Microsoft-Forscher mit Freiheiten

Sie bezeichnen sich selbst als das “Immunsystem der Company”, die Research-Labs von IT-Multi Microsoft. Neben der Einrichtung im Hauptquartier in Redmond, spielt dabei vor allem das Lab in Cambridge eine fundamentale Rolle; hier wurde – unter anderem – die Kinect-Hardware erfunden. Bei einem Tag der offenen Tür gewährten die Nerds aus Überzeugung nun einen Einblick in ihre aktuellen Forschungsprojekte.

Wie war das Kantinen-Essen? Ein eher spielerisches Beispiel für die Kreativität der Entwickler der Cambridge Research Labs von Microosoft. Quelle: Sven Hansel
Wie war das Kantinen-Essen? Ein eher spielerisches Beispiel für die Kreativität der Entwickler der Cambridge Research Labs von Microosoft. Quelle: Sven Hansel

700 Ingenieure beschäftigt Microsoft weltweit in Laboratorien, von denen 100 in Cambridge tätig sind, wie Christopher Bishop, dort verantwortlich für “Machine Learning and Perception”, erklärt. Dabei stellt das Unternehmen an die Arbeit der sehr interdisziplinär auftretenden Mitarbeiter drei Anforderungen, erklärt Bishop: “Wir sollen die Computerwissenschaft grundsätzlich voranbringen, Technologien in ein Geschäftsmodell für Microsoft transferieren und auch das Zukunftsgeschäft sichern.” Aber, so betont der Projektleiter: “Grundsätzlich haben wir als Wissenschaftler dabei absolute Freiheit und können uns die Schwerpunkte unserer Arbeit selbst aussuchen.” Momentan liegen diese vor allem auf zwei Bereichen: Big Data-Analyse und neue User-Interface-Formate.

“Hinsichtlich Big Data sind wir sehr damit beschäftigt, die darauf basierenden Aussagen noch fundierter treffen zu können. Unserer Ansicht nach ist die Menge bei Big Data weiterhin nicht das primäre Problem, sondern daraus die richtigen Schlüsse ziehen zu können”, sagt Christopher Bishop.

Auch wie solche Analysen in Zukunft aussehen könnten, zeigte der Forscher in Cambridge anhand der Weiterentwicklung von eher textlich gehaltenen Empfehlungen, wie der Anwender sie etwa von Amazon kennt: Auf einer Desktop-Oberfläche lagen dazu einige hundert Titelbilder bekannter Filme. Der Anwender muss daraus lediglich ein paar seiner persönlichen Favoriten auf die rechte Seite (“finde ich gut”) und Flops auf die linke Seite (“gefallen mir nicht”) ziehen – und schon ermittelt die Maschine im Hintergrund weitere Empfehlungen, beziehungsweise sie verschiebt vermeintlich unbeliebte in Bruchteilen von Sekunden auf die rote Seite. Selbstverständlich ändert sich dieses Meinungsbild ebenso schnell, wenn der Anwender seine Präferenzen anders gewichtet.

 

 

Neben diesem eher spielerisch anmutenden Projekt, an dem allerdings Marketingverantwortliche Gefallen zeigen könnten, tüfteln die Wissenschaftler in Cambridge indes auch an sehr nüchternen Analyse-Programmen. Hierzu gehören vornehmlich die beiden Big Data-Forschungszweige, die die Verlässlichkeit von Software verbessern sollen und die – Achtung, Microsoft beweist Humor! – Slayer (englisch für “Mörder”, “Würger”) und Slam (im Sinne von “zuschlagen”) heißen. “Wir müssen uns zugestehen, dass wir mit der herkömmlichen Analyse in diesem Bereich nicht mehr weiterkommen, wir brauchen dazu mehr und mehr heuristische Methoden”, so Byron Cook, Principal Researcher im Research-Lab.

Erstes umfassendes Ergebnis der beiden Projekte mit dem Brachial-Namen: “Wir konnten dadurch feststellen, dass 85 % der Systemabstürze in Windows XP durch Treiber-Probleme verursacht wurden, und sowohl Slayer als auch Slam haben somit zur gestiegenen Stabilität von Windows 7 und 8 beigetragen”, berichtet Cook. In eine ähnliche Richtung geht das Forschungsprojekt – auch hier bleibt Microsoft seiner Linie treu – namens “Terminator“, mit dem unerwartete Programmabstürze wie etwa das berüchtigte Mauszeiger-Einfrieren untersucht werden.

