The Next Big Thing – haben Sie Google Glass schon auf dem Radar?

Quelle: Wikipedia.
Quelle: Wikipedia.

Eine offene Frage zum Start: Wer von uns hatte den Erfolg des iPad, insbesondere im Business Umfeld, zum Start 2010 prognostiziert oder auch nur geahnt? Wohl niemand. Auch ich selbst hatte mehr Argumente dagegen als dafür: kein USB, kein Flash, kaum professionelle Security Features, Einbindung in Unternehmensnetze schwer möglich, primär für den Konsumentenmarkt entwickelt, …

Trotzdem hat sich der neue Formfaktor mit unglaublicher Geschwindigkeit und Vehemenz – auch gerade in deutschen Unternehmen – durchgesetzt. Mittlerweile wurde die Einbindung in Unternehmensnetze, Security- und Management-Aspekte stark verbessert und es gibt zunehmend Applikationen, die mobile Unternehmensprozesse effektiv unterstützen. Der Grund, warum sich das iPad durchgesetzt hat, ist retrospektiv relativ einfach zu erklären: Es hatte einige Vorteile (insbesondere Ergonomie, Bedienbarkeit, schneller Start, coole Apps, …), die den bisherigen Notebooks deutlich überlegen waren – und darum wurden diese positiven Merkmale allein zur Kaufentscheidung herangezogen.

Jetzt steht ein neuer Formfaktor vor der Tür: Google Glass. Wie ist dieser zu bewerten? Wird sich Google Glass genauso furios durchsetzen oder (zumindest im ersten Anlauf) grandios scheitern?

Ausgehend von der These, dass sich viele innovative Technologien erst im zweiten Anlauf durchsetzen (ASP/Cloud/Web 2.0/Social Enterprise …) stellt sich natürlich die Frage, ob Google Glass der erste oder zweite “Versuch” ist.

Ein Blick zurück ins “letzte Jahrtausend”: nach unserer Erinnerung war es IBM, die das Thema als erstes aufgegriffen und publik gemacht haben – unter den Begriffen “Ubiquitous Computing” und “Pervasive Computing” in den 1980/1990er Jahren. Auch da gab es schon “Datenbrillen”, die natürlich wesentlich klobiger aussahen als Google Glass heute.
Damals noch visionär oder sogar utopisch, da viele Voraussetzungen – insbesondere Miniaturisierung und leistungsfähige mobile Netzwerke – nicht gegeben waren.

Google Glass wurde 2012 angekündigt und soll ab 2014 allgemein verfügbar sein. Dabei handelt es sich im Prinzip um ein Brillengestell (das ausgetauscht werden kann), eine miniaturisierte Rechen-Einheit mit CPU, RAM, GPS, WLAN etc., Kamera, Mikrofon und Lautsprecher. Der Nutzer sieht die Informationen über eine Projektor-/ Prisma-Einheit direkt vor dem Auge.

Der massive Fortschritt bei diesem Gadget ist, dass zum ersten Mal “Augmented Reality”, das heißt “computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung” (Wikipedia) mit einem relativ komfortablen Device möglich ist. Wer ein Gefühl dafür bekommen möchte, wie das in der Realität funktioniert (bzw. funktionieren soll), dem seien zahlreiche Videoquellen auf Youtube empfohlen. (Hier möchte ich meinen geschätzten Ex-Kollegen Achim Heidebrecht zitieren: “Erst youtuben, dann eventuell nachgooglen, aber nur, wenn es interessant ist…”).

Die Kernfrage ist: wird sich dieser neue Formfaktor durchsetzen – und wann? Wir als Experton Group sind sicher, dass (auch ähnliche) Gadgets in der Zukunft eine extrem wichtige Rolle spielen – und zwar im privaten wie insbesondere geschäftlichen Bereich. Die technologische Reife wird vielleicht noch ein paar Monate/Jahre brauchen, aber definitiv ist dies das nächste “Big Thing” im Client-Bereich.

Getrieben wird das ganze Thema natürlich von Applikationen und Lösungen. Und hier kommen interessanterweise alle vier von der Experton Group identifizierten Top IT-Innovationsthemen zusammen:

  • Cloud Services: Alle Google Glass Informationen werden in der Cloud gespeichert und verarbeitet
  • Mobile Enterprise: ganz neue Möglichkeiten der Mobilität, auch eine neue Klasse von Mobile Apps
  • Big Data: Ein Kernthema, da extrem viele Informationen “aufgenommen” werden können / könnten und die Analyse dieser Informationen neue Services schaffen – aber auch eine extreme Diskussion zu Datensicherheit / Datenschutz auslösen wird
  • Social Enterprise Business: Eine Vielzahl der Google Glass Apps wird in diese Kategorie fallen

