“Falsche Kollegen, falsche Prozesse, falsche Technologien”

Im Bereich E-Commerce tut sich derzeit eine Menge. In einem Interview mit dem Forrester-Analysten Andy Hoar gehen wir den aktuellsten Trends nach und können mit Intershop sogar die Wiederauferstehung eines Unternehmens feiern. Dennoch glaubt Hoar, dass das E-Business derzeit so attraktiv ist wie Scharz-Weiß-Fernsehen.

Im Rahmen des “Game Plan B2B E-Commerce Forum” von Hybris – einem Unternehmen innerhalb des SAP Konzerns – stellte Forester Research eine umfangreiche Studie zum B2B E-Commerce vor. Unter dem Titel „Online and Mobile are Transforming B2B Commerce“ hatten die Analysten danach gefragt, wie B2B-Unternehmen ihre Produkte und Services an den Käufer bringen. In Berlin sprachen wir mit Andy Hoar, Senior EBusiness Analyst Forrester Research, einem der beiden Autoren der Studie.

 

 silicon.de: Welche Anbieter sehen Sie in dem Bereich E-Business?

Andy Hoar: Forrester hat eine Studie veröffentlicht, für die wir die wichtigsten Anbieter analysiert haben. Auf den ersten vier Plätzen stehen Hybris, IBM, Oracle und Intershop. Wichtig ist zu ergänzen, dass wir die Analyse starteten, als Hybris noch eine eigenständige Firma war. Während unserer Analysen hat SAP Hybris übernommen. Also haben wir SAP aus der Studie herausgenommen und durch Hybris ersetzt.

Quelle: Forrester Research
Quelle: Forrester Research

silicon.de: Es ist wie in allen anderen IT-Bereichen auch – die großen IT-Anbieter stehen an der Spitze.

Hoar: Mit Ausnahme von Intershop. Das Unternehmen hat ein großes Comeback gehabt. Sie waren nach der ersten Internetblase praktisch schon verschwunden. Aber das Produkt ist herausragend. Wenn ein Unternehmen ein schnelles, Weltklasse E-Business Produkt für B-to-B benötigt, gehört Intershop zu den vier Herstellern, die alle Anforderungen liefern können.

silicon.de: Viele Analysten halten E-Business für den nächsten Schritt in der Digitalisierung der früher analogen Unternehmen und des Handels zwischen Anbieter und Lieferanten.

Hoar: Ja und Nein – E-Business zwischen Unternehmen gibt es ja schon sehr lange. Aber es hat bislang eher so eine Qualität wie Schwarz-Weiß-Fernsehen. Es erfüllt seinen Zweck, aber es ist nicht schön, es macht keinen Spaß und es ist nicht zielführend. Inzwischen haben die Webshops für Consumer eine völlig neue Erwartung in den Online-Handel gebracht. Um im Bild zu bleiben – diese Angebote sind wie HD-Fernsehen.

In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass die meisten Unternehmen nicht in der Lage sind, von dieser neuen Technologie zu profitieren. Denn sie arbeiten mit den falschen Kollegen, sie arbeiten mit den falschen Prozessen und sie nutzen die falschen Technologien.

silicon.de: In einer analogen Welt sehen die Mitarbeiter ihre Prozesse, sie stapeln und unterschreiben Papier, sie schicken Faxe oder blättern in Katalogen. Aber wie nehmen sie E-Business-Prozesse in einer digitalen Welt war? Was ist der Look and Feel?

Hoar: Die Papierwelt ist eindimensional, sie ist nicht dynamisch, sie ist statisch. Wenn Mitarbeiter einen Papierkatalog öffnen, können sie weder auf die Bilder klicken noch zusätzliche Informationen oder Preise recherchieren. Dagegen starten sie mit Hilfe des PCs oder über das Tablet einen Dialog mit Ihrem Lieferanten. Der Anbieter wird auf die Anfragen antworten – idealerweise in Realtime. In der idealen digitalen Welt erhalten die Kunden auch morgens um drei Uhr Antworten auf ihre Fragen.

silicon.de: Was sind die drei größten Herausforderungen, um E-Business in einem Unternehmen umzusetzen?

Hoar: Entscheidend sind die richtigen Mitarbeiter. Die benötigen neue Kenntnisse, um neue Aufgaben zu bearbeiten. Jemand der Kataloge zusammenstellt und sie zum Drucker schickt ist nicht unbedingt die richtige Person, die Webseiten programmiert.

silicon.de: Können die Mitarbeiter für E-Business weiter gebildet oder geschult werden?

Hoar: Sicherlich, allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Es geht ja nicht nur um Layout und Programmierung. Fakt ist, dass hier eine ganz neue Generation von Mitarbeitern in die Unternehmen kommt. Sie sind mit den digitalen Prozessen und entsprechenden Erwartungen an die Systeme und die Prozesse aufgewachsen.

silicon.de: Welche anderen Herausforderungen sehen Sie?

