März-Rückblick: Spießer-Glück

#Aufschrei, Hashtag, Rainer Brüderle Edward Snowden Prism

Das digitale Heim ist vernetzt und wird über ein Web-Interface vom gewissenhaften Home-Administrator verwaltet. Unser Kolumnist Achim Killer liebt die Ordnung seines häuslichen LANs, macht sich in seinem Monatsrückblick Gedanken über die digitale Idylle und über Spießertum im Informationszeitalter und kommt dabei zu Erkenntnissen, die ihn erschüttern.

Es war einmal vor langer, langer Zeit, als Musiker sich an Grenzübergängen noch nicht vor Steuerfahndern fürchteten, sondern eher vor Drogenhunden. Mp3-Player hießen noch Kassettenrekorder. Und die spielten Hymnen der Freiheit: Ruby Tuesday, Born to be wild oder ultimativ: Highway to Hell.

Man war revolutionär gesinnt damals, hielt es -alternativ oder komplementär – mit Love and Peace oder – wenn man Angst vor der Polizei und vor Mädchen hatte – dann wurde man halt Nerd. Das war auch ok. Nur eines durfte man nicht sein seinerzeit: Spießer.

Der Spießer war jenes verachtete Wesen, das heimlich – schwäbisch: hählinge – hinter dem Küchenfenstervorhang hervor voller Misstrauen beobachtete, was außerhalb seiner – mit viel Pedanterie gepflegten – häuslichen Idylle vor sich ging.

Selbstverständlich kannte der Spießer jener Zeit auch Sehnsüchte und wollte Lust empfinden. Nostalgie nannte sich die größte seiner Sehnsüchte. Und der Akt, der ihm Lustgewinn verschaffte, hieß Heimwerkern.

Aus – nein, nicht unerfindlichen, sondern – sehr naheliegenden Gründen kommt einem das alles in den Sinn, wenn man über das Web-Interface auf die Konfiguration seines Home-Routers blickt. – Damit gab’s diesen Monat ja massive Probleme. Gesindel over TCP/IP macht sich in jüngster Zeit auch daran zu schaffen.

Aber wie wohlaufgeräumt ist dieses schmucke Kästchen doch! Obwohl es sich dabei um ein äußerst komplexes Gerät handelt. Außer als Router hätte man es früher noch als WLAN– Wireless Local Area Network –Access-Point, als PBX – Private Branch Exchange, Telefonnebenstellenanlage, als DSL- Digital Subscriber Line -Modem, als DECT– Digital Enhanced Cordless Telecommunications –Anlage bezeichnet und als NAS – Network Attached Storage, unter Umständen noch als ftp- File Transfer Protocol- und als Web-Server.

Heute steht diese Zierde des digital Home in Gänze daheim unterm Schreibtisch, wird wöchentlich sorgsam abgestaubt und hört meist auf einen – jedem Spießer geläufigen – deutschen Namen. Es ist gut, so etwas in den eigenen vier Wänden zu wissen und immer ein Auge darauf werfen zu können.

Einige Unternehmen mit seltsamen, englisch anmutenden Namen haben ja versucht, einem dieses Schmuckstück zu entziehen. Aber da ist jetzt zum Glück eine ordentliche deutsche Behörde vor, die BNetzA (Bundesnetzagentur) mit ihrem in bester Beamtensprache formulierten “Entwurf einer Verordnung für Rahmenvorschriften zur Förderung der Transparenz, Veröffentlichung von Informationen und zusätzlicher Dienstmerkmale zur Kostenkontrolle auf dem Telekommunikationsmarkt”. Kurz und liebevoll TKTransparenzV genannt. Was da drin steht, heißt auf gut Deutsch: “Finger weg! Das Kästchen gehört mir.”

“Richtig so!” ruft man da doch aus. “Das hat mal gesagt werden müssen.”

Überhaupt fingern ja heutzutage schon viel zu viele an Sachen herum, die ihnen nicht gehören. Auf diesen neumodischen flachen Dingern, bei denen es sich angeblich um Computer handelt, und auf den winzigen Telefonen, die die heutige Jugend so liebt, da löschen sie die Bücher anderer Leute, wenn’s ihnen gerade ins Geschäft passt. – Das hätte früher mal einer wagen sollen, zu jemandem anderen in die Wohnung kommen, sich wahrscheinlich vorher nicht einmal die Schuhe abputzen, zum Regal gehen und ein Buch zerreißen. “O tempora, o mores!” wie Cicero es formuliert hätte (63 v. Chr.).

Diese dubiosen Gestalten installieren und deinstallieren nach Gusto Soft- auf fremder Hardware. Sie greifen Daten ab. Und überall lassen sie Werbung herumliegen. Auf heutigen Endgeräten sieht es schlimmer aus als im Treppenhaus eines Wohngebäudes, wenn wieder mal nachlässige Bewohner Wochenblatt- und Prospekt-Verteiler reingelassen haben. Zu Straf-Kehrwochen gehören diese Typen doch verdonnert. – Nein, nicht die Schlamper, die auf den Türöffner drücken, ohne zu fragen, wer da ist, sondern die Ami-Chefs, die mit ihrem Werbemüll das Netz verdrecken und keinerlei Respekt vor fremdem Geräte-Eigentum haben.

Dem Spießer vergangener Tage waren ja vor allem Jugend- und Politsekten suspekt. Was aber, so fragt man sich, waren Bhagwan und Joscha Schmierer gegen Mark Zuckerberg und Tim Cook?

Letzterer lässt die Geräte, die sein Konzern verkauft, zwar sicher verschließen, aber nicht, um Gesindel fernzuhalten, sondern damit deren Eigentümer nicht damit machen können, was sie wollen. “Jailbreak” nennen es unvernünftige Kinder, wenn sie das Schloss software-seitig knacken.

Versteh einer diese Jugend! Da kaufen die sich für viel Geld einen Gefängnisplatz, bloß um dann auszubrechen.

Früher, ja früher, da war Schrauben noch des Users Lust. Ein richtiger PC war ohne Bastelarbeit nicht zu haben. Man hat gejumpert, konfiguriert und händisch die autoexec.bat und die config.sys editiert. Sowas kennt diese Jugend von heute ja gar nicht mehr.

Ach ja. Vielleicht sollte man in Erinnerung an die gute alte Zeit ein paar Aufkleber ausdrucken und im häuslichen LAN verteilen: “Meine Kiste!” – “Mein Kästchen!” – “Keine Werbung einwerfen!”

Und während man mit seinem geistigen Auge voller Misstrauen auf die verluderte Welt blickt, die hinterm Router beginnt, wird einem ganz nostalgisch zumute. Leise summt man eine kleine Melodie vor sich hin – nein, keine von den Stones, Steppenwolf oder ACDC. Noch älter. Und ein Text für Square 2.0 kommt einem auch in den Sinn: “Home, sweet Home, sweet Home-Computer.”