Mehr “Gerechtigkeit” im Rechenzentrum ist schließlich ein weiteres Schwerpunktprojekt im Bereich Big Data. Hier geht es darum, dass die Performance von Cloud-Rechenzentren verbessert wird. Erzielt werden soll diese Fairness durch einen Multi-Tenant-Ausgleich, in dem der Kunde bestimmt, was ihm sein jeweiliger Auftrag wert ist und das somit gerechtere Rechenzentrum den Job priorisiert. Ebenso macht diese Priorisierung dann aber auch den Preis aus, heißt: rapide zu erledigende Big Data-Analysen werden teurer abgerechnet als langfristigere.

Ermuntert durch den Erfolg von Kinect, liegt der zweite, wesentliche Fokus der Forscher auf neuen Steuerungsprinzipien für den Rechner. Der gezeigte “Two Foot PC” basiert im Wesentlichen auf einer Kinect-Kamera, die in der Lage ist, bestimmte Gebärden des Benutzers in Befehle umzuwandeln.

Auf diesem auf den ersten Blick recht einfach klingendem Prinzip verbirgt sich jedoch eine intensive Tüftelei, wie Abigail Sellen, Principal Researcher bei Microsoft, erläutert: “Beide Hände bedienen weiterhin die Tastatur, die rechte die Maus, und die linke Hand setzt der Anwender für Gebärden ein.” Dies können Makros in Excel sein, Hinein- und Hinauszoomen-Befehle, das Wechseln in einzelnen Dokumenten oder der “Lock Screen”-Befehl.

Damit räumt Microsoft auch mit dem Mythos des tastaturlosen PCs auf, der ähnlich sinnfrei zu sein scheint wie das papierlose Büro: “Würde man alle Befehle nur noch mit den Händen ausüben, so wie es Tom Cruise in Minority-Report getan hat, wäre das auf Dauer viel zu ermüdend. Wir haben in unzähligen Tests mit Probanden festgestellt, dass es weiterhin der beste Weg ist, präzise Gesten mit etwa der Maus und einfachere hingegen mit der nicht dominanten Hand auszuüben”, so Sellen, die für die Gesten mit einem Team von Designern zusammengearbeitet hat.

Eine Antwort präsentierte Forscher Bishop ebenfalls auf die Frage, mit welchen Trends sich der MS-Thinktank in naher Zukunft beschäftigen wird: “Mit Sicherheit sehr viel mit künstlicher Intelligenz und einer weiter voranschreitenden Personalisierung des Anwender-Erlebnisses. Es geht darum, jeden Klick und jede Geste des Users besser zu verstehen und somit die Bedienung des Rechners für ihn noch einfacher gestalten zu können.”

Weniger in Richtung Maschine geht jedoch die Einschätzung Bishops, worauf sich die Big Data-Forschungen der Microsoft-Labs in naher Zukunft konzentrieren werden. “Weiterhin die größte Herausforderung wird sein, eine ausreichende Zahl von Big Data-Wissenschaftlern zu rekrutieren. Hier werden wir sehr interdisziplinär vorgehen müssen. Das zeigt sich auch in unserem Projekt infer.net“, so Christopher Bishop.

Wer als Otto-Normalanwender und Hobby-Nerd übrigens die Denkweise der Profiforscher nachvollziehen möchte, kann dies auf einfache Art und Weise tun. Das .NET Gadgeteer Toolkit des Unternehmens ist ein Open-Source Baukasten, basierend auf dem .NET Micro Framework und Visual Studio/Visual C# Express, mit dem sich experimentelle elektronische Geräte selbst herstellen lassen. Ein Beispiel dieser “Kunst” steht in den Microsoft Research-Labs übrigens selbst – in der Kantine. In Form eines hölzernen Kastens, auf dem die Mitarbeiter per Tritt auf das Fußpedal abstimmen können, wie ihnen das Mittagessen geschmeckt hat – Nerds halt.