Hoar: Die zweite Herausforderung ist die richtige Technologie. Und ein entscheidendes Kriterium für eine “richtige Technologie” ist Realtime. Wenn ein Kunde auf einer Webseite ein Produkt findet, möchte er einen Preis sehen. In einer analogen Welt sieht er im Katalog den Preis von letzter Woche oder von letztem Jahr. Das ist aber nicht der Preis, der ihn interessiert. Wenn der Kunde einen Flug oder ein Hotel bucht, verändern sich die Preise ständig. In der digitalen Welt erwartet der Kunde genau den Preis, der in diesem Moment verbindlich ist. Dynamik ist der Schlüssel für Realtime.

silicon.de: Realtime und Preise – bleiben wir bei diesem Thema. Welche Anwendung generiert diese Preise? Ist es das ERP-System oder ist das E-Business-System dafür verantwortlich?

Hoar: Beide Systeme arbeiten zusammen. Das E-Business-Team ist natürlich für die Preise verantwortlich. Aber sie werden vom ERP-System unterstützt. Denn hier liegen alle nötigen Daten.

Das sind aus meiner Sicht die wichtigsten Herausforderungen für E-Business – Menschen und Technologie. Alles andere ist weniger wichtig.

silicon.de: Aber um die E-Business-Systeme umzusetzen, werden die Verantwortlichen auch die Prozesse ändern?

Hoar: Das ist mein nächster Punkt. Wenn die Verantwortlichen die richtigen Mitarbeiter ins Unternehmen holen, werden sie auch die Probleme rund um die E-Business-Prozesse lösen.

silicon.de: Mit Blick auf Ihre Erfahrungen und Ihre Analysen – welche Entscheidung treffen die Verantwortlichen zuerst? Die Entscheidung für die Technologie oder die Entscheidung für das neue Geschäftsmodell?

Hoar: Die Business-Entscheidung steht immer am Anfang. Sie basiert auf einer Marktbeobachtung und der Marktanalyse. Die Anbieter müssen lernen, wer ihre Kunden sind. Beispielsweise sollten die Verantwortlichen untersuchen, wie die Kunden online einkaufen. Was erwarten sie, wie unterscheiden sie die Online-Angebote von der der Konkurrenz?

Wichtig ist auch, dass die Offline-Kunden häufig nicht dieselben Kunden sind, die das Unternehmen online anspricht. Wenn sie aber neue Kunden ansprechen, müssen sie vielleicht auch die internen Prozesse und vielleicht sogar die Angebote und Preise verändern. Entscheidend ist also die Analyse und Segmentierung der Kunden. Wie sind die Erwartungen dieses Kunden, wie sieht deren Wettbewerbssituation aus, wie kann der Lieferant seine Kunde unterstützen?

silicon.de: Wie weit bauen die Unternehmen ihre Online-Auftritte aus und wie weit werden sie – beispielsweise – ihre Kataloge verändern oder einstellen?

Hoar: Aus meiner Sicht ist das kein “Entweder oder” sondern ein “Sowohl als auch”. Für mich ist es interessant zu beobachten, wie unsere Kunden Größe und Umfang der Kataloge verändern. Sicherlich verschwinden die Kataloge nicht. Aber sie haben nicht mehr den Umfang von 1.000 oder mehr Seiten. Sie verändern die Kataloge eher zu Marketingmaterial – mit hochwertigen Papier, geringerem Umfang, besseren Bildern.

silicon.de: Haben Sie die Verantwortlichen gefragt, wie lange es dauert, bis sie die ersten Resultate vergleichen können? Wie lange benötigen die Kunden, die die Arbeit mit Katalogen gewohnt sind, um ins Internet zu wechseln?

Hoar: Auch das hängt wieder von den einzelnen Kunden ab und natürlich von den Industrien und Branchen in denen sie Geschäfte machen. Ein Beispiel – ein Lieferant bei dem junge IT-Ingenieure eines Internetunternehmens einkaufen wird mit dem Online-Shop erfolgreicher sein, als sein Nachbar, bei dem vor allem ältere Bauarbeiter bestellen, die immer nur mit Katalogen gearbeitet haben.

silicon.de: Wenn wir uns einen Verkaufsprozess anschauen, steht auf der einen Seite ein Anbieter, der mit einem E-Business-System arbeitet. Welche Technologie und welche Systeme stehen auf der anderen Seite, die mit diesem System Daten austauschen?

Hoar: Es gibt E-Procurement-Systeme; dieses Gebiet haben wir mit unserer Studie nicht abgedeckt.

Offensichtlich nutzen Unternehmen diese E-Procurement-Systeme. In anderen Unternehmen bestellen die Mitarbeiter manuell und auf eigene Verantwortung.

Interessant ist die Situation, dass Mitarbeiter häufig versuchen um das Procurement-System herum Produkte oder Teile zu kaufen. Die wiederum ordern sie direkt in den E-Business-Systemen ihrer Lieferanten.