Heinz Paul Bonn

ist Gründer des Kölner ERP-Spezialisten GUS Group. Der Buchautor und Blogger ist Ehrenmitglied und Vorsitzender des Forums Mittelstand im BITKOM.

CeBIT: Die Schlüssel-Messe

Das Paradoxon der diesjährigen CeBIT wurde gleich zur Eröffnung überdeutlich sichtbar, so silicon.de-Blogger Heinz Paul Bonn: “Die beiden wesentlichen Trends, die hier in Hannover präsentiert werden, sind zugleich die Antipoden einer global vernetzten Datenwelt: Entschlüsselung und Verschlüsselung.”

Und nirgendwo wurde das deutlicher als im Eröffnungsvortrag des Volkwagen-Vorstands-Vorsitzenden Martin Winterkorn, der das Cockpit der Zukunft nicht nur mit der nötigen Wahrnehmung und Rechenkraft ausgestattet sieht, um Autos autonom durch den Verkehr steuern zu lassen. Die Werkzeuge dafür sind auch gleichzeitig bestens geeignet, den selbst steuernden Fahrer in seinem Handeln zu überwachen – zu seinem Besten natürlich.

Schneller kann man in das gesellschaftspolitische Grunddilemma der heutigen Zeit gar nicht einfahren: So viel steuernde Erleichterung wie nötig bei so wenig Einschränkung der Selbstbestimmung wie möglich. Die Informationstechnologie mit ihren Überwachungs- und Überraschungsmöglichkeiten steht gewissermaßen am Scheideweg.

Insofern ist die CeBIT in diesem Jahr ganz gewiss eine Schlüssel-Messe. Sie weist nicht nur auf die Trends der kommenden Zeit, sondern auch auf ihre gesellschaftlichen Konsequenzen hin.

So zeigte sich denn auch die Kanzlerin skeptisch, als sie nach Martin Winterkorn die CeBIT-Bühne betrat und immerhin einen positiven Aspekt der VW-Vision abringen konnte: “Herr Winterkorn hat Menschen, die nie eine Fahrerlaubnis machen wollten, eine Perspektive gegeben”, scherzte Angela Merkel, nicht ohne hinzuzufügen: Vor allem aber gehe es um die “Selbstbehauptung des Menschen”. Wenn sich “Big Data” auf “Big Brother” reimt, sind Selbstbehauptung und Selbstbestimmung gefährdet.

Dabei ringt die CeBIT unter dem Motto “Datability” vor allem darum aufzuzeigen, wie die “Lebensqualität des Menschen” gerade dadurch erhöht werden könne, dass große Datenmengen ausgewertet und zu neuen Erkenntnissen führen können. Zum Beispiel solchen, mit denen Anbieter besser und genauer auf individuelle Bedürfnisse eingehen können. Oder wie bislang nicht erkannte Zusammenhänge zum Beispiel in der Medizin zu einer besseren Gesundheitsversorgung führen. Oder wie eine verbesserte Übersicht über Verkehrsströme – und dies auch noch in Echtzeit – weniger Staus und Gefahrenpunkte im Straßenverkehr ermöglichen.

Die Zahl derer, die sich auf der CeBIT mit Big-Data-Lösungen der Entschlüsselung solcher Rätsel widmen, hält sich mit jenen, die sich auf der Messe mit der Verschlüsselung von Daten befassen in etwa die Waage. Nirgendwo sonst kann man den Wettbewerb zwischen digitaler Aufrüstung und digitaler Abrüstung so gut beobachten, wie auf der CeBIT in Hannover.

Die Computermesse hat damit in der Tat ihren Charakter verändert. Sie ist gesellschaftlich relevanter geworden – und das ausgerechnet in einem Jahr, in dem erstmals nur Fachpublikum aufs Messegelände gelassen wird. Dabei allerdings mag noch unsicher sein, wie man in einer offenen Gesellschaft den arrivierten Fachanwender vom bloßen Hobbycomputisten unterscheiden mag. Das Unterscheidungskriterium “Turnschuhe” ist schon seit den achtziger Jahren unzuverlässig. Und Firmenzugehörigkeit lässt noch lange nicht auf Fachkompetenz schließen.

Auch hier macht die CeBIT in ihrer Dialektik durchaus ein Grundparadox deutlich: So sehr es wünschenswert erscheint, die Daddel- und Sammel-Experten außen vor zu lassen, so sehr ist es gleichzeitig erwünscht, dass junge, aufstrebende Firmengründer, innovative Freaks und App-Designer ihren Weg in die Messehallen finden und jenen Schub in die Informationswirtschaft bringen, der einen Gegenpol zur US-amerikanischen Start-up-Gesellschaft abgeben soll.

Von kaum etwas anderem als dieser jungen Generation der innovativen Entrepreneure sprach denn auch Großbritanniens Premierminister David Cameron in seiner Eröffnungsrede. Er lobte nicht etwa die Cyber-Experten im Government Communications Center in Cheltenham, sondern die Jungunternehmer am “Silicon Roundabout” in Londons altehrwürdiger Old Street. Start-ups, so lautete das gemeinsame Credo von Bundeskanzlerin Merkel und Prime Minister Cameron, sind der Jungbrunnen der europäischen IT-Industrie und die einzig richtige Antwort auf die US-amerikanische Herausforderung. Und womit sollen sie sich beschäftigen? Mit der Entschlüsselung von Rätseln und der Verschlüsselung von Daten.

Die CeBIT ist in diesem Jahr wahrlich ein Schlüssel-Ereignis.

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