In diesem Zusammenhang lohnt auch ein Blick auf die Google-Strategie, um die Innovationsstrategie des Unternehmens und auch das Wettbewerbsumfeld zu analysieren und zu bewerten. Bei Smartphones und Tablets war Google zunächst weit hinter Apple iPhone/ iPad zurück – eine neue Erfahrung für ein Unternehmen, dass bisher fast immer Innovationsführer (zumindest gegenüber dem Hauptwettbewerber Microsoft) war. Google hat dann eine sehr gute Strategie gewählt, um den Vorsprung aufzuholen: Zum einen wurden bestimmte Technologien, Design und Bedienung “adaptiert”, zum anderen wurde die extrem wichtige App-Verfügbarkeit durch ein wesentlich offeneres Konzept als bei Apple entscheidend vorangetrieben. Drittes wesentliches Erfolgskriterium war die gute Zusammenarbeit mit Partnern, insbesondere Samsung. Hört sich relativ einfach an, aber z.B. Microsoft hat gezeigt, dass eine solche “Aufholstrategie” auch wesentlich schlechter umgesetzt werden kann. Jetzt befindet sich im Smartphone-/Tablet-Markt Google/Android mit Apple iOS “Kopf an Kopf” – und Google wählt ein vollkommen neues Innovationsfeld!

Sehr interessant (und erfolgversprechend) ist dabei auch die Markteintrittsstrategie von Google: Es wird nicht einfach ein neues Stück Hardware auf den Markt geworfen – sondern vielmehr zunächst ein App-Umfeld geschaffen. Das erste Ziel war somit, eine möglichst große App-Community von dem Thema zu begeistern und zu Aktivitäten zu motivieren – dies kann bei mittlerweile 1.500 Entwicklern und zwei großen Konferenzen als gelungen bezeichnet werden.

Auch im Business-Umfeld sind vielfältige Apps auf dieser Plattform realistisch denkbar: von “einfachen” Collaboration-Lösungen, über Navigationssysteme, bis hin zu Wartungslösungen, bei dem den Support-Mitarbeitern während der Reparatur die richtigen Handbücher und Reparaturanleitungen/Lösungen eingeblendet werden, nachdem das defekte Teil durch die Kamera identifiziert wurde.

Was kann aber Google Glass stoppen? Dies sind primär zwei Dinge: die technologische Reife und die soziale Akzeptanz.

Bei der technologischen Reife wird es in erster Linie auf die Verfügbarkeit und Bandbreite der Netzwerke ankommen. Dies ist eine sehr kritische Komponente, die insbesondere die Telekommunikationsunternehmen vor Herausforderungen stellt, diesen aber auch große Chancen eröffnet. Die technologische Reife ist aber insgesamt betrachtet nur eine Frage der Zeit.

Wesentlich schwerer wiegt die Herausforderung “soziale Akzeptanz”. Gerade in Deutschland wird im Zusammenhang mit Google Glass (aber auch mit Big Data und Social Media) in den nächsten Monaten eine emotionale und kontroverse Diskussion losbrechen, die den Einsatz der Technologien grundsätzlich in Frage stellt. Um hier kein Missverständnis zu erzeugen: “Deutschland” wird den globalen Erfolg dieser neuen Technologien nicht verhindern können, wohl aber den Einsatz im eigenen Land wesentlich verzögern können.
Es soll auch nicht der Eindruck entstehen, dass Experton Group diese neuen Technologien kritiklos empfiehlt – wir plädieren nur für eine sehr differenzierte Analyse und eine Abwägung der Vorteile gegenüber den potenziellen Risiken.

Was bedeutet dies alles kurz-, mittel- und langfristig für deutsche IT-Anwender und IT-Anbieter?

Die Anwenderunternehmen und insbesondere deren IT-Entscheider haben (hoffentlich) gelernt: Google Glass sollte ernst genommen und genau beobachtet werden. Eine Einbeziehung in die Innovationsstrategie ist anzuraten, zu ersten Umsetzungen wird es aber frühestens mittelfristig (2014/2015) kommen.

Bei IT-Anbietern – insbesondere aus dem Software-Umfeld – sollten die Aktivitäten kurzfristiger erfolgen: Hier setzt sich ein Zug in Bewegung, und wer nicht kurzfristig aufspringt, der könnte zu spät kommen. Der neue Formfaktor gehört also zwingend zur Mobile-App-Strategie eines jeden Software-Anbieters und sollte sehr genau analysiert werden.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Ist Google Glass das “Next Big Thing?”

Wir als Experton Group sind der Meinung, dass dies für den Client-/MobileApp-Bereich so ist, wobei der Durchsetzungszeitraum durchaus noch einige Jahre dauern kann.

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