O Zeiten, o Sitten

Über die Welt, in der nichts sicher ist, außer, dass man abgehört wird, bloggt heute Heinz Paul Bonn. Er zitiert angesichts des Ausmaßes der Überwachung nicht nur Cicero und dessen Lamento auf den Verfall der Sitten, sondern sieht auch die Regierungen in der Pflicht, Datensicherheit zum deutschen Exportschlager zu machen. Denn auch eine Deutsche Cloud, das lehrt die Enthüllung Edware Snowdens, schütz nicht vor dem Zugriff der Geheimdienst-Analysten.

Also, ich habe jetzt schon mal sicherheitshalber einen Asylantrag an die Botschaft von Ecuador gestellt. Nicht, dass ich mich einer direkten politischen oder anti-terroristischen Untersuchung ausgesetzt sähe, aber man weiß ja nie. In diesen Zeiten droht hinter dem PRISM offenbar auch schnell das Prison. Wir werden belauscht, bespitzelt und – fast noch am schlimmsten – über das wahre Ausmaß der Kommunikations-Kontrolle belogen; na, sagen wir: wissentlich im Unklaren gelassen.

Was mussten wir alles lernen? Dass die gerichtlichen Freigaben für PRISM-Abfragen in den USA doch weitaus grundsätzlicher und wohlwollender erteilt wurden als bisher angenommen. Dass auch US-Amerikaner von der NSA ausspioniert werden können, solange nur der Verdacht bestehen kann, es handele sich um Nicht-US-Bürger. Dass China nicht nur selbst ein großer Cyber-Warlord ist, sondern dass chinesische Telefon- und Mail-Accounts zu Millionen ausgeschnüffelt wurden. Und schließlich, dass das Spionageprogramm des britischen Geheimdienstes – Tempora – noch alles in den Schatten stellt, was über US-Amerikanische Schnüffeldienste bisher bekannt geworden ist.

O tempora, o mores, rief Cicero vor 2075 Jahren und beschwor damit die Sittenlosigkeit seiner Zeitgenossen, insbesondere der Catilinas, dessen Verschwörung gegen den Staat Cicero aufzudecken half. Das bisschen Antichambrieren von damals ist ja eine Lappalie im Vergleich zur amerikanisch-britischen “Camerama“-Verschwörung, für die die beiden Regierungschefs jetzt ins Zwielicht geraten. Denn für beide zusammengenommen ist ja schließlich die gesamte Weltbevölkerung Ausländer. So erklärt sich auch, warum das britische Abhorch-Volumen so viel umfangreicher ist als das – bisher bekannt gewordene – amerikanische. Immerhin sind amerikanische Aktivitäten aus Sicht der Briten Auslandsaktivitäten – und damit das Abhorchen durch die Geheimdienstgesetze gedeckt. Und die Amis stehen nach wie vor für knapp die Hälfte des gesamten Email- und Telefonverkehrs weltweit.

Das schlimmste aber ist: Niemand kann sich mehr von der Sittenlosigkeit des Datenabhörens in diesen Zeiten lossagen – es sei denn, man kappt das Telefon- und Internetkabel. Auch das Versprechen einer “Deutschen Cloud” wird durch die Auslandsspionage im Stil des Data Harvesting, der massenhaften Ernte von Daten und Informationen, ad absurdum geführt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Aber schlimmer noch: Niemand wäre in der Lage, gegen diese Horchwut eine Mauer zu errichten.

Ebenso schwer wie das Abhören laufender Kommunikation – ob nun als Massendaten zu Verbindungen oder als stichwortgesteuertes Mithören – ist die Bedrohung, denen sich Unternehmen gegenübersehen, die ihre Firmendaten übers Netz – zum Beispiel in der Cloud – verschieben. Von der Feindspionage zur Wirtschaftsspionage ist es nur ein moralischer, aber kein technischer Schritt. Und die Moral ist in diesen abhörsicheren Zeiten nicht mehr so weit. – Übrigens: Abhörsicher im Sinne von “sicher abhören“.

Was können wir noch tun? Die Bundesregierung, die EU-Kommission müssen umgehend Aufklärung verlangen – über den G8-Gipfel hinaus. Und sie müssen europäische Datensicherheitsnormen zu einem Exportfaktor machen. Und: Wir müssen unsere Daten und Informationen verschlüsseln.

So zynisch es klingen mag: die Cloud ist durch die jüngsten Abhörskandale nicht unsicherer geworden. Fest steht jetzt, dass jede Online-Aktivität Unsicherheiten mit sich bringt. Das jedenfalls ist sicher. – Übrigens auch in Ecuador.