sowohl effizientere als auch flexiblere Steuerungs- und Produktionsprozesse verlangt – nicht nur innerhalb der eigenen vier Firmenwände, sondern entlang komplex vernetzter Lieferketten. Das aber ist unmöglich ohne permanente IT-Innovation.

 

 

silicon.de: SAP versucht derzeit, wohl auch aus gutem Grund, Themen wie Mobility, In-Memory und natürlich die Cloud in den Vordergrund zu stellen. Überlappt sich das mit der Prioritätenliste der Anwender, die Sie betreuen?

Eindeutig ja. Mobility, In-Memory-Datenbanken und Cloud Computing sind für viele unserer Kunden absolut relevante Themen – was natürlich nicht heißt, dass die Mehrheit schon heute beispielsweise SAP HANA im Einsatz hätte. Aber die Diskussion darüber ist in vollem Gang. Unser Part ist dabei, gemeinsam mit den Kunden herauszuarbeiten, wo der konkrete Mehrwert einer bestimmten Technologie im Lichte der jeweiligen Geschäftsziele liegt und ihm diese dann auch via Hosting zur Verfügung zu stellen. Denken Sie nur an einen Mittelständler, der nach China expandieren will. Per Cloud Computing kann er sein komplettes ERP-System quasi im Aktenkoffer mit dorthin nehmen. Lange Systemeinführungszeiten entfallen; er kann sofort loslegen und sich voll und ganz auf sein eigentliches Geschäftsvorhaben konzentrieren.

 

In der Fertigungsindustrie kann unter SAP-Anwendern Innovation gar nicht schnell genug gehen. Quelle: FIT
In der Fertigungsindustrie kann Innovation – ob mit oder ohne SAP – gar nicht schnell genug gehen. Quelle: FIT

 

silicon.de: Im Februar hatte die DSAG aus einer Mitgliederbefragung berichtet, dass es vor allem Investitionen in Netweaver Portal sind, die derzeit die Anwender verfolgen. Business Intelligence (BI) sei ebenfalls ein Thema, das sind aber doch eher “traditionelle” Themen. Sehen Sie denn – Sie haben ja den Fokus auf der Fertigungsindustrie – bei Ihren Kunden vergleichbare Muster?

Wir sehen vor allem deutlich, dass sich mit Collaboration und BI gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten greifbare Wettbewerbsvorteile erzielen lassen. Bei zahlreichen Kunden haben wir mit scheinbar traditionellen Werkzeugen kreative Lösungen entwickelt, die nachweislich die Wertschöpfung optimieren. Dabei zeigt sich im Übrigen ein Trend, dass BI heute nicht mehr ausschließlich für strategische Themen wie KPI-Steuerung oder EPM eingesetzt wird, sondern zunehmend auch für kurzfristige, taktische Aufgabenstellungen. Möglich wird dies, weil die BI-Suite von SAP die Entwicklung neuer Lösungen signifikant beschleunigt. Deshalb dringt Business Intelligence zurzeit immer stärker von der Managementebene auch in produktionsnahe Bereiche vor. Ein exemplarisches Beispiel dafür ist das Shopfloor Cockpit.

Als CEO der Freudenberg IT (FIT) ist Olaf Heyden vor allem in der Fertigungsindustrie und in der Welt von SAP unterwegs.
Als CEO von Freudenberg IT (FIT) ist Olaf Heyden vor allem in der auch mittelständisch geprägten Fertigungsindustrie und in der Welt von SAP unterwegs. Quelle: FIT

silicon.de: Laut der DSAG-Befragung scheint aber Mobility doch auch bei SAP ein Thema zu sein, beziehungsweise, zahlreiche Unternehmen planen entsprechende Initiativen.

Mobility ist im industriellen Mittelstand definitiv angekommen – und wird dort durchaus auch kontrovers diskutiert. Die Sicherheitsherausforderungen rund um Consumerization oder BYOD (Bring your own Device) beispielsweise sind ja nicht von der Hand zu weisen. Dafür gibt es keine Patentrezepte, denn kein Unternehmen ist wie das andere. Deshalb sehen wir unsere Aufgabe darin, für jeden Kunden eine individuelle Mobility-Strategie zu erarbeiten. In diesem Kundensegment lässt sich nur so das immense Potenzial dieses Megatrends erschließen. Stellen Sie sich eine mobile SAP-Anwendung als App auf einem Smartphone vor – am besten noch mit RFID-Erkennung kombiniert. Die Möglichkeiten, verkabelte IT-Systeme von alten Fesseln zu befreien, sind heute praktisch grenzenlos.

silicon.de: Immer häufiger stoßen wir auf das Thema M2M, ist das ebenfalls ein Thema, auf das sie stoßen?

Wir stoßen nicht bloß darauf, sondern gestalten diesen Trend aktiv mit. Unser hauseigenes Manufacturing Execution System Adicom schafft beispielsweise die Voraussetzungen dafür, dass Maschinen aktuelle Statusinformationen selbstständig mit der Produktionssteuerung austauschen und in Echtzeit zum Beispiel auch dem SAP-Auftragsmanagement zur Verfügung stehen.

silicon.de: Derzeit ist dieser Bereich ja noch sehr fragmentiert. Inwieweit passen denn diese „proprietären“ Lösungen mit standardisierten SAP-Umgebungen zusammen?

In unserem Fall durch die offene Schnittstellendrehscheibe von Adicom, die wie ein universeller Simultandolmetscher für die Kommunikation zwischen Anlagen, MES und ERP funktioniert. Im Übrigen erobert das IP-Protokoll zusehends auch Anlagensteuerungen und löst dort beispielsweise alte Feldbus-Systeme zur Steuerung von Sensoren und Stellgliedern ab – eine Entwicklung, die klar in Richtung Standardisierung zeigt.

silicon.de: Ein weiteres Megathema ist derzeit Big Data. Bekommen Sie in Ihrer Branche davon etwas mit?

Aber ja, die Datenflut macht vor Fabrikhallen nicht halt. Wir erwarten künftig sogar ein geradezu explosionsartiges Informationswachstum, vor allem auch im produktionsnahen Bereich. Je mehr Maschinen, Behälter und künftig auch Produkte und deren Komponenten zum Beispiel per RFID miteinander kommunizieren, desto mehr Bewegungsdaten müssen verarbeitet, archiviert und analysiert werden. Und da sind wir dann schnell wieder bei der In-Memory-Thematik.

silicon.de: Wie gehen denn mittelständische Unternehmen solche Probleme technologisch an?

Wir arbeiten sehr eng mit SAP zusammen und haben gemeinsam bereits erste HANA-Projekte realisiert. Allerdings können wir auch bei diesem Thema im Allgemeinen nicht auf der grünen Wiese bauen. Viele unserer Kunden haben zum Beispiel jahrelang ihr Reporting optimiert. Solche Systemlösungen müssen natürlich sinnvoll in firmenspezifische Big-Data-Konzepte einbezogen werden. Auch hier lassen sich verschiedene Unternehmen nicht über denselben Kamm scheren. Bei der Lösungsfindung ist nach unserem Serviceverständnis die Individualität eines Kunden stets Startpunkt und Messlatte zugleich. Damit ist sozusagen der Kurs vorgegeben, wie wir gemeinsam Big-Data-Anwendungen aufsetzen, die aus der Datenflut einen echten Informationsmehrwert generieren.

silicon.de: Welche Themen sollten gerade produzierende Mittelständler hierzulande ihrer Meinung nach noch auf dem Schirm haben.

Vor allem Industrie 4.0 – ein Megatrend, der auch als vierte industrielle Revolution firmiert. In diesem Szenario werden Maschinen, Produkte und Material dank internetartiger Vernetzung intelligent. Zentralistische Fertigungssteuerung wird abgelöst durch Selbstorganisation. Das werdende Produkt kommuniziert selbstständig mit Anlagen und Transportsystemen und steuert damit aktiv den eigenen Fertigungsprozess. Das mag in manchen Ohren utopisch klingen, hat aber enorme Brisanz für die Wettbewerbsfähigkeit der überwiegend mittelständisch geprägten deutschen Fertigungsindustrie. Denn bei permanent steigender Marktdynamik müssen zunehmend kleinteilige Aufträge immer flexibler und kosteneffizienter bedient werden. Das verlangt im Material- und Teilefluss eine Variabilität und Präzision, die mit heute üblicher Fertigungssteuerung nicht mehr umsetzbar ist. Eine Grundvoraussetzung für selbstorganisierende Fertigungsszenarien ist die vorhin erwähnte Echtzeit-Integration zwischen Produktionssteuerung und Geschäftskommunikation. Insofern ist das Feld für Industrie 4.0 bereits bestens bestellt, und die vermeintliche Utopie entpuppt sich als eine Vision, deren Konturen schon jetzt deutlich erkennbar sind. Um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: Es gibt viele Gründe, warum es für Fertigungsbetriebe mit der Innovationsgeschwindigkeit der IT gar nicht schnell genug gehen